Einigung beim Sondergipfel: Wie sich die EU zu Belarus-Sanktionen durchrang
Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko steht nicht auf der Sanktionsliste der EU. Das hat einen guten Grund. Eine Analyse.
Die Europäische Union hat gerade noch einmal die Kurve gekriegt. Den Staats- und Regierungschefs, die derzeit in Brüssel beim Sondergipfel versammelt sind, war bewusst, was im Streit um die Belarus-Sanktionen auf dem Spiel stand: Wäre ein Beschluss erneut vertagt worden, dann hätte sich die EU zum Gespött in der Öffentlichkeit gemacht. Gerade in Polen und den baltischen Staaten wird sehr genau verfolgt, auf welchem Wege Brüssel den Demonstranten in Belarus Beistand leistet.
Sanktionen sind dabei ein deutliches Zeichen. Eine offenkundige Einmischung der EU, wie sie seinerzeit in der Ukraine nach dem dortigen Umsturz vor sechs Jahren erfolgte, kommt diesmal für die Gemeinschaft nicht in Frage. Aber andererseits hätte es die EU im Fall von Belarus nach der Wahlfälschung vom August nicht bei dem gebetsmühlenartig vorgebrachten Statement belassen können, dass man Alexander Lukaschenko nicht als den rechtmäßigen Staatschef betrachte.
Sanktionen gegen 40 belarussische Offizielle
Der Beschluss des EU-Gipfels macht es nun möglich, die Konten von 40 Personen aus dem Umkreis Lukaschenkos einzufrieren und ihnen die Einreise in die EU zu verwehren. Ihnen wird vorgeworfen, hinter der Wahlfälschung und der Niederschlagung der Proteste zu stecken.
Dass Lukaschenko selbst nicht auf der Sanktionsliste steht, hat vor allem taktische Gründe. Die EU will einen Hebel in der Hand behalten, um den belarussischen Diktator zum Einlenken zu bringen. Die Staats- und Regierungschefs wünschen sich, dass Lukaschenko einer Vermittlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zustimmt. Tut er es nicht, landet er demnächst möglicherweise auch auf der Sanktionsliste.
Fehlkonstruktion in der europäischen Außenpolitik
Das Gezerre um die Brüsseler Belarus-Sanktionen hat allerdings auch die Unzulänglichkeiten und Fehlkonstruktionen in der europäischen Außenpolitik offengelegt. Es gingen Wochen ohne einen Sanktionsbeschluss ins Land, weil Zypern von seinem Vetorecht Gebrauch machte. Der Vorgang zeigt einmal mehr, dass das Einstimmigkeitsprinzip bei derartigen Sanktionsentscheidungen dringend überdacht werden muss.
Zwar ist Zyperns Präsident Nikos Anastasiades keineswegs gegen Belarus-Sanktionen. Aber das kleine EU-Land wollte den Strafmaßnahmen gegen das Minsker Regime nur unter einer Bedingung zustimmen: Die EU solle neue Sanktionen gegen weitere Mitarbeiter des türkischen Energiekonzerns TPAO verhängen. Die Türkei nimmt vor der zyprischen Küste Probebohrungen in den dortigen Gasfeldern vor. Nikosia sah also den Beschluss um die Belarus-Sanktionen als ein willkommenes Mittel, um gleich auch den Gasstreit mit der Türkei im östlichen Mittelmeer im Sinne der beiden EU-Länder Zypern und Griechenland zu lösen.
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Am Ende wurde Zypern beim Gipfel vertröstet. Mögliche Sanktionen gegen die Türkei könnten erst beim Gipfel im Dezember zur Sprache kommen. In der Zwischenzeit versucht es die Gemeinschaft im Verhältnis mit Ankara nach dem Motto „Zuckerbrot und Peitsche“.
Zuckerbrot und Peitsche für Ankara
Im Detail bedeutet dies: Die Gemeinschaft verfügt über ein umfangreiches Instrumentarium, um die Türkei, die sich unter ihrem Präsidenten Recep Tayyip Erdogan seit der Niederschlagung des Putschversuchs von 2016 mehr denn je von den Werten der Gemeinschaft abwendet, doch wieder näher an die Gemeinschaft heranzuführen. Das können eine Erweiterung der Zollunion sein oder Erleichterungen in Visafragen. Erdogan weiß wiederum, dass sich die EU nolens volens von Ankara abhängig machen musste, als sie 2016 die Flüchtlingsvereinbarung mit der Türkei schloss.
Der Gipfel hat deutlich gemacht, dass die Vertreter eines harten Kurses im Gasstreit im östlichen Mittelmeer nicht unbedingt in der Mehrheit sind. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Österreichs Kanzler Sebastian Kurz stehen auf der Seite derer, die Türkei-Sanktionen befürworten. Fürs Erste haben sich im Kreis der Staats- und Regierungschefs aber die Vertreter einer Dialoglösung durchgesetzt. Zu ihnen gehört Kanzlerin Angela Merkel.