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Teilnehmer einer Demonstration zum zehnten Todestag des Asylbewerbers Oury Jalloh.
© dpa

Bericht der ARD: Asylbewerber Oury Jalloh soll getötet worden sein

2005 kam der Asylbewerber Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle um. Einem Medienbericht zufolge wurde er wahrscheinlich getötet.

Der vor mehr als zwölf Jahren in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte Asylbewerber Oury Jalloh wurde nach Recherchen des ARD-Magazins „Monitor“ mit hoher Wahrscheinlichkeit getötet. Mehrere Sachverständige hielten einen Tod durch Fremdeinwirkung für wahrscheinlicher als die lange verfolgte These der Selbstanzündung, berichtete „Monitor“ am Donnerstag unter Verweis auf die Ermittlungsakten. Vertreter der Linken und der Grünen in Sachsen-Anhalt forderten erneut eine umfassende, unabhängige Aufklärung des Falls.

Der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Landtag von Sachsen-Anhalt, Sebastian Striegel, erklärte, „Lügen von Polizei-Beamten“ hätten eine Aufklärung des Falls bislang verhindert. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verlangte, Straftat-Vorwürfe gegen Polizisten in Deutschland generell wie in anderen europäischen Staaten von unabhängigen Ermittlern untersuchen zu lassen.

„Monitor“ zufolge geht der langjährige Ermittler der Staatsanwaltschaft Dessau, der leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann, von einem Tötungsverbrechen bis hin zum Mord aus. Demnach hält Bittmann es für wahrscheinlich, dass Jalloh bereits vor Ausbruch des Feuers mindestens handlungsunfähig oder sogar schon tot war und mit Brandbeschleuniger besprüht und angezündet worden sei.

Konkrete Verdächtige bei Dessauer Polizei

Der Oberstaatsanwalt benennt laut „Monitor“ in dem Brief sogar konkrete Verdächtige aus den Reihen der Dessauer Polizeibeamten. Als Motiv für die Anzündung Jallohs gilt die Vertuschung einer vorangegangenen Straftat an dem Asylbewerber. Jalloh starb am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle, an Füßen und Händen gefesselt an eine Matratze bei einem Brand. Es gab mehrere Gerichtsverfahren. Jalloh sollte die Matratze mit einem Feuerzeug selbst angezündet haben.

Die Anwältin der Familie Jalloh, Gabriele Heinecke, sagte dem Magazin, angesichts der neuen Erkenntnisse sei die Einstellung des Verfahrens ein Skandal. Die mittlerweile zuständige Staatsanwaltschaft Halle hatte vor etwa einem Monat angekündigt, den Fall zu schließen, da sich keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Beteiligung Dritter an der Brandlegung ergeben hatten und eine weitere Aufklärung nicht zu erwarten sei. Die Anwältin der Familie hat dagegen Beschwerde eingelegt und will angesichts der neuen Erkenntnisse Strafanzeige erstatten.

Auch Amnesty-Polizeiexperte Alexander Bosch kritisierte die Staatsanwaltschaft. Diese habe sich im Fall Jalloh zu lange geweigert, wegen Mordes zu ermitteln. Einer neuen Petition zur Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens zum Tod von Oury Jalloh schlossen sich auf der Internet-Plattform „change.org“ bis zum Nachmittag rund 25.000 Unterstützer an.

Die innenpolitische Sprecherin der Links-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, Henriette Quade, sprach am Donnerstag mit Blick auf den "Monitor"-Bericht von einer „Zäsur in der Prozessgeschichte“. Es bestätige sich erstmals der Verdacht:

„Oury Jalloh, das war Mord“

„Oury Jalloh, das war Mord“. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Striegel, bezeichnete den Fall als „eine offene Wunde im Rechtsstaat“. Der Tod von Oury Jalloh sei ohne den Blick auf institutionellen Rassismus nicht erklärbar.

Die Staatsanwaltschaft Halle sieht in dem Fall keine neuen Erkenntnisse. Alles, was von Sachverständigen und an Gutachten vorliege, sei aktenkundig gewesen, als die Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens getroffen wurde, betonte Oberstaatsanwältin Heike Geyer am Donnerstag.

In Deutschland scheitern nach Angaben des Statistischen Bundesamts 92 Prozent der Ermittlungen gegen Polizisten. Verfahren wegen Körperverletzung führen bei Amtsträgern nur in 22 Prozent der Fälle zu einer Verurteilung, während 67 Prozent der beschuldigten Privatpersonen verurteilt werden. Grund dafür sei, dass bei Vorwürfen gegen Polizisten oft kein konkreter Täter ermittelt werden könne, da Polizisten oft nicht gekennzeichnet seien und nicht gegen Kollegen aussagten, sagte Amnesty-Experte Bosch. Gerichte hielten Aussagen von Polizisten zudem oft für glaubhafter als Aussagen von Privatpersonen. (epd/dpa)

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