Neues Gutachten im Feuertod-Fall Oury Jalloh: „Das war Mord!“
Im Jahr 2005 wurde die verbrannte Leiche des afrikanischen Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Zelle der Dessauer Polizei gefunden. Bisher ging man von Selbstmord aus. Doch ein neues Gutachten spricht gegen Suizid.
Es sind schockierende Videoaufzeichnungen, die der Beamer am Dienstag im Berliner Haus der Demokratie an die Wand wirft. Sie zeigen ein verkrümmtes, schwarz verkohltes Etwas auf dem Boden eines ansonsten leeren, weißgekachelten Raumes. Man braucht einen Augenblick um zu begreifen, dass es sich bei dem seltsamen Gebilde auf der Erde um die sterblichen Überreste eines Menschen handelt, dessen Hände und Füße an der Wand und am Boden festgeschnallt sind. „Das war Mord!“, sagt eine Stimme aus dem Off.
Die Bilder dokumentieren und hinterfragen den rästselhaften Feuertod des afrikanischen Asylbewerbers Oury Jalloh. Der Mann aus dem westafrikanischen Sierra Leone war am 7. Januar 2005 in einer Zelle der Polizei in Dessau (Sachsen-Anhalt) verbrannt. Die Staatsanwaltschaft ging damals und in späteren Gerichtsverfahren davon aus, dass sich Oury – trotz Hand- und Fußfesseln – auf einer schwer entflammbaren Matratze mit einem Feuerzeug selbst angezündet habe. Freunde des Getöteten hatten diese Annahme von Anfang an bezweifelt und sich in einer „Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh“ zusammengeschlossen.
Neue Untersuchungen entkräften bisherigen Selbstmordverdacht
Ein von der Initiative bei einem irischen Brandsachverständigen in Auftrag gegebenes Gutachten widerlegt nun die These vom Selbstmord. Nach einer Reihe von Untersuchungen steht für die Unterstützter fest, dass sich Oury Jalloh im Dessauer Polizeigewahrsam keinesfalls selbst angezündet habe, sondern Dritte seinen Tod zu verantworten hätten. Unter anderem hätten Testreihen des Sachverständigen Maksim Smirnou ergeben, dass bei dem Feuer in der Dessauer Polizeizelle Brandbeschleuniger wie beispielsweise Benzin zum Einsatz gekommen sei. Der Experte hatte das Feuer in der Dessauer Zelle in einem Schuppen mit Schweinekadavern originalgetreu nachgestellt.
„Wir haben jetzt beim Generalbundesanwalt Harald Range in Karlsruhe Strafanzeige wegen Totschlag oder Mordes gegen unbekannte Polizeibeamte gestellt“, sagte der Sprecher der Initiative, Thomas Ndindah. Er begründete den Schritt mit mangelndem Vertrauen in die Justiz in Sachsen-Anhalt. Zudem sei die innere Sicherheit der Bundesrepublik betroffen, sollte sich der Tatverdacht gegen Mitglieder der Exekutive erhärten. Außerdem warf Ndinhah der Justiz im Fall Oury Jalloh weitere schwere Versäumnisse vor. So habe es trotz verschiedener Gerichtsverfahren keine adäquate Rekonstruktion von Brandentstehung und -verlauf in Oury Jallohs Zelle gegeben.
„Was jetzt auf dem Tisch liegt, kann nicht einfach weggewischt werden“
Für die Staatsanwaltschaft Sachsen-Anhalt wirft das nun vorgelegte Gutachten ein neues Licht auf den Fall Oury Jalloh. „Was jetzt auf dem Tisch liegt, kann nicht einfach weggewischt werden“, sagte der Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann nach der Vorstellung der Untersuchung. Er sprach von „sehr ernsten, überraschenden und zum Teil erschreckenden Informationen“, die das Sachverständigengutachten ans Tageslicht befördert habe. Aller Voraussicht müssten die Ermittlungsbehörden nun ein neues Brandgutachten in Auftrag geben. Zugleich wies Bittmann Vorwürfe zurück, die Ermittler hätten in dem Fall absichtlich Erkenntnisse ignoriert.
Wegen der ungeklärten Todesumstände Oury Jallohs gab es bereits zwei Gerichtsverfahren vor den Landgerichten Dessau und Magdeburg. Dabei sind Fragen zum Hergang offen geblieben. In der zweiten Hauptverhandlung war vom Landgericht Magdeburg im Dezember 2012 der Polizist Andreas S. wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 10 800 Euro verurteilt worden. Die Richter schlossen allerdings aus, dass jemand anderes das Feuer gelegt haben könnte. Nach Ansicht des Gerichts gab es dafür „kein einziges unmittelbares Beweismittel“. Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklagevertretung haben vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe Revision gegen das Magdeburger Urteil eingelegt.
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