zum Hauptinhalt
Die Bundespolizisten Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) und Falke (Wotan Wilke Möhring) in ihrem letzten gemeinsamen „Tatort“, ihrem besten.
© NDR/Alexander Fischerkoesen

"Tatort" über Flüchtlinge: Ein Fall, der allen weh tut

"Black Magic Woman" und die deutsche Nationalhymne: Der heutige Flüchtlings-„Tatort“ nach einem krassen, realen Fall – er geht uns näher, als uns recht sein kann.

Spielhallen, Mietskasernen, Blumenboutiquen, verwaiste Bushaltestellen, im Hintergrund Rauch und Stahltürme einer Industrieanlage in der niedersächsischen Provinz, das Ganze gesehen aus einem langsam fahrenden Auto, dazu als Hintergrundmusik – die deutsche Nationalhymne. Ein paar Sekunden später, die Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) sitzen im Auto, beobachten zwei dunkelhäutige Männer, die, mutmaßlich, mit gefälschten Pässen handeln. Es erfolgt der Zugriff. Die Täter entkommen zunächst. Einer wird eingeholt, schlägt der Lorenz in die Magengrube, bis Falke eintrifft und diesen Mann krankenhausreif prügelt – besinnungslos vor Wut. Später wird der Mann, ein Schwarzafrikaner, tot in seiner Gefängniszelle gefunden. Verbrannt.

Vorab, das ist eine der verstörendsten, aufrüttelndsten „Tatort“-Ausgaben der vergangenen Jahre. Nicht nur, aber auch, weil der Krimi auf einer wahren Begebenheit beruht. Im Januar 2005 verbrannte der Asylbewerber Oury Jalloh, mit Handschellen an eine Liege gefesselt, in einer Dessauer Gefängniszelle. Autor Stefan Kolditz („Nackt unter Wölfen“) und NDR-Fernsehspielchef Christian Granderath hatten den Tod des Asylbewerbers und den juristischen Umgang damit verfolgt. Es sei bis zu diesem „Tatort“, sagt Kolditz, unvorstellbar für ihn gewesen, dass in einer Zelle in Deutschland, quasi vor den Augen von Polizeibeamten, ein Mann verbrennen konnte.

Skandal um die juristische Aufklärung

Der Fall Jalloh bildet den Ausgangspunkt des Films, es sei aber nicht darum gegangen, Jallohs Schicksal nachzuerzählen, so Kolditz. Im Fernsehkrimi wird der Täter nach wenigen Tagen ermittelt. In Wirklichkeit behinderte die Dessauer Polizei die Untersuchungen. Nach mehr als zwei Jahren begann der erste Gerichtsprozess. Eine „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ und eine ARD-Doku trugen dazu bei, dass der Skandal um die juristische Aufklärung bundesweit bekannt wurde. Einer der Dessauer Polizisten wurde 2012 wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldbuße verurteilt.

Es ist seit über 40 Jahren die Stärke des „Tatort“, politisch-gesellschaftliche Themen, Missstände aufzugreifen und in eine populäre Geschichte zu packen, ein Millionenpublikum zu erreichen. Das gelingt oft auch über die Identifikation, die Verstrickung mit den Kommissaren, oder, wie hier, den Bundespolizisten Falke und Lorenz. Die haben einige Folgen Anlauf gebraucht, um miteinander warm zu werden, auch mit den Zuschauern. Falke ist nicht Schimanski oder Tschiller (Til Schweiger), der andere Hamburger „Tatort“-Rambo. So recht weiß der Zuschauer nicht, woran er bei diesen Bundespolizisten ist, schon gar nach dem albernen Osterhasen-Krimi zuletzt. Das macht die Sicht auf diese neue, alte Geschichte nach einer unerhörten, wahren Begebenheit so faszinierend.

Der nach Falkes Faustschlägen blutende Afrikaner wird in einer Gefängniszelle an Armen und Beinen gefesselt. Am Morgen schlagen Flammen in der Zelle hoch, der Mann verbrennt, unter den wachhabenden Polizisten will keiner die Schuld tragen. Wir sehen betroffen, eher gelangweilt dreinschauende Beamte, die offenbar das Credo ihres Revierstellenleiters verinnerlicht haben, das der den Bundespolizisten entgegenschleudert: „He, was wollt ihr? Das sind Neger, Drogendealer, wir sind im Krieg, Mann. Wir machen den Dreck weg, den ihr durchlasst.“

Wieso sieht dein Freund und Helfer zu, wenn ein Mensch verbrennt?

Klar sind die Polizisten in der niedersächsischen Kleinstadt auch welche von uns. Klar, dass sich der Zuschauer fragt: Wieso sieht dein Freund und Helfer zu, wenn ein Mensch verbrennt? Wie institutionalisiert ist der Rassismus? Und: Was macht es jetzt mit uns, wenn Hunderttausende, vielleicht Millionen von Flüchtlingen nach Deutschland kommen?

Kein atemlos spannender Krimi, aber krasses Polit-Cop-Kino. Der Film wird Diskussionen auslösen. Ein „Tatort“, der allen weh tut. Weh tun muss. Autor Kolditz hätte sich für seine Variante der Geschichte kaum eine bessere Volte einfallen lassen können als diesen anfänglichen Wutausbruch vom Bullen Falke. Dieser weiß nicht so recht, woran er bei sich selber ist. Der verprügelte, wie sich später herausstellt, unschuldige Schwarzafrikaner als Mordopfer – Falke, der Gute, muss sich die Frage nach seiner moralischen Integrität, nach seiner Menschlichkeit stellen, gerade auch in Abgrenzung zu den offenbar fahrlässigen oder gar rassistischen Polizisten vor Ort, den Bösen.

Eine weitere gute Idee: diese Geschichte nicht plakativ in den neuen Bundesländern, gar in Dessau erzählen zu lassen, sondern nach Westdeutschland zu verlegen, in die niedersächsische Provinz, nach Salzgitter. Zu dieser Herkunft sagt der verdächtige Polizist Multi zur Bundespolizistin: „Der Bäcker hier ist jetzt Türke, die Kneipe heißt ,Platon 3“, das ist doch keine Heimat mehr.“ Salzgitter könnte auch Dessau oder Dusslingen sein oder Bremen-Ritterhude oder vielleicht sogar München. Und das setzt vor allem Katharina Lorenz zu, von der sich Falke im Laufe seiner wütenden Ermittlungen immer mehr entfernt.

Klaustrophobische Stimmung

Viel Betroffenheit also, viele Personen im Gegen-, im Zwielicht, in Nahaufnahme, klaustrophobische Stimmung, Nebel, Braun und Herbststimmung, es spielt alles um den 3. Oktober herum. Ein leiser vom jungen Autorenfilmer Thomas Stuber souverän, teils mit Handkamera, inszenierter Abschied. Petra Schmidt-Schaller hat ihren letzten Auftritt als Bundespolizistin an der Seite des Kollegen, mit dem sie in der vorletzten Folge ein Techtelmechtel angefangen hatte. Aber was heißt das schon: Techtelmechtel, angesichts des Falles, der hier diskutiert wird? Als die Lorenz zu einer Grill-Party der Polizisten in ein Reihenhaus kommt, stehen diese biertrinkend beieinander und beäugen die Neue misstrauisch, weil sie den Zusammenhalt der Polizisten zu gefährden droht. Im Hintergrund läuft nicht die Nationalhymne sondern: „Black Magic Woman“.

„Tatort - Verbrannt“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15

Zur Startseite