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Forderung nach Gerechtigkeit. Demonstranten in Buenos Aires verlangen, dass der Tod von Alberto Nisman aufgeklärt wird. 
© dpa

Fall Nisman: Argentinien: Land des Verdachts

Nach dem rätselhaften Tod von Untersuchungsrichter Alberto Nisman schlittert Argentinien in eine tiefe Staatskrise. Der von ihm untersuchte Anschlag auf ein jüdisches Kulturzentrum ist nimmer noch nicht aufgeklärt.

Man muss nicht hellsehen, um vorauszusagen, dass der Tod des argentinischen Untersuchungsrichters Alberto Nisman niemals völlig aufgeklärt werden wird. Zu viele Ungereimtheiten, Zufälle und Widersprüche umranken den Fall, als dass er nicht ewig Zweifel provozieren und Stoff für Verschwörungstheorien liefern würde. Bereits jetzt hat er eine Staatskrise in Argentinien ausgelöst und Präsidentin Cristina Fernández Kirchner in Erklärungsnot gebracht. Nisman untersuchte seit 2004 den Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum Amia 1994. Er glaubte mit der iranischen Regierung sowie der libanesischen Hisbollah-Miliz die Schuldigen gefunden zu haben und warf Kirchner vor, die Verfolgung der Verantwortlichen zu hintertreiben, weil sie mit den Iranern Geschäfte machen wolle.

Die neuesten Indizien deuten nun auf einen Selbstmord Nismans hin: keine fremde DNA an Kleidung und Körper; keine Gewalteinwirkung außer dem aufgesetzten Todesschuss in die Schläfe; die nachgewiesene Herkunft der Pistole, die Nisman sich von einem Mitarbeiter geliehen hatte. Dennoch bleiben zumindest Merkwürdigkeiten: Alberto Nisman stand kurz davor, einen Untersuchungsbericht mit neuen Anschuldigungen gegen die Präsidentin zu veröffentlichen; in seinem Mülleimer fand man einen Entwurf für Haftbefehle gegen sie und ihren Außenminister Héctor Timmerman; er bekam Morddrohungen.

Nisman unterhielt enge Verbindungen zur US-Botschaft

Solche Informationen kommen seit Wochen fast täglich ans Licht. Sie können mal in die eine, mal in die andere Richtung gedeutet werden und werden entsprechend von Anhängern und Gegnern der Regierung benutzt. Ein Beispiel hierfür ist die von Wikileaks öffentlich gemachte und merkwürdig enge Beziehung zwischen Nisman und der US-Botschaft in Buenos Aires, welche er über alle seine Schritte informierte – und die dennoch intern an seinen Erkenntnissen zweifelte, weil diese fast ausschließlich von einer Quelle stammten, dem Geheimagenten Antonio Stiusso. Ein anderes Beispiel ist die Flucht des Journalisten Damián Pachter nach Israel. Er hatte den Tod Nismans als Erster publiziert und wurde deswegen nach eigener Aussage bedroht. Offenbar überwachte die Regierung ihn. Pachter meint, er habe mit seiner frühen Nachricht den Zeitplan der mutmaßlichen Verschwörer durcheinandergebracht. Fest steht, dass Argentinien sich durch den Fall Nisman weiter polarisiert hat.

Dabei ist die Aufklärung des Anschlags, den Nisman selbst untersuchte, völlig in den Hintergrund geraten: das Selbstmordattentat auf das jüdische Kulturzentrum Amia, das im Juli 1994 in Buenos Aires 85 Menschen in den Tod riss und 300 Personen verletzte. Es war einer der schwersten antisemitischen Mordtaten seit 1945.

„Aber nach fast 21 Jahren gibt es keine Festnahmen und keine Spuren, die ernsthaft verfolgt werden“, sagt Diana Malamud. Sie ist Vorsitzende der Opfervereinigung Memoria Activa, sie verlor ihren Mann, einen Architekten, bei dem Anschlag, er war 37 Jahre alt. „Das Einzige, was wir sehen, ist die Verschleppung und Verschleierung der Ermittlungen“, sagt sie, „und das schon von Beginn an, seit den Neunzigern.“

Jeden Montag versammeln sich die Mitglieder von Memoria Activa vor dem Justizpalast in Buenos Aires und fordern Gerechtigkeit. Dort beklagt Malamud, dass die argentinische Demokratie durch den Tod Nismans geschwächt worden sei. Der Amia-Anschlag werde für politische Auseinandersetzungen missbraucht, die Wahrheit interessiere niemanden mehr.

Kirchner glaubt an die "syrische Piste"

Ganz kategorisch ist Claudio Epelman. Der Direktor des Jüdisch-Lateinamerikanischen Kongresses mit Sitz in Buenos Aires sagt: „Die Größe Argentiniens wird sich dadurch erweisen, ob der Tod Nismans auch das Ende der Untersuchungen des Anschlags bedeutet oder nicht.“ Man warte seit zwei Dekaden auf Antworten, die Morde seien ungesühnt, erklärte Epelman dem Tagesspiegel.

Neben der iranischen Spur, die Nisman verfolgte – 2006 hatte er internationale Haftbefehle gegen sieben iranische Regierungsfunktionäre erwirkt, darunter Ex-Präsident Rafsandschani – gibt es einige weitere Verdachtsmomente. Da ist beispielsweise die „syrische Piste“, eine Theorie, die von Nisman ignoriert wurde, der aber Präsidentin Kirchner anhängt.

Demnach spricht vieles dafür, dass der Amia-Anschlag Teil eines syrischen Rachefeldzugs gegen Ex-Präsident Carlos Menem war, selbst syrischer Herkunft. Menem habe, so die These, gegenüber Syriens Staatschef Assad verschiedene Abmachungen nicht eingehalten, unter anderem einen Atomreaktor nicht geliefert sowie Waffen- und Drogendeals platzen lassen. Um sich wegen dieser schmutzigen Geschäfte aus der Schusslinie zu bringen, habe Menem die Ermittler damals angewiesen, die syrischen Spuren nicht weiter zu verfolgen. In dieser Angelegenheit soll ab Juni ein Prozess gegen Menem und andere Beschuldigte beginnen. „Wir hoffen, dass dann endlich der Anfang des Wollknäuels gefunden wird“, sagt Diana Malamud mit einer argentinischen Redewendung.

Die Nachfolge als oberster Ermittler des Amia-Anschlags wird nun der Holocaust-Experte und anerkannte Untersuchungsrichter Daniel Rafecas antreten. Er hat Erfahrung in schwierigen Fällen, klagte etwa gegen das argentinische Militär wegen der Spionage gegen Menschenrechtsaktivisten. Der Fall Nisman dürfte seine komplizierteste Aufgabe werden.

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