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Schulen öffnen - leichter gefordert als getan
© Frank Rumpenhorst/dpa

RKI-Chef Wieler befürchtet einen „Wendepunkt“: Anzeichen für die dritte Welle

Nächste Woche sollen Schulen öffnen – ausgerechnet jetzt deutet sich eine dritte Corona-Welle an.

Ob er die geplante Öffnung der Schulen eigentlich für verantwortbar halte, wird Jens Spahn gefragt. Der Gesundheitsminister überlegt kurz.

Spahn sitzt wie mittlerweile jeden Freitag gemeinsam mit dem Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, auf dem Podium der Bundespressekonferenz. Die Frage ist seit Monaten knifflig zu beantworten, an diesem Freitag aber noch mal ganz besonders. Denn was der Minister und sein oberster Pandemie-Beobachter eingangs berichtet haben, liefert wenig Anlass zu Lockerungen. „Wir stehen möglicherweise erneut an einem Wendepunkt“, fasst Wieler die Coronalage zusammen.

Es könnte der Punkt sein, an dem die britische Virusmutation B117 das Kommando in Deutschland übernimmt. „Das Virus gibt nicht einfach auf“, sagt Spahn. Die Pandemie mache offenbar gerade eine „Seitwärtsbewegung“. Am zweiten Tag in Folge kann das RKI kein weiteres Absinken der Zahlen vermelden. Bei einer bundesweiten Inzidenz von 56 scheine es so zu sein, dass die Bundesländern auf ein Plateau zusteuerten, berichtet Wieler; in Thüringen stiegen die Zahlen sogar wieder leicht an.

Virus B117 sucht sich offenbar gern Jüngere aus

Wenn das nicht nur eine zufällige Schwankung ist, sondern die erste sichtbare Auswirkung von B117, dann wird die Pandemiebekämpfung noch einmal schwieriger. Die Variante ist möglicherweise gefährlicher, vor allem aber deutlich ansteckender als die Urform. Sie verbreitet sich dadurch schneller und bestraft Nachlässigkeiten stärker. In Ländern wie Großbritannien, Irland, Portugal oder Dänemark war sie wohl zumindest mitverantwortlich für steil ansteigende Fallzahlen.

Er rechne in den nächsten Wochen auch mit mehr Ausbrüchen unter Jugendlichen und Kindern, sagt Wieler. Auch diese Verschiebung hin zu Jüngeren ist in vielen Ländern beobachtet worden, etwa in Israel, in denen B117 schon weiter verbreitet ist als hierzulande.

Kann es also wirklich bei den Schulöffnungen bleiben, die die Ministerpräsidenten der Kanzlerin bei ihrem letzten Treffen abgetrotzt hatten? Ganz glücklich sind der Minister und sein Experte nicht bei dem Gedanken. Allein in seiner Heimat Nordrhein-Westfalen, sagt Spahn, bedeute das millionenfache zusätzliche Mobilität: Kinder, Betreuer und Lehrer auf dem Weg in Kitas und Schulen, Eltern, die hinbringen und abholen.

Abraten wollen beide aber auch nicht. Schule sei im Prinzip schon möglich, sagt Spahn: „Die Frage ist ja: wie?“ Wieler erinnert an die Empfehlungen seines Instituts für Schulen: Masken tragen, Lüften, kleinere Klassen und weniger Kontakte durch Wechsel- und zeitversetzten Unterricht, Bildung fester Gruppen, die möglichst nicht mit anderen zusammenkommen. „Es hat genug Zeit gegeben, die Konzepte vorzubereiten und umzusetzen“, mahnt der RKI-Chef.

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An einem Punkt stellt Spahn Erleichterungen in Aussicht, nämlich für Kita-Betreuer und Grundschullehrer. Am Montag will der Bundes- sich mit den Länder-Gesundheitsministern über eine Änderung der Impfprioritäten verständigen. Dabei dürften alle, die beruflich mit Kleinkindern und Grundschülern zu tun haben, in die zweite Gruppe der Impfkandidaten nach den Ältesten und Heimbewohnern aufrücken. Sein Haus werde dafür einen Vorschlag machen, und er rechne mit rascher Einigung. Denn bei der Betreuung der Kleinsten sei es ja besonders schwierig, Abstand- und Hygieneregeln einzuhalten. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek, an diesem Tag als Sondergast mit auf dem Podium, unterstützt den Plan schon mal ausdrücklich.

Astrazeneca-Skepsis bietet Spielraum

Erleichtert wird die Vorfahrt für Betreuer paradoxerweise durch die Skepsis, auf die bei vielen Menschen der Impfstoff von Astrazeneca stößt. Das Mittel war in den Zulassungsstudien nicht ganz so wirksam wie die Konkurrenzprodukte von Biontech/Pfizer und Moderna, was allerdings – Spahn und Wieler betonen es noch einmal – eher akademisch und in der Praxis bedeutungslos ist: Keiner der Menschen, der zwei Dosen von Astrazenecas Mittel erhalten habe, sagt Spahn, habe danach in ein Krankenhaus gemusst. Alle drei zugelassenen Impfmittel „halten, was sie sollen“, nämlich einen schweren, womöglich tödlichen Krankheitsverlauf verhindern.

Wie es weitergeht mit den Schulen und darüber hinaus, erscheint aber ungewisser denn je. Spahn und Wieler mahnen ebenso wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zu vorsichtigem, schrittweisen Vorantasten. „Jede unbedachte Lockerung wirft uns zurück“, warnt Wieler. „Wir wollen nichts überstürzen“, sagt auch Söder, der in München von einer Schaltkonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel und fast 100 bayerischen Oberbürgermeistern und Landräten berichtet. Jeder Öffnungsschritt sollte mindestens zwei Wochen lang beobachtet werden, weil eventuelle negative Folgen erst dann in den Inzidenzzahlen ablesbar seien.

Das würde dann wohl auch für weitere Öffnungsschritte in den Schulen gelten, also für die älteren Jahrgänge. Sich dafür jetzt schon auf feste Inzidenzzahlen festzulegen, wie es einige Länderregierungen in ihren Stufenplänen vorgeschlagen haben, halten Spahn und Söder für falsch. Es brauche eine „intelligente Öffnungsmatrix“ mit einem flexiblen Instrumentarium, um rasch reagieren zu können, sagt Söder. Auch Spahn rät von starren Stufen ab. Man kann die zwar aufschreiben, dem Virus aber nicht vorschreiben, dass es sich daran hält: „Den Gefallen tut uns das Infektionsgeschehen nicht.“

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