NSU-Prozess: Anwälte von Ralf Wohlleben kündigen "Gegenvorstellung" an
Die Hängepartei im NSU-Prozess geht weiter: Neue Beweisanträge verzögern den Fortgang der Plädoyers. Wann und wie es am OLG München weitergeht, ist offen.
Die Hängepartei im NSU-Prozess nimmt kein Ende, der Fortgang der Plädoyers ist weiterhin nicht in Sicht. Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München hat am Dienstag die Beweisanträge der Verteidiger von Ralf Wohlleben als bedeutungslos abgewiesen, die Anwälte wollen nun mit einer „Gegenvorstellung“ kontern. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl unterbrach die Hauptverhandlung, sie wird diesen Mittwoch fortgesetzt. Wie es dann weitergeht, ist offen.
Wohllebens Verteidiger hatten, wie berichtet, vergangene Woche drei Beweisanträge gestellt, obwohl die Beweisaufnahme schon seit Monaten geschlossen ist. Die Strafprozessordnung lässt jedoch das Manöver zu. Die Bundesanwaltschaft und ein Nebenklage-Anwalt hielten den Verteidigern vor, sie wollten den Prozess verschleppen. Der Strafsenat hat womöglich einen ähnlichen Verdacht, hält ihn aber nicht für ausschlaggebend.
Da der „Ablehnungsgrund der tatsächlichen Bedeutungslosigkeit“ vorliege, könne offen bleiben, „ob die Antragstellung nach Ablauf einer für die Stellung von Beweisanträgen gesetzten Frist als Indiz für das Vorliegen einer Verschleppungsabsicht“ zu werten sei, heißt es in dem Beschluss des Senats zur Ablehnung der Anträge. Die Richter konzentrieren sich darauf, die Argumente der Verteidiger zu zerpflücken.
Es geht um die Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83
Wohllebens Anwälte hatten gefordert, drei Zeugen zu laden, die angeblich einen anderen Weg der Mordwaffe Ceska 83 beschreiben würden als es die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage tut und wie es auch in der Beweisaufnahme plausibel erschien. Aus Sicht der Verteidiger ist jedoch die Pistole mit Schalldämpfer und Munition nicht über Wohlleben und den Mitangeklagten Carsten S. an die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gelangt. Mit der Waffe hatten die beiden Neonazi neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen.
Carsten S. hatte allerdings schon zu Beginn des Prozesses gestanden, im Frühjahr 2000 die Ceska 83 in Jena von einem Mittelsmann gekauft und nach Chemnitz zu Mundlos und Böhnhardt gebracht zu haben. Die Terroristen hielten sich damals in der sächsischen Stadt mit Beate Zschäpe versteckt.
Carsten S. belastete zudem Wohlleben, die Beschaffung der Waffe eingefädelt und das Geld für den Kauf gegeben zu haben. Die Bundesanwaltschaft wirft beiden Angeklagten Beihilfe zu neunfachem Mord vor. Bundesanwalt Herbert Diemer forderte im September 2017 in seinem Plädoyer zwölf Jahre Haft für Wohlleben und drei Jahre für den reuigen Carsten S. Wohlleben bestreitet bis heute, an Erwerb und Weitergabe der Mordwaffe beteiligt gewesen zu sein.
Reagieren Wohllebens Verteidiger mit Befangenheitsanträgen?
Die Verteidiger des ehemaligen Vizechefs der Thüringer NPD behaupten nun, Mundlos und Böhnhardt seien an die Pistole über einen Jug P. und einen Sven R. herangekommen. Beide zählten zumindest im Jahr 2000 zur Skinheadszene in Thüringen. Jug P. soll die Waffe aus der Schweiz erhalten haben, Sven R. kommt für die Verteidiger als Lieferant für Mundlos und Böhnhardt in Betracht. Doch nach Ansicht der Richter fällt die Argumentation der Anwälte an einem zentralen Punkt in in sich zusammen.
Der Senat will gar nicht ausschließen, dass Sven R. dem NSU Pistolen beschafft haben könnte. Doch Indizien, die Mordwaffe Ceska 83, Seriennummer 034678, hätten Sven R. und Jug P. für Mundlos und Böhnhardt besorgt, sehen die Richter weder in den Beweisanträgen noch im bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme. Der Senat hält es denn ebenfalls für unnötig, der Forderung der Verteidiger zu entsprechen, Akten aus einem laufenden Verfahren des Landeskriminalamts Baden-Württemberg gegen Jug P. beizuziehen. Auch die Einvernahme eines dritten Zeugen, den Wohllebens Anwälte nennen, ist für die Richter überflüssig.
Verteidigerin Nicole Schneiders kündigte nach Götzls Vortrag die Gegenvorstellung an. Das weitere Prozedere könnte nun so aussehen: die Richter weisen auch die Gegenvorstellung zurück, dann reagieren Wohllebens Verteidiger, wie schon so oft, mit Befangenheitsanträgen. Darüber müssten andere Richter des Oberlandesgerichts entscheiden. Der Prozess würde vermutlich für mehrere Tage unterbrochen. Wahrscheinlich würden aber auch diese Ablehnungsgesuche scheitern, wie die mehr als 30 Befangenheitsanträge zuvor gegen die Richter.
Irgendwann im Februar könnten dann die Plädoyers der Nebenkläger wieder aufgenommen werden. Zuletzt hatte vor drei Wochen eine Opferanwältin ihren Schlussvortrag gehalten. Begonnen hatten die Plädoyers bereits im Juli 2017. Nach dem Ende des Schlussvortrags der Bundesanwaltschaft im September haben jedoch Wohllebens Anwälte und weitere Verteidiger die Verhandlung mit Befangenheitsanträgen mehrmals blockiert.