Fremdenhass im Erzgebirge: Anti-Asyl-Initiative gegen die "Freie Presse"
Die "Heimattreue Niederdorf" erteilt einem Reporter der "Freien Presse" nach einem kritischen Bericht Hausverbot - und stellt ihn an den Internet-Pranger.
Die Anti-Asyl-Initiative "Heimattreue Niederdorf" im Erzgebirge gibt sich gern als die verfolgte Unschuld. Sie demonstriere regelmäßig gegen die Asylpolitik der Bundesregierung, lässt sie auf ihrer Internetseite wissen. Jung und Alt, Mann und Frau seien Mitglied, erläutert die Protestbewegung. "Wir sind keine Rechtsradikalen, wir sind Menschen wie du und ich." Die unterschiedlichsten Veranstaltungen würden organisiert - von Selbstverteidigungskursen für Frauen und Kinder über gemeinsames Rodeln bis zu Tanzveranstaltungen. Der Weihnachtsmann habe den Kindergarten besucht. "Aber uns nennt man Pack, Mob, Mischpoken im ,Schandfleck' Sachsen."
Ein Reporter der Kreisredaktion Stollberg der "Freien Presse" hat solche Worte gar nicht in den Mund genommen - und bekommt nun dennoch die volle Wut der "Heimattreue Niederdorf" zu spüren, die sonst in der 1200-Einwohner-Gemeinde mit "Lichtelläufen" und Veranstaltungen unter dem Motto "Stunde der Patrioten" Stimmung gegen Flüchtlinge macht. Die Initiative erteilte dem Redakteur Björn Josten nach einem kritischen Bericht ein "Hausverbot" für alle ihre Versammlungen - auch für die unter freiem Himmel. Und stellte ihn mit einem Youtube-Video an den Internetpranger. Ihm fehle die Courage, seine Kritik an der Asyl-Initiative zu begründen, erklärte sie.
Schweinskopf vor Flüchtlingsunterkunft aufgespießt
In einem vergangene Woche erschienenen Text hatte Josten in der Regionalzeitung die rechten Angriffe gegen Flüchtlinge im Erzgebirgskreis zusammengefasst - Pöbeleien, Hitlergruß, verprügelte Flüchtlinge. Die Zeitung erinnerte daran, dass auch in Niederdorf im vergangenen Dezember an der Grundstücksumfriedung einer Asylunterkunft ein Schweinskopf angebracht worden war, daneben waren Plakate gegen Flüchtlinge aufgehängt worden.
Die Zeitung berichtete unter Berufung auf die Antifaschistische Aktion Erzgebirge, dass im Umfeld der Anti-Asyl-Demonstrationen Strukturen aufgebaut würden, die organisierte Neonazis mit einbezögen. Kritisch gesehen werde von der Antifa die Gründung von Gruppen wie "Stollberger Patrioten", "Freie Kameradschaft Stollberg" oder "Heimattreue Niederdorf".
Man sei "keine Nazi-Bewegung", wehrte sich die "Heimattreue Niederdorf" in einem Offenen Brief an Josten. Der "Freie Presse"-Bericht sei "falsch und diffamierend". Für inakzeptabel hielt es die Anti-Asyl-Initiative, die Antifa als Quelle der Vorwürfe zu nehmen und damit "jene, die andere in Chemnitz mit Bierflaschen aus Hochhäusern bewarfen und zerstörend nachts durch unsere Mitte schleichen".
Als Josten dann doch zur nächsten Demonstration erscheint, ist die "Heimattreue" mit einer Videokamera dabei. Der Redakteur wird aufgefordert, den "Niederdorfern und Zugereisten zu erklären, warum wir fremdenfeindlich sind". Als der nicht ans Rednerpult kommt, spricht "Heimattreue"-Chef Thomas Witte erneut das "Hausverbot" aus. Eine grölende Menge fordert: "Du kannst nach Hause gehen". Das Video wird ins Netz gestellt. Die Initiative behauptet, die Polizeibehörden hätten den Reporter noch vor Beginn der Versammlung des Platzes verwiesen.
"Freie Presse"-Reporter Josten erklärte dazu: "Ich habe diese Situation – auch wenn keine Drohung ausgesprochen wurde – dennoch als bedrohlich empfunden."
Die Landesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), Ine Dippmann, kommentiert das Vorgehen der "Heimattreue Niederdorf": "Nur mal so: Pressefreiheit heißt nicht, dass man sich von Presse frei machen kann, wenn Berichterstattung nicht passt."
DJV-Sprecher Hendrik Zörner ergänzt im Gespräch mit der "Freien Presse": "Das ist ein klarer Einschüchterungsversuch und ein klarer Verstoß gegen die Pressefreiheit. Und das passt leider genau in das Schema, das wir seit Anfang 2015 immer häufiger beobachten: dass Journalisten bei solchen Demos öffentlich an den Pranger gestellt werden, ihre Arbeit behindert wird oder sie sogar tätlich angegriffen werden.“
"Neonazi-Verbindungen gibt es", sagt der Chefredakteur
Der Chefredakteur der "Freien Presse", Torsten Kleditzsch, sagte dem Tagesspiegel zum "Hausverbot": "Rechtlich geht das natürlich gar nicht." An der Polizeiarbeit habe seine Zeitung nichts auszusetzen, die Polizei habe sich "korrekt verhalten". Wobei Josten offenbar auch nicht des Platzes verwiesen worden ist, wie die "Heimattreuen" behauptet haben, sondern in Absprache mit der Polizei ging, um eine Eskalation zu vermeiden. "Neonazi-Verbindungen gibt es im Umfeld der Gida-Bewegung", erklärte Kleditzsch - offen sei, wie weit das auch für die Niederdorfer "Heimattreuen" zutreffe. Josten werde auch künftig über die Aktivitäten der Anti-Asyl-Initiative berichten.
Die Chemnitzer Polizeidirektion bezeichnet den Vorfall in Niederdorf nach einem Bericht der "Freien Presse" als bislang einmalig in ihrem Bezirk. Sie stellt klar: "Die ,Heimattreue Niederdorf' hat kein Recht, bei öffentlichen Versammlungen Hausverbote oder Platzverweise auszusprechen." Der Niederdorfer Bürgermeister Stephan Weinrich (CDU) nennt das Vorgehen des Vereins gegen den Reporter bei der vergangenen Demonstration "inakzeptabel". Er sagte der "Freien Presse": "Für mich ist nicht nachvollziehbar, dass die Menge die Meinungsfreiheit für sich in Anspruch nimmt, aber zugleich den Vertreter der Presse vom Hof jagt."
CDU-MdB: Wer sich so verhält, hat grundsätzliches Demokratieproblem
Deutlich wird auch Marco Wanderwitz, CDU-Bundestagsabgeordneter für die Region. "Absolutes No-go, irre", sagt er dem Tagesspiegel zum Vorgehen der Anti-Asyl-Initiative. Auch die Veröffentlichung des Videos auf Youtube kritisiert er: "Das geht überhaupt nicht. Wer sich so verhält, hat ein grundlegendes Demokratieproblem." Die Radikalisierung bei den Gida-Anhängern schreite voran.
Wanderwitz hatte sich noch vor Wochen um den Dialog mit der Anti-Asyl-Initiative bemüht. Er empfing eine Delegation in seiner Bürgersprechstunde, sprach dann Ende Januar bei einer Kundgebung und erläuterte die Asylpolitik der Bundesregierung: Er erinnerte an die mehr als eine Million Flüchtlinge im vergangenen Jahr und sagte: "So viel Menschen hält unser Land kein weiteres Jahr aus." Die Menge quittierte seine Ausführungen mit höhnischem Gelächter und Buh-Rufen.
"Unzweifelhaft" ist für den Bundestagsabgeordneten, dass "Leute aus dem rechtsradikalen Spektrum unter den Zuschauern" der Anti-Asyl-Proteste sind. Zumal Niederdorf eine Hochburg der Rechten ist: Bei der Landtagswahl 2014 hat in der Gemeinde jeder Fünfte seine Stimme für AfD oder NPD abgeben.
"Heil eich, ihr deitschen Brüder!"
Auch wenn die "Heimattreue Niederdorf" offiziell mit Rechtsradikalen nichts zu tun haben mag: Vom stellvertretenden Vorsitzenden Heiko Weigel ist bekannt, dass er sich auf Facebook mit NPD-Größen wie dem früheren Landtagsabgeordneten Arne Schimmer und dem Ex-Landesvorsitzenden Mario Löffler vernetzt hat oder deren Beiträge liked.
Am Freitag vergangener Woche sprach Stefan Hartung, Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Erzgebirge, bei der Kundgebung des Niederdorfer Vereins.
Im Internet verkauft die "Heimattreue Niederdorf" schwarz-weiß-rote Schals und "Patrioten-Mützen". Ihren Anhängern erläutert sie, dass es "keine strafbare oder verbotene Handlung" sei, die erste Strophe des Deutschlandliedes zu singen. Wobei es auch gern eine Hymne für das Erzgebirge sein darf. Im Netz dokumentiert ist das gemeinsame Singen eines Liedes mit Textzeilen wie "Heil eich, ihr deitschen Brüder!" oder "Deitsch on frei wolln mer sei".