Berichterstattung zu Flüchtlingen: "Freie Presse" in Sachsen wehrt sich gegen Ausschluss
Die Chemnitzer "Freie Presse" will ungehindert über Einwohnerversammlungen zum Thema Flüchtlinge berichten. Im Innenministerium in Dresden versteht man die Aufregung nicht.
Die "Freie Presse" will es genau wissen: Nachdem sie Ende Januar nicht von einer Einwohnerversammlung zum Thema Flüchtlinge im sächsischen Burgstädt berichten durfte, zieht die Zeitung jetzt vor Gericht. Die beauftragte Rechtsanwaltskanzlei erhob im Auftrag des Verlages vor dem Verwaltungsgericht Chemnitz eine entsprechende Klage gegen die Stadt Burgstädt, teilte die "Freie Presse" mit. Ziel: die Unrechtmäßigkeit des Ausschlusses im Nachhinein vom Gericht feststellen zu lassen.
Ob die Zeitung Recht bekommt, ist offen. Das von dem CDU-Politiker Markus Ulbig geführte sächsische Innenministerium erläuterte auf Tagesspiegel-Anfrage zu dem Fall: "Es liegt im freien Ermessen des Gemeinderates, ob er Dritte zu der Einwohnerversammlung zulässt oder nicht. Die Regelungen über die Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen im Paragraphen 37 der sächsischen Gemeindeordnung sind auf Einwohnerversammlungen nicht anwendbar. Bei einer Einwohnerversammlung übt der Bürgermeister beziehungsweise der von ihm beauftragte Vorsitzende die Ordnungsgewalt und das Hausrecht aus."
Der Chefredakteur der in Chemnitz erscheinenden "Freien Presse", Torsten Kleditzsch, argumentierte dagegen: "Uns geht es dabei nicht um Rechthaberei, sondern um den Schutz von grundlegenden Rechten in unserer Gesellschaft. Wir müssen nicht immer einer Meinung sein, aber wir müssen die Spielregeln dieser Republik einhalten. Nur so kann eine freie Gesellschaft funktionieren."
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) begrüßte das Vorgehen der Zeitung auf Twitter: "Gute Entscheidung der @freie_presse-Redaktion; eine solche Einschränkung der #Pressefreiheit geht gar nicht!" DJV-Sprecher Hendrik Zörner sagte dem Tagesspiegel ergänzend: "Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb Journalisten ausgesperrt wurden. Eine Einwohnerversammlung ist keine Geheimloge. Deshalb müssen Journalisten berichten dürfen."
Die Stadt Burgstädt hatte die Medien von der Einwohnerversammlung, auf der über die künftige Unterbringung von Flüchtlingen informiert wurde, ausgeschlossen und lediglich am Folgetag zu einer Pressekonferenz eingeladen, Bürgermeister Lars Naumann (Freie Wählergemeinschaft) hatte argumentiert, er könne keinen Fehler erkennen und werde im Wiederholungsfall die Medien erneut ausschließen.
Burgstädt war nicht der einzige Fall, bei dem es in Sachsen Einschränkungen der Presseberichterstattung über Einwohnerversammlungen zum Thema Flüchtlinge gab. Bei einer Bürgerversammlung im Juli vergangenen Jahres in Freital bei Dresden, die äußerst turbulent verlief, waren beispielsweise Bild- und Tonaufnahmen verboten. Grenzen zog im Herbst auch die Stadt Bischofswerda, als sie mit Vertretern von Land, Rotem Kreuz und Polizei eine Bürgerversammlung zur Flüchtlingsproblematik organisierte. "Presse war beim Forum nicht erwünscht", berichtete die "Sächsische Zeitung". Das Blatt ging schließlich unter Berufung auf Teilnehmer der Versammlung Gerüchten über die Flüchtlingsaufnahme nach.
Das Verwaltungsgericht Chemnitz wird nach Angaben der "Freien Presse" voraussichtlich erst in einigen Monaten entscheiden. Nach Auffassung der Zeitung steht der Ausschluss von der Bürgerversammlung in Burgstädt "im klaren Widerspruch zur sächsischen Gemeindeordnung".
Das sächsische Innenministerium hingegen betont: "Die Einwohnerversammlung dient als Instrument bürgernaher Selbstverwaltung der Erörterung allgemein bedeutsamer Gemeindeangelegenheiten zwischen den Einwohnern und der Gemeindeverwaltung, um so die Bürgerinteressen unmittelbar in den Entscheidungsprozess der Gemeindeorgane einfließen zu lassen." Die Einladung richte sich damit ausschließlich an die Einwohner. "Grundsätzlich können auch Nicht-Einwohner teilnehmen, ein Rechtsanspruch darauf besteht jedoch nicht." Die Entscheidung dazu treffen der Gemeinderat "aufgrund der Bewertung des konkreten Einzelfalls vor Ort".
"Freie Presse"-Chefredakteur Kleditzsch schrieb dazu auf Twitter: "Im Innenministerium sollte man mal den verfügbaren Rechtskommentar zur Gemeindeordnung lesen."