Wenn Männer zu viel Angst haben: Angela Merkel ist die Buhfrau in der Coronakrise
Die Kanzlerin alleinverantwortlich zu machen für Ge- und Misslingen der Coronabekämpfung, ist grotesk – und verräterisch. Ein Kommentar.
Wer ist die prononcierteste Kritikerin von Angela Merkel? Na klar, Alice Weidel. Aber abgesehen von der stets zu aggressiven AfD-Frau?
Manuela Schwesig wahrscheinlich, die SPD-Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Und sonst? Da gerät der eine und die andere ins Grübeln. Denn es sind, wie so oft, vor allem Männer, die sich an der Bundeskanzlerin reiben. Auf Männer wirkt sie wie ein rotes Tuch. Bei Männern löst sie Schnappatmung aus.
Das liegt zum einen an der numerischen Überrepräsentanz von Männern in Politik und Medien. Das allein erklärt aber nicht die Zornesröte, die Merkel vielen Männern ins Gesicht treibt. Denn zum anderen deutet das fast manische Sich-Abarbeiten an der Kanzlerin auf Kränkungen und Ängste hin.
Eine erfolgreiche Frau an der Spitze des Landes bedroht die Eigenwahrnehmung von der „natürlichen“ Unverzichtbarkeit des Mannes bei der Ausführung der Staatsgeschäfte.
Der Slogan „Merkel muss weg“ verrät außerdem, wie hierarchie- und autoritätsfixiert das Wesen der Politik von vielen Männern verstanden wird. Sie fordern Führung, klare Kante, einen konsistenten Plan, eine fulminante Rede, einen beeindruckenden Auftritt. Solcher Art Mann will nicht zustimmen oder ablehnen, sondern zujubeln oder in der Luft zerreißen.
Per Dekret, wie ein US-Präsident, kann sie nicht regieren
Einer Kanzlerin, die außer der oft überschätzten Richtlinienkompetenz nur über jene Macht verfügt, die mühsam abgestimmt und für die überzeugend geworben werden muss, verantwortlich zu machen für Ge- und Misslingen der gesamten Coronabekämpfungsstrategie, ist grotesk. Eine Demokratie erlaubt weder monarchische noch diktatorische Allüren. In der Runde der Ministerpräsidenten wirkt Merkel ja oft eher verzweifelt und flehend als entschlossen und Peitsche schwingend. Per Dekret, wie ein US-Präsident, kann sie nicht regieren.
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Die Kehrseite ihrer angeblichen Führungsschwäche ist Merkels angeblich perfide Art, Dinge durchzusetzen. Ja, was denn nun? Ist sie zu schwach oder zu stark? Sowohl als auch, sagen ihre Kritiker. Oder: mal so, mal so. Das klingt willkürlich und scheint oft von der Devise geprägt zu sein: Dass sie uns zwingt, widersprüchlich zu argumentieren, unterstreicht bloß, wie gemein sie ist.
Merkel umgeht das Parlament, wird behauptet. Aber es war der Deutsche Bundestag, der über alle vom Bund zu verantwortenden Maßnahmen abgestimmt hat. Vergessen oder verdrängt wird, dass rund achtzig Prozent der vom Volk frei gewählten Abgeordneten den Kurs der Bundesregierung in der Pandemie-Bekämpfung mittragen.
Krankheiten werden oft mythologische Ursachen angedichtet
Selbstverständlich gibt es Nuancen. Einige wollen schneller, andere langsamer lockern, einige verlangen einen exakten Fahrplan, andere glauben, ein solcher sei aufgrund der labilen und schwer kalkulierbaren Lage nicht möglich. Doch solche Dispute bewegen sich innerhalb des Konsens‘, dass Deutschland – so wie es in allen anderen von Corona betroffenen Ländern geschieht – vorübergehend Grundrechte einschränken muss, um Leben zu retten.
Am Rande bemerkt: Die AfD liegt in aktuellen Umfragen zwischen 9 und 11 Prozent, das ist weniger, als die Partei bei der letzten Bundestagswahl bekam (12,6 Prozent). Die FDP wiederum kann von ihrem Grundrechts-Purismus nicht profitieren und liegt aktuell zwischen 7 und 8 Prozent, bei der letzten Bundestagswahl waren es 10,7 Prozent.
Naturkatastrophen und Krankheiten werden oft mythologische Ursachen angedichtet. Grollende Götter, gegen die der Mensch machtlos ist, sollen das Leiden erträglicher machen. Weil im säkularisierten Deutschland kaum noch jemand an grollende Götter glaubt, wurden sie ersetzt.
Angela Merkel ist die Buhfrau dieser Tage. Das zeugt vor allem vom Unvermögen ihrer Kritiker, so sachlich und besonnen zu sein wie das Objekt ihrer Abneigung.