70 Jahre CDU: "Angela Merkel beim Fastenbrechen, ein wunderschönes Signal"
Cemile Giousouf ist die erste Muslima in der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag und deren integrationspolitische Sprecherin. Ein Gespräch über das große C nach 70 Jahren Parteigeschichte. Und rote Linien der Migrationsdebatte.
Die CDU ist 70. Was hat die Vergangenheit der Christdemokratie mit der Gegenwart der ersten muslimischen CDU-Abgeordneten im Bundestag zu tun?
Das ist mir auf dem Geburtstagsempfang unserer Partei heute sehr klar geworden: Besonders beeindruckt hat mich ein älterer Parteifreund, der alle Parteitage der CDU miterlebt hat. Was er erzählte, ließ mich miterleben, wie sich die Partei entwickelt hat. Was heute bei uns selbstverständlich ist, wie die Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Frauen, musste von der Generation Süssmuth – mit Rita Süssmuth habe ich oft darüber gesprochen - noch erkämpft werden. Es war noch einmal mit Händen zu greifen, dass das alles Prozesse waren, in denen um Positionen gerungen, in denen Neues ausgehandelt wurde. Das ist letztlich der Charakter einer Volkspartei. Genauso ist es jetzt mit dem Thema Einwanderung. Die Kanzlerin hat es auf der Geburtstagsfeier etwas ironisch auf den Punkt gebracht: Wir sind das zweitbeliebteste Einwanderungsland der OECD-Staaten. Die Union rede darüber nicht so gern, aber das werde sie auch noch lernen. Dafür bekam sie viel Applaus. Im übrigen beschäftigt uns das Thema Einwanderung ja schon seit den 1990er Jahren stark, und damals gab es noch deutlicher Stimmen, die vor allem Begrenzung wollten. Es hat zum Beispiel länger als bei anderen Parteien gedauert, bis wir in der Union bereit waren, Deutschland als Einwanderungsland zu sehen.
Sie haben jetzt viermal von Einwanderung gesprochen. In korrektem Christdemokratisch heißt das doch „Zuwanderung“…
Wir haben es Peter Tauber zu verdanken
… dem CDU-Generalsekretär…
…dass wir uns inzwischen auch mit unserem Vokabular auseinandersetzen. Was aber die Dinge selbst betrifft: Da ist schon unglaublich viel geschehen. Und ich bin ganz und gar überzeugt, dass die CDU seit 2005 Integration strukturell etabliert hat und dass wir weiter vorankommen werden, wie bei anderen Themen, wie bei der Frauenpolitik, der Umweltpolitik, die man uns auch nicht direkt zuschreibt. Wir tun uns aber immer noch schwer damit, uns auch hinter Erfolge in der Integrationspolitik zu stellen, weil wir Angst haben, andere Teile der Partei vor den Kopf zu stoßen. Das führt zur Zurückhaltung auch bei den Parteikolleginnen und –kollegen, die dahinterstehen, die zum Beispiel das C in CDU als Auftrag sehen, sich für Einwanderer und Flüchtlinge einzusetzen. Dagegen kann und muss man zweierlei tun: Die Fakten sprechen lassen und in den Dialog gehen. Reden, reden, reden.
Bei Ihren sächsischen Parteifreunden scheint das nicht so recht zu fruchten: Da ist ein Landtagsabgeordneter in einer Facebook-Gruppe „Ausländerkriminalität“, der sozialpolitische Sprecher der Fraktion will Flüchtlinge ohne Papiere ins Gefängnis stecken, andere ranghohe CDU-Leute in Sachsen reden Brandanschläge auf Asylbewerber klein.
Natürlich muss diskutiert werden. Ängste in der Bevölkerung muss man ernst nehmen und diskutieren - und wenn man es allein nicht schafft, nimmt man Experten, die das moderieren. Das gehört zu den Aufgaben jedes politisch Verantwortlichen. Dabei gibt es aber rote Linien. Eine rote Linie ist zum Beispiel, wenn Unwahrheiten verbreitet werden. Dass Ausländer besonders kriminell sind, ist ein zählebiger Mythos. Ausländer sind gute oder schlechte Menschen wie Deutsche auch. Kriminalität ist kein ethnisches, sondern ein soziales Phänomen. Das heißt, dass natürlich auch Ausländer kriminell werden können und man das nicht schönreden soll. Man muss allerdings auch die spezifischen Lebensbedingungen von Ausländern hier sehen: Wenn junge Menschen jahrelang zur Untätigkeit verurteilt sind und nicht einmal ihr eigenes Flüchtlingsheim renovieren dürfen, dann müssen nicht sie, sondern wir uns Fragen gefallen lassen.
Zurück zur bekennenden Muslima und dem C in CDU: Ist das 70 Jahre nach Parteigründung noch von Bedeutung?
Ja, unbedingt! Das christliche Menschenbild meiner Partei ist eine Brücke für Menschen in den Migrantencommunities, denen Religion wichtig ist. Das sind keinesfalls nur Muslime, sondern auch Juden oder griechisch-orthodoxe Christen. Zu wissen, da gibt es eine Partei, die aus religiöser Verantwortung Politik machen will, das kann für viele ein Türöffner sein, um politisch aktiv zu werden. Ich merke das gerade jetzt im Ramadan: Ich hatte noch nie so viele Einladungen zum Fastenbrechen wie in diesem Jahr.
Am Dienstag nimmt zum ersten Mal auch die Kanzlerin an einem Iftar-Essen teil.
Ein wunderschönes Signal von ihr. Dass es so selbstverständlich wird, sich zum Iftar zu treffen, sagt nicht nur über die Rolle der Muslime etwas, sondern über die Gesellschaft als ganze. Wir sind enger zusammengerückt. Es ist nicht mehr ungewöhnlich, in die Synagoge, die Kirche oder die Moschee zu gehen. Die Moscheegemeinden laden im Ramadan übrigens jeden Abend hunderte Flüchtlinge zum gemeinsamen Essen ein.
CDU-Generalsekretär Peter Tauber rief letztes Jahr auf einem Parteikongress zum Thema zu einer Akzentverschiebung auf: vom C für Christlich zum U für Union, für ein Zusammenleben in Vielfalt.
Das Bild hat mir sehr gefallen. Und es passt perfekt zur Geschichte der CDU. Das U war schon in der Gründungsphase nach dem Krieg ein starker Buchstabe. Schließlich ging es nicht nur um die schwierige Einheit verschiedener christlicher Konfessionen, die CDU hat auch ganz unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen zusammengebracht: Auf unserer Jubiläumsveranstaltung am Montag hat Angela Merkel sowhl den anwesenden DGB-Chef, Herrn Hoffmann, wie auch den Chef des BDI, Herrn Grillo, begrüßt. Wenn wir uns mehr auf diese Geschichte der CDU besinnen, kriegen wir vielleicht auch etwas mehr Ruhe in das Thema Einwanderung.
„Multikulti ist gescheitert“ hat die Kanzlerin vor ein paar Jahren gesagt. Glaubt sie das immer noch?
Ich denke ja. Das glaube ich selbst ja auch. Das Konzept, gesellschaftliche Gruppen nebeneinander her leben zu lassen, ist gescheitert. Die Grünen…
…würden Multikulti wohl anders definieren…
… haben uns Zwangsgermanisierung vorgeworfen, als wir Sprachkurse für Migranten forderten. Der Gedanke war: Lasst die Leute in Ruhe, sie sollen selbstbestimmt leben, tretet ihnen nicht zu nahe. Ich hätte mir gewünscht, dass man meinen Eltern damals zu nahe getreten wäre. Sie können beide bis heute nicht richtig deutsch. Das wäre auch für uns Kinder eine enorme Erleichterung gewesen; wir waren schon früh die Vollzeitdolmetscher der Familie. Wir dürfen heute bei den Flüchtlingen nicht wieder die gleichen Fehler machen.