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"Intensivst vorbereitet": CSU-Chef Horst Seehofer braucht eine Einigung mit Kanzlerin Angela Merkel.
© Nicolas Armer/dpa

Vor dem Treffen von CDU und CSU: An der Obergrenze der Geduld

Horst Seehofer kommt schon einen Tag früher, die CDU verlangt "Lösungen jenseits der Wortklauberei": Vor dem Treffen am Sonntag in Berlin herrscht Nervosität bei den Unionsparteien.

In interner Runde bemüht der Parteichef schon mal einen Superlativ. CDU und CSU stünden, so beschreibt er seinen Getreuen die Dramatik des bevorstehenden Treffens am Sonntag, „vor ihren schwierigsten Gesprächen seit Kreuth 1976“.

Für die Jüngeren und in der Unionsgeschichte weniger Bewanderten: Damals hatte die CSU – ebenfalls nach schwerer Wahlniederlage – in dem idyllischen Wildbad die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag aufgekündigt. Unter Franz Josef Strauß wollten die Christsozialen bundesweit antreten – und machten erst einen Rückzieher, als der von Strauß als „total unfähig“ titulierte CDU-Chef Helmut Kohl mit dem „Einmarsch“ seiner Christdemokraten in Bayern drohte und dort bereits nach einer Immobilie für den Landesverband Ausschau halten ließ.

"Horst, es ist Zeit"

Diesmal geht es um Konsequenzen aus dem Wahldesaster vom 24. September, um den Umgang mit den potenziellen Koalitionspartnern FDP und Grünen, um die Frage, ob und wie sich die CSU mit ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik gegen die große Schwester durchsetzen kann. Und für Seehofer auch um die eigene Haut.

So forderte nun auch der frühere Parteivize Peter Gauweiler von der CSU, schleunigst die Führungsfrage zu klären – nicht erst auf dem Parteitag Mitte November, sondern schon vor den Koalitionsverhandlungen. Der eigenwillige Münchner tat dies auf elegische Weise – mit einem abgewandelten Rilke-Zitat, passend zu den aktuellen Herbststürmen: „Horst, es ist Zeit“.

Man habe den Wählern mit dem gleichzeitigen „Hü und Hott“ zur Merkelschen Politik zu viel zugemutet, urteilte er in der „Süddeutschen“. Die CSU komme ihm vor wie vor einer, der davor warne, dass der Zug in die falsche Richtung fahre „und sich dann dort in den Speisewagen setzt“.

Dobrindt empfiehlt Vertriebenengesetz als Vorbild

Auch deshalb ist den Christsozialen die „Obergrenze“ für Flüchtlinge so wichtig, gegen die sich die Kanzlerin so wehrt. Man müsse jetzt etwas erreichen, sagt ein dem Parteichef Nahestehender, „das unsere Anhänger als Einlösung unseres Wahlversprechens begreifen“. 2015 dürfe sich keinesfalls wiederholen, der Begriff bringe das auf den Punkt.

Zudem, so betont Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, sei ein Aufnahmelimit keineswegs neu. Im Bundesvertriebenengesetz finde sich eine vergleichbare politisch gesetzte Obergrenze. Sie liege bei 100.000 im Jahr – und keiner rege sich darüber auf.

CDU warnt: Flüchtlingslimit könnte als Einladung wirken

In der CDU betrachten sie solche Verrenkungen und Werbemanöver der Schwesterpartei mit einer Mischung aus Déja-vu und Kopfschütteln. Der Jurist Gauweiler habe ja Recht, heißt es dort, wenn er von einem „Wortfetisch-Streit“ rede und kritisiere, dass seine Partei das Schlagwort bisher nicht mit einem konkreten, nämlich in Gesetzesform fassbaren Inhalt gefüllt habe. Wenn sich Seehofer weiter in den Begriff und die Zahl 200.000 verbeiße, sei der Konflikt nicht lösbar.

Das Asylrecht lasse prinzipiell keine Grenzen zu. Eine Zahl festzulegen, bedeute die Gefahr, dass sie in aller Welt als Einladung missverstanden würde – nach dem Motto: Die Deutschen nehmen jährlich 200.000 Flüchtlinge, ich muss mich also nur in der Schlange anstellen. Und innenpolitisch mache die Zahl auch wenig Sinn: „Das unterbietet die AfD locker.“

Sind Kontingente für Kriegsflüchtlinge die Lösung?

Dabei ließen sich „Lösungen jenseits von Wortklauberei“ finden, meint ein nicht unwichtiger Christdemokrat. Man müsse schlicht zwischen Asylbewerbern und Kriegsflüchtlingen trennen – und etwa Kontingentvereinbarungen für Bürgerkriegsopfer ins Auge fassen, wie es sie während des Jugoslawien-Kriegs gab.

Die Frage ist freilich, ob Seehofer überhaupt noch die politische Kraft hat, mit einer Lösung in der Sache nach Hause zu kommen, die – wie die meisten Sachlösungen – in Bierzelten nur schwer erklärbar wäre.

Auch "soziale Flanke" soll geschlossen werden

Alle anderen Sachthemen, die am Sonntag auf den Tisch kommen sollen, gelten als vergleichsweise unproblematisch. Selbst für die CSU-Forderung nach höherer Mütterrente sind intern Kompromissmodelle im Umlauf, die darauf abzielen, vor allem Müttern mit sehr niedrigen Renten zu helfen.

Dass die Union in der Renten- und Pflegepolitik nachbessern muss, ist nach den Erfahrungen im Wahlkampf zwischen Berlin und München unstreitig. So wenig führende CDU-Politiker von Seehofers Rufen halten, eine „rechte Flanke“ zu schließen, so sehr erkennen sie an, dass eine „soziale Flanke“ offensteht.

Bei letzterem gehe es vor allem um eines, heißt es in der CSU: Die Botschaft, dass man „nicht nur an die Rettung der Menschheit“ denke, sondern die einheimische Bevölkerung stärker ins Zentrum rücke. Seehofer habe sich jedenfalls „intensivst“ auf das Treffen vorbereitet, ist aus seinem Umfeld zu hören. Der CSU-Chef will schon an diesem Samstag anreisen – und sich vor dem offiziellen Teil mit den Fünfer-Delegationen erst noch mal mit Merkel abzustimmen versuchen.

Kaum noch Luft für Kompromisse mit FDP und Grünen

Aber selbst wenn das Kunststück gelingt und CDU und CSU sich auf einen gemeinsamen Kurs verständigen: Bis zu einer Regierungskoalition wäre es immer noch ein weiter Weg. Ein Problem könnte schließlich auch sein, dass der Kraftakt einer Einigung in der Flüchtlingspolitik für die nachfolgende Sondierungen mit FDP und Grünen dann in Erz gegossen wäre – und kaum noch Spielraum für weitere Kompromisse böte.

Dass sich die potenziellen Koalitionspartner das gefallen lassen, ist nicht sehr wahrscheinlich.

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