TV-Duelle – Großes Kino und kleine Pannen: Am Ende zählt nur Schland
Richard Nixon war schlecht rasiert, Edmund Stoiber überraschte und Angela Merkel trug Kette. TV-Duelle sind selten wahlentscheidend, aber immer ein Hingucker.
Den 18. Februar 2008 vergisst Michael Naumann nicht so leicht. Es war der Tag, an dem der eloquente Publizist ins Stottern kam. Naumann, Bürgermeister-Kandidat der SPD in Hamburg, hatte sich im TV-Duell mit CDU-Amtsinhaber Ole von Beust wacker geschlagen, als es ans Schlusswort ging.
Nach einer Minute saß er fest. „Wir wollen dafür sorgen, dass die Kinder wieder … spielen … zum Sport ...“ Nächster Anlauf: „Wir werden die Studienpläne ... oh Gott ... Schulpläne.“ Mit quietschenden Reifen schlingerte Naumann schließlich halbwegs in die Spur zurück: "Wir werden die Schulstunden entrümpeln!"
Die Wahl verlor er. Dass die Niederlage direkt aus dem Stammelanfall folgte, wäre sicher übertrieben zu glauben. Der Liberale von Beust war beliebt in der Hansestadt, der „Zeit“-Publizist ein Verlegenheitskandidat. Naumann ging als Zweiter ins Duell hinein und genauso wieder raus.
Cent, Prozent und Trend
Schaut man auf die Einschaltquoten solcher Lokalduelle, können sie ohnehin keine Wählerscharen bewegen. Im Bundesmaßstab sehen die Zahlen deutlich anders aus. Das letzte TV-Duell 2017 schalteten 16,1 Millionen Zuschauer ein.
„Angela Merkel vs. Gerhard Schröder“ wurde 2005 sogar zum 21-Millionen-Hit. Grob ein Viertel der Wählerschaft wollte sich ein Bild machen, wie die spröde Kandidatin gegen den telegenen Kanzler besteht.
Sie bestand nicht so toll. Schröder warf zwar Cent und Prozent durcheinander, manche fanden ihn auch allzu gönnerhaft der Frau gegenüber.
Aber so sehr seine rot-grüne Regierung im Sinkflug war, so umstritten Schröders Husarenstück, nach der SPD-Niederlage im Herzland Nordrhein-Westfalen Neuwahlen im Bund zu provozieren – den Auftritt im Scheinwerferlicht beherrschte er.
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Ob dies Duell die Wahl entschied? Der Stand der Forschung ist bemerkenswert mager. Die wenigen Studien deuten darauf hin, dass ein guter Auftritt die eigenen Wähler bestärkt und die anderen frustriert, aber kaum welche aus dem anderen Lager umstimmt.
Dass aber Bühnentauglichkeit und Tagesform mindestens die halbe Miete ausmachen, gilt seit dem Urvater des Fernseh-Kräftemessens als ausgemacht.
Richard Nixon erschien 1960 abgezehrt und schlecht rasiert im Studio der NBC zum ersten TV-Duell überhaupt. Der Republikaner war länger krank gewesen. Sein Gegner John F. Kennedy trat gebräunt und gut gelaunt vors Publikum und redete direkt in die Kamera. Er gewann Duell und Wahl. Drei weitere Duelle konnten den ersten Eindruck nicht verwischen.
Schröder verlor die Wahl trotz Rampensau-Talent am Ende knapp. Vielleicht hätte es für Merkel gar nicht gereicht, hätte sie sich auf ein Revanche-Duell eingelassen. Aber die Frau, die 16 Jahre Kanzlerin bleiben sollte, hatte ein zweites Treffen abgelehnt. Die Gründe waren fadenscheinig – angeblich kein Termin frei, zum Beispiel.
Doch Merkel hatte sich gemerkt, wie es Edmund Stoiber ergangen war.
Der Bayer nimmt einen Sonderplatz in der deutschen TV-Geschichte ein: Er bekam als erster Kanzlerkandidat Gelegenheit, sich mit dem Amtsinhaber zu duellieren.
Fernseh-Wahlkampf war seit Ende der 1960er Jahre in Deutschland im Prinzip nichts Neues. Aber die steifen „Elefantenrunden“ mit den Spitzen aller vier Bundestagsparteien und abgesprochenen Fragen hatten so gar nichts vom Arena-Charakter der US-Vorbilder. Helmut Kohl ging anfangs knurrend hin, boykottierte die Runde aber zuletzt komplett.
Kohl ging zuletzt gar nicht mehr hin
Damit stand er nicht allein. Amtsinhaber hatten selten Lust, sich mit ihren Herausforderern auf Augenhöhe zu begeben.
Kurt-Georg Kiesinger fand es eines Bundeskanzlers schlicht nicht würdig. Willy Brandt und Helmut Schmidt lehnten dankend ab.
Erst Schröder - Motto: Zum Regieren reichen mir „Bild, BamS und Glotze“ – spielte 2002 mit.
Das war Stoibers Chance. Der Bayer hatte ein öffentliches Image, das dem seines Nach-Nachfolgers Armin Laschet ähnelte: Ungelenker Typ, Flut verpasst, absurd verdrehte Sprache.
Viel verlieren in der Haltungsnote konnte er nicht, gewinnen aber schon. Und tatsächlich erlebten die Zuschauer einen ganz anderen Stoiber: Freundlich, sachlich, konzentriert.
Das Medienecho lautete Unentschieden.
Beim Rückspiel war Schröder gewarnt und in Hochform. Als Stoiber zum Beispiel begründete, warum er kein Schattenkabinett präsentierte – „Ein Schattenkabinett, das haben wir ja schon“ -, biss Schröder zurück: Gelungener Gag, hähä, gratuliere!
Stoiber konnte auf die dreiste Replik nicht wechseln. Die Blitzumfrage sah hinterher den Kanzler klar vorn.
Der CSU-Mann verlor auch die Wahl. Immerhin aber nur sehr knapp.
Mit Raab und Schland
In den Merkel-Jahren blieb das TV-Duell ein mediales Großereignis mit Partystimmung am Set. Doch die Spannung war raus. Da half auch kein Stefan Raab als Fragesteller mehr.
Merkel ließ sich auf keinen Millimeter Abweichung vom strikten Ablaufplan ein. Und ihre SPD-Herausforderer waren immer schon vorher erledigt.
Über Frank-Walter Steinmeier ergoss sich der Spott, das sei mehr Duett als Duell. Martin Schulz, höflich wie er ist, bekam selbst gegen die angeschlagene Flüchtlingskanzlerin kein Bein auf den Adlershofer Studioboden.
Und auch für Peer Steinbrück war es nur der letzte Handkantenschlag, als Merkel ihr Schlusswort mit dem frechen Satz an die Wähler krönte: „Sie kennen mich!“
Immerhin drängte ihr Noch-Finanzminister die Kanzlerin zu der unvorsichtigen Zusicherung, mit ihr werde es keine PKW-Maut geben. So ein Fehltritt passiert ihr selten.
Doch er blieb folgenlos.
Denn alle waren von etwas anderem komplett abgelenkt: Der „Deutschland-Kette“ der Kanzlerin - oder, nach dem Fußball-WM-Schlachtruf, die "Schland-Kette" mit Schmucksteinen in den Nationalfarben.
Aber was sollte bloß die falsche Reihenfolge bedeuten: Schwarz, Gold, Rot? Die Frage beschäftigte jeden. Der Kanzlerin war das recht. Sie hatte die Schröder-Regel längst verstanden: In der „Glotze“ zählt am Ende einzig und allein der Schein.