zum Hauptinhalt
Protestler fordern die ein "Lustrationsgesetz", also die Entfernung belasteter Altkader aus dem politischen System der Ukraine. Das Gesetz kam auch. Doch die alten Seilschaften sind stark - und neue kommen hinzu.
© dpa

Mafia in der Ukraine: "Als erstes vergiften wir deine Hunde"

Ein Geschäftsmann aus dem ukrainischen Lemberg erzählt nach seiner Flucht nach Berlin, wie er von der Mafia erpresst wurde - und wie er sich gegen die übermächtige Allianz aus Banditen und korrupten Beamten wehrt.

Die Stimme am Telefon wurde ungehalten, als er bekräftigte, diesmal kein Schutzgeld zahlen zu wollen. „Weißt du, was wir dann machen?“, fragte die Stimme ihn, den Mittelständler aus der Westukraine. „Was?“, fragte er. „Wir vergiften die Wachhunde vor deinem Haus und hängen dort die Flagge der Volksrepublik Donezk auf.“

Diese Drohung saß, zumal in Zeiten, da im Osten der Ukraine die Separatisten der Volksrepubliken regieren und im Westen nationalistisch gesinnte Schläger Rache üben. Deshalb sitzt der Mittelständler heute nicht im Büro seiner Firma unweit von Lemberg, wo er mit 20 Mitarbeitern Parfüm herstellt und verkauft. Er ist mit seiner Frau und der erwachsenen Tochter nach Deutschland geflohen. Hier, in einem Restaurant in Berlin-Mitte, kann er seine Geschichte erzählen, die doch auch die Geschichte der ganzen Ukraine seit der Maidanrevolution ist.

In diesem Artikel wird der Mann Vadim heißen, seine Frau Ljudmila und seine Firma einfach die Firma. Die Mafia wird weiterhin Mafia heißen, weil sie immer so heißt, auch wenn das sehr viele verschiedene Dinge bedeuten kann. Der Mafiachef, also der Erpresser, wird Stimme heißen. Richtige Namen zu verwenden wäre „zu gefährlich“, sagt Vadim, der unauffällige schwarze Kleidung trägt und um die 55 Jahre alt ist. „Wir wollen uns auch nicht auf ewig die Rückkehr in unsere Heimat verbauen.“

Vadim ist wohlhabend, nach der Flucht nach Berlin hat er eine Doppelhaushälfte gemietet. Auf 400 000 Euro gibt er den Jahresumsatz seiner Firma an, die er seit 2006 betreibt. Bevor er sich entschloss, selbst Parfüm herzustellen, hat er lange damit gehandelt. Für die Nuancen der Düfte muss er keinen Sinn haben, Vadim kauft von einem renommierten Hersteller fertige chemische Bausteine und stellt bei sich das Endprodukt her. „Wir haben den Markt ehemaliger Sowjetrepubliken, das Geschäft läuft gut“, sagt er.

 Vadim ist Russe - doch darum geht es in diesem Konflikt nicht

Ljudmila stammt aus der Westukraine, Vadim ist Russe. Vor 20 Jahren zog er nach Lemberg. Aber es geht in seinem Fall nicht um Animositäten zwischen Russen und Ukrainern, betont er. „Die Westukrainer sind eigen, manchmal akzeptieren sie auch Menschen aus anderen Landesteilen nicht. Aber ich hatte hier nie Probleme.“

Vadim stellt sich nicht als Saubermann dar. Freimütig erzählt er, früher einen Teil der Gehälter seiner Mitarbeiter schwarz ausgezahlt zu haben. So sei halt die Zeit gewesen. Als das Geschäft dann gut lief, habe er aber alles legal abgewickelt. „Wir haben richtig Steuern bezahlt. Und Menschen aus der Region angestellt, die sonst nichts hatten.“ Bei diesem letzten Satz regt Vadim sich etwas auf, ansonsten erzählt er alles ruhig. Weder seine Frau noch er wirken niedergeschlagen, etwas verunsichert vielleicht, mehr aber nicht.

Seit jeher seien „zwei bis dreimal pro Jahr“ Männer zu ihm gekommen, um Schutzgeld zu fordern. Er habe bezahlt, sich arrangiert, Schutz gesucht. „Krysha“ heißt das auf Russisch, ein „Dach“, das jeder Geschäftsmann braucht, um wenigstens nur an eine Mafia Geld abzudrücken. Nach der Maidanrevolution sei es tatsächlich für eine gewisse Zeit besser geworden. „Wir waren wie im siebten Himmel, es veränderte sich etwas.“ Lange erzählt Vadim von einem seiner Mitarbeiter, einem glühenden Maidan-Anhänger, der Korruption hasse und sich Bürgern anschloss, die freiwillig Verkehrspolizisten kontrollieren, damit diese nur noch den Verkehr kontrollieren und nicht die Bürger abzocken.

Doch nach und nach seien die alten Seilschaften wieder stark geworden – und neue Mafiosi kamen dazu, diesmal noch stärker im Bunde mit korrupten Polizisten. „So gesehen hat sich wirklich etwas verändert“, sagt Vadim, „früher kamen Männer mit Kalaschnikows und forderten Geld. Heute kommen sie mit offiziellen Schreiben korrupter Beamter, mit denen sie zusammenarbeiten – und fordern noch mehr.“ Was die Mafia heute noch mehr benutzt als Waffen ist eine „Sazepka“, einen fingierten juristischen Grund also, um jemanden anzugehen.

Gleich zehn Polizisten tauchten Mitte März in seiner Firma auf, behaupteten, er hätte vor fünf Jahren in einem offiziellen Dokument eine Unterschrift gefälscht, durchsuchten alles, zerhauten Türen mit Äxten, fragten ihn, wo seine Frau sei. Vadim wollte sie schützen und behauptete, sie sei in Deutschland. Dann klingelte sein Telefon und die Stimme sagte: „Ich wusste gar nicht, dass dieses Deutschland in Lemberg liegt. Wir wollen 200 000 Euro.“ Da bekam Vadim Angst. „Die hören sogar unsere Telefone ab. Ich will das nicht mehr. Ich habe Familie.“

"Dafür also sind unsere Leute gestorben?" 

Besonders erschüttert sei sein Mitarbeiter gewesen, der Maidan-Anhänger. „Dafür sind also unsere Leute gestorben?“, fragte er Vadim. Die Angestellten leiden am meisten unter dem „Najezd“, wie es auf Russisch heißt, wenn die Mafia auftaucht und Geld fordert oder gar gleich die Übergabe des gesamten Unternehmens.

Ljudmila zeigt Fotos eingetretener Türen und verwüsteter Büros. Vadim und sie wissen, wer sie da auf dem Kieker hat, es ist ein Ex-Geheimdienstler, der heute offiziell als Anwalt arbeitet und sich auf das Aussaugen von Firmen spezialisiert hat. Die beiden gingen zu verschiedenen Behörden, um den Fall anzuzeigen, mysterioserweise war dann „der zuständige Kollege gerade immer krankgeschrieben“, sagt Vadim süffisant.

Konflikte um die Kontrolle von Firmen wurden und werden in der Ukraine oft mit Gewalt ausgetragen. Kürzlich hat der Oligarch Ihor Kolomojskij von Soldaten seiner Privatarmee halbstaatliche Unternehmen besetzen lassen, da Präsident Poroschenko dessen Einfluss beschneiden wollte, um damit auch eine der Kernforderungen des Maidan zu erfüllen. Fälle wie der des Milliardärs Kolomojskij, der selbst gegen den Staat austeilt, gelangen an die Öffentlichkeit, aber die vielen Erpressungen mittelständischer Unternehmer durch lokale Mafiosi passieren unter deren Radar. Die „Lustration“, der sich die neue Ukraine per Gesetz verschrieben hat, also die Reinigung des Systems durch das Entfernen von Mitarbeitern und Beamten des alten Janukowitsch-Regimes, bezeichnet Vadim als „PR-Aktion“.

Vadim sagt, dass er viele Ideen des Maidan begrüßt habe. Er sagt aber auch, dass die aktuelle Regierung viel Schuld trägt an den Kämpfen in der Ostukraine. Seine Position im Ukraine-Konflikt liegt irgendwo zwischen Westen und Osten und wird in seiner Sicht auf die Frage nach der Krim deutlich: „Die Russen haben sich da auf eine illegale Art und Weise etwas genommen, was ihnen gehört.“

Seine Zukunft sieht Vadim in Europa. Er habe sich viele Länder angeschaut, in die er Teile seines Geschäftes auslagern kann. „Spanien fand ich gut. Aber als mir dann erklärt wurde, wen ich schmieren muss, um in Valencia zu investieren, habe ich gesagt: `Geht doch zum Teufel.´ Ich will das nicht mehr.“

Für seine Firma in der Ukraine hat er noch Hoffnung, auch wenn miteinander kooperierende Mafiosi und Beamte harte Gegner sind. Zur Zeit glaube die Staatsanwaltschaft, erklärt Vadim, dass die Stimme von ihm ablassen könnte, eben weil er zu verschiedenen Behörden gerannt ist und sich nicht einfach ergeben hat. Doch selbst wenn das stimmt, bleibt die Frage, wann die Stimme sich wieder meldet.

Zur Startseite