Rostock erinnert an Krawalle von 1992: Als der rassistische Mob tobte
Vor 25 Jahre kapitulierte der Rechtsstaat vor rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen. Die Stadt erinnert mit einer Woche des Gedenkens an die Übergriffe.
Diese Bilder wird die Bundesrepublik nie vergessen. Flammen schlagen aus den Fenstern des Sonnenblumenhauses im Rostocker Plattenbauviertel Lichtenhagen. Junge Neonazis brüllen „Deutschland den Deutschen“ und werfen weiter Brandflaschen ins Gebäude. Ringsum, bis hin zu einer nahen Fußgängerbrücke, stehen tausende Normalbürger und applaudieren den Randalierern. Polizei ist nicht in Sicht. Der Rechtsstaat kapituliert bei einem Pogrom.
Das ist jetzt 25 Jahre her. Am 22. August 1992 begannen die rassistischen Ausschreitungen vor der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAst), die im Hochhaus mit den drei großen Sonnenblumenreliefs untergebracht war. Vier Tage lang tobte der Mob. Die Polizei evakuierte die mit Flüchtlingen überfüllte Aufnahmestelle. Doch die auch im Plattenbau lebenden 120 Vietnamesen blieben schutzlos zurück – und gerieten in Lebensgefahr. Nur knapp konnten sie sich vor den Brandattacken junger Rechtsextremisten auf das Dach retten. Erst am 26. August flauten die Krawalle ab.
„Rostock“ ist bis heute ein Synonym für rassistische Gewalt. Wie „Hoyerswerda“, wo 1991 ressentimentgeladene Einwohner gemeinsam mit Neonazis ausländische Vertragsarbeiter und Flüchtlinge aus der Stadt vertrieben. Wie „Mölln“ und „Solingen“, wo Rechtsextremisten 1992 und 1993 Häuser von Türken anzündeten und acht Menschen verbrannten. Der mörderische Hass auf Migranten in Ost und West verdunkelte den Aufbruch des Landes, das gerade seine Wiedervereinigung errungen hatte.
Einer, der damals in Lichtenhagen wohnte, ist Wolfgang Nitzsche, seit 2014 Präsident des Rostocker Stadtparlaments, der „Bürgerschaft“. Was vor 25 Jahren passierte, „das vergisst man nicht“, sagt der Politiker der Linkspartei. „Die Nazis sind an unserer Häuserfront vorbei, die haben geschossen, die hatten Waffen.“ Es habe ihn auch „sehr erschrocken“, dass viele Bürger die Randalierer anfeuerten. Er habe nicht angenommen, „dass Menschen so hassen können und so blindwütig andere Menschen angreifen, nur weil die nicht Deutsche sind“.
Rostock erscheint fast als Symbol für die Entwicklung im Osten insgesamt
Auf die Frage nach den Ursachen gibt Nitzsche drei Antworten. „Der Umgang mit Menschen, die aus anderen Ländern kommen, war in der DDR nicht geübt und auch nicht gewollt.“ Und: „Der latent vorhandene Ausländerhass wurde durch die Umstände in der ZAst zur Eruption gebracht. Roma-Familien campierten unter Balkonen und verrichteten im Freien ihre Notdurft.“ Und: „Die Polizeistruktur war desolat. Die war nicht in der Lage, geordnet mit klaren Befehlen einzuschreiten.“
Nitzsche scheut sich nicht, auch über die weiter schwelenden Probleme mit Rassismus zu sprechen. Rostock erscheint da fast schon als andauerndes Symbol für die Entwicklung im Osten insgesamt. Auch wenn Nitzsche glaubt, „dass die Stadt gelernt hat“. Ein Exzess wie 1992 würde nicht noch mal passieren. Nitzsche erwähnt das Bürgerbündnis „Bunt statt braun“ und die Antifa, die zwei Thor-Steinar-Läden „militant rausgeekelt hat“. Außerdem sei die Polizei heute „sehr wachsam“. Und dennoch: „Es gibt weiter rassistische Strukturen in Rostock.“ Mit fatalen Folgen.
Vor einem Jahr stoppte Sozialsenator Steffen Bockhahn, ebenfalls Linkspartei, die Einrichtung einer Unterkunft für Flüchtlingsfamilien im Stadtteil Groß Klein. Das Plattenbauviertel liegt neben Lichtenhagen. Zuvor hatten Rechtsextremisten in Groß Klein ein Heim für minderjährige Flüchtlinge regelrecht belagert. Die Polizei musste die jungen Migranten in andere Unterkünfte bringen.
Für Nitzsche sind westdeutsche Rechtsextremisten mitverantwortlich dafür, dass Rassismus auch heute noch Rostock und Ostdeutschland insgesamt belastet. „Leute wie Udo Pastörs und Holger Apfel kommen aus dem Westen“, betont er. Pastörs hatte die NPD-Fraktion im Schweriner Landtag geführt, Apfel war Chef der nationaldemokratischen Abgeordneten in Sachsens Parlament.
Mit einer „Gedenkwoche“ erinnert Rostock an die Krawalle von 1992. Nitzsche ist für die Planung zuständig. In der Stadt werden Stelen aufgestellt und es gibt größere Veranstaltungen. Nitzsche versteht nicht so ganz, dass Oberbürgermeister Roland Methling (Unabhängige Bürger für Rostock) am zentralen Gedenken in der Marienkirche nicht teilnimmt. Methlings Sprecherin teilt am Dienstag auf Anfrage mit, der OB sei in Urlaub.
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