Vergeltung für Giftgaseinsatz: Alliierte greifen Syrien an
Die USA und ihre Verbündeten haben Ernst gemacht: Mit Angriffen gegen Ziele in Syrien üben sie Vergeltung für den mutmaßlichen Giftgasangriff der Führung in Damaskus gegen das eigene Volk. Russland droht mit Konsequenzen.
Die USA, Frankreich und Großbritannien haben als Vergeltung für einen mutmaßlichen Giftgaseinsatz Ziele in Syrien angegriffen. Russland, Verbündeter und Schutzmacht der syrischen Führung von Präsident Baschar al-Assad, drohte umgehend mit Konsequenzen. Befürchtet wird eine weitere Verschlechterung des Verhältnisses zwischen den USA und Russland.
Nach US-Angaben wurden drei Ziele angegriffen, Berichte vor Ort sprachen von mehr als drei. An den Militärschlägen waren Schiffe und Flugzeuge beteiligt. US-Medien schrieben von Dutzenden Marschflugkörpern. Es handele sich um eine begrenzte, einmalige Aktion. Weitere Schläge seien nicht geplant, sagte US-Verteidigungsminister James Mattis.
Laut Angaben der syrischen Armeeführung wurden rund 110 Raketen abgefeuert. Die meisten von ihnen seien abgeschossen worden, teilte ein Sprecher der Armeeführung am Samstag in Damaskus mit. Der Angriff begann demnach um 3.55 Uhr Ortszeit (2.55 MESZ) und richtete sich gegen Ziele in der Hauptstadt Damaskus und anderenorts.
Die "Aggression" steigere die Entschlossenheit der syrischen Armee
Beschädigt worden sei unter anderem eines der Gebäude eines Forschungszentrums in Barsah nördlich von Damaskus, hieß es weiter. Bei der Explosion in der Nähe der Stadt Homs seien drei Zivilisten verletzt worden. Derartige Angriffe hielten die syrische Armee und ihre Verbündeten nicht davon ab, weiter das zu vernichten, was von „bewaffneten Terrorgruppen“ übrig geblieben sei. Die „Aggression“ steigere die Entschlossenheit der Armee zur Verteidigung.
Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums wurde auch der Militärflughafen Dumair östlich von Damaskus angegriffen. Die syrische Luftabwehr habe alle zwölf Geschosse abgefangen, hieß es in Moskau. Russland ist ein enger Verbündeter der syrischen Regierung.
US-Präsident Donald Trump sagte am Freitagabend (Ortszeit) in einer Rede an die Nation, die Angriffe seien die Antwort auf den Einsatz chemischer Waffen durch die syrische Regierung unter Präsident Baschar al-Assad gegen das eigene Volk. „Dies sind nicht die Taten eines Menschen“, sagte Trump. „Es sind die Verbrechen eines Monsters.“ Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte: „Die rote Linie ist überschritten.“ Die britische Premierministerin Theresa May bezeichnete den Angriff als alternativlos.
Russland droht mit Konsequenzen
Russland drohte mit Konsequenzen. „Wir sind wieder bedroht worden“, hieß es in einer Erklärung des russischen Botschafters in Washington, Anatoli Antonow, auf Twitter. „Wir haben gewarnt, dass solche Aktionen nicht ohne Konsequenzen sein werden.“ Alle Verantwortung dafür hätten nun die Regierungen in Washington, London und Paris zu tragen. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, schrieb auf Facebook, es gebe weiterhin keine Beweise für den mutmaßlichen Giftgasangriff auf die Stadt Duma.
Syrien kritisiert Verstöße gegen internationales Recht
Syrien kritisierte einen Verstoß gegen internationales Recht. „Einmal mehr bestätigen die USA und die Achse zur Unterstützung des Terrors, dass sie gegen internationales Recht verstoßen, über das sie bei den Vereinten Nationen prahlerisch reden“, meldete die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana. In einer ersten Reaktion hat die syrische Führung eine "barbarische und brutale Aggression" angeprangert. Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana zitierte am Samstagmorgen eine Quelle im Außenministerium in Damaskus, die dem Westen vorwarf, mit den Angriffen die Untersuchungsmission der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) zu verhindern. Auf diese Weise wolle der Westen "seine Lügen" hinsichtlich des Geschehens in der Stadt Duma kaschieren.
Auch Iran, weitere Schutzmacht Assads, verurteilte die Angriffe als klaren Verstoß gegen internationale Vorschriften.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat alle Konfliktparteien zur Zurückhaltung gemahnt. In einer in New York veröffentlichten Erklärung hieß es am Samstag, alle Staaten müssten "unter diesen gefährlichen Umständen Zurückhaltung üben und jedwede Handlung unterlassen, die zu einer Eskalation der Lage und zu einer weiteren Verschlimmerung des Leids der syrischen Bevölkerung führen könnten".
Guterres sagte eine geplante Reise nach Saudi-Arabien ab, um sich am Wochenende mit den Folgen der Angriffe der USA, Großbritanniens und Frankreichs zu befassen. Der UN-Generalsekretär mahnte, es müsse in Übereinstimmung mit internationalem Recht gehandelt werden. Der Einsatz von Chemiewaffen sei "abscheulich", erklärte Guterres.
Militäreinsatz richtete sich offenbar gegen chemische Waffenproduktion Syriens
Der Militäreinsatz richtete sich nach Angaben von US-Verteidigungsminister Mattis gegen die Infrastruktur der chemischen Waffenproduktion Syriens. Der Einsatz von Chemiewaffen könne unter keinen Umständen geduldet werden. Nach US-Angaben gab es keine Verluste bei den gemeinsamen Angriffen auf eine Forschungszentrum wohl nordöstlich der Hauptstadt Damaskus, eine mutmaßliche Lagerstätte für chemische Waffe sowie einer Kommandoeinrichtung bei Homs. Nach dem Beginn des Angriffs waren in der Hauptstadt Damaskus schwere Explosionen zu hören gewesen. Das berichteten Anwohner am frühen Morgen.
Der Generalstabschef des US-Militärs, Joseph Dunford, sagte, nahe Homs sei der chemische Kampfstoff Sarin gelagert worden. Die USA hätten den Angriff nicht mit Russland koordiniert. Es habe lediglich Kommunikation über den regulären Kanal zwischen dem russischem und amerikanischem Militär zur Vermeidung von Zwischenfällen über Syrien gegeben.
Es ist der zweite Angriff von Trump gegen die Assad-Regierung
Mattis sagte, der Schlag gegen Syrien sei härter gewesen als der im Vorjahr. Es seien etwa doppelt so viele Waffen eingesetzt worden wie beim Angriff 2017.
Es ist das zweite Mal, dass die USA und Präsident Trump die Assad-Regierung direkt angreifen. Das US-Militär hatte vor einem Jahr die Luftwaffenbasis Schairat beschossen. Das war eine Reaktion auf den Giftgasangriff mit Dutzenden Toten auf die Stadt Chan Scheichun, für den UN-Experten die Regierung Assads verantwortlich machten. Das Eingreifen der USA galt aber weitgehend als symbolisch.
An dem Einsatz nun waren auch vier Flugzeuge der britischen Royal Air Force beteiligt. Es habe „keine gangbare Alternative zum Einsatz der Streitkräfte gegeben“, um das syrische Regime vom Einsatz der Chemiewaffen abzuschrecken, sagte die britische Premierministerin May. Die militärische Antwort sei ein „begrenzter und gezielter Schlag“. Es gehe nicht darum, in einen Bürgerkrieg einzugreifen. Es gehe auch nicht um einen Regimewechsel, sagte May.
Großbritannien bringt Angriffe auch mit Skripal-Attentat in Verbindung
Die britische Regierung hat den Vergeltungsschlag in Syrien auch in Zusammenhang mit dem Attentat auf den ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal gebracht. „Wir können nicht erlauben, dass der Gebrauch chemischer Waffen normal wird: innerhalb Syriens, auf den Straßen Großbritanniens oder irgendwo sonst in unserer Welt“, teilte Premierministerin Theresa May in London mit. „Wir hätten einen anderen Weg bevorzugt, aber bei diesem Anlass gibt es keinen.“
Der französische Präsident Macron sagte: „Dutzende von Männern, Frauen und Kindern wurden beim Einsatz chemischer Waffen in Duma am 7. April massakriert. Ich habe deshalb den französischen Streitkräften befohlen einzugreifen.“ Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian nannte den Einsatz rechtmäßig. Das Vorgehen richte sich nicht gegen die Verbündeten Syriens - Russland und Iran - und auch nicht gegen die Zivilbevölkerung. Assad solle davon abgehalten werden, weiter Chemiewaffen einzusetzen. Die französische Verteidigungsministerin Florence Parly meinte: „Wir suchen nicht die Konfrontation und weisen jede Logik militärischer Eskalation zurück“, sagte sie. „Deshalb haben wir mit unseren Verbündeten darauf geachtet, dass die Russen vorher gewarnt werden.“
Nach dem militärischen Angriff fordert Frankreich nun einen „Krisenausstiegsplan“ für das kriegserschütterte Land . „Wir sind bereit, ab sofort mit allen Ländern daran zu arbeiten, die dazu beitragen möchten“, sagte Außenminister Jean-Yves Le Drian am Samstag in Paris.
Frankreich sei bereit, „sehr schnell“ wieder politische Initiativen zu ergreifen, sagte Le Drian. Er erneuerte auch die Forderung nach einer Waffenruhe im ganzen Land und einem humanitären Zugang, um Hilfe für die Zivilbevölkerung zu ermöglichen.
Nato-Generalsekretär unterstützt den Angriff
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg unterstützt den Angriff und erklärte: „Das wird die Fähigkeiten der Führung einschränken, weiter die Menschen in Syrien mit chemischen Waffen anzugreifen.“ UN-Generalsekretär António Guterres rief die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zur Zurückhaltung auf und warnte vor einer weiteren Eskalation.
Trump hatte unverhohlen mit dem Angriff gedroht. Er sagte in seiner sehr kurzfristig angekündigten, etwa acht Minuten dauernden Ansprache, die USA seien darauf vorbereitet, ihre Einsätze fortzusetzen, bis die syrische Regierung ihren Einsatz verbotener chemischer Waffen beende. An Russland und den Iran gerichtet, fragte Trump: „Was für eine Art Nation würde im Zusammenhang stehen wollen mit dem Massenmord an unschuldigen Männern, Frauen und Kindern?“
Die syrische Armee war seit Tagen in voller Alarmbereitschaft und hatte sich am Mittwoch von weiteren Stützpunkten zurückgezogen. Schon am Dienstag verließ die Armee einige Militärbasen, um einer möglicherweise bevorstehenden Attacke der USA und seiner Verbündeten Frankreich und Großbritannien weniger Angriffsfläche zu bieten.
Eskalation begann mit mutmaßlichem Giftgasangriff auf die Stadt Duma
Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete, die Luftabwehr Syriens habe die „amerikanisch-britisch-französische Aggression“ bekämpft. Aus Armeekreisen hieß es, es seien Dutzende Abwehrraketen abgefeuert worden, unter anderem vom Militärflughafen Al-Schairat. Das Pentagon wollte zu dieser Darstellung keine Stellung nehmen.
Begonnen hatte die Eskalation mit einem mutmaßlichen Giftgasangriff auf die letzte damals noch von Rebellen kontrollierte Stadt Duma in der Region Ost-Ghuta am 7. April. Dabei sollen der Hilfsorganisation Weißhelme zufolge mindestens 42 Menschen getötet worden sein. Mehr als 500 Personen wurden demnach in Krankenhäusern behandelt.
Experten der Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW) wollten am Samstag in Duma untersuchen, ob dort tatsächlich Chemiewaffen eingesetzt wurden. Ihr Auftrag lautet jedoch nicht, die Verantwortlichen zu ermitteln.
Russland hatte den Vorfall als inszenierte Provokation Großbritanniens eingestuft. „Wir haben Beweise, dass Großbritannien an der Organisation dieser Provokation in Ost-Ghuta direkt beteiligt ist“, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Die britische UN-Botschafterin Karen Pierce bezeichnete den Vorwurf als „grotesk“, „bizarr“ und „offenkundige Lüge“. (dpa, AFP)