Alternde Gesellschaft: Alles Senior, oder was?
Kaum jemand möchte zu den Alten gehören. Und dass die auch noch dauernd "Senioren" genannt werden, macht alles noch schlimmer. Eine Glosse
Sogar wenn das Anliegen kämpferisch ist, bleibt die Wortwahl oft eigenartig betulich. Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie und Senioren, mahnte in der „Bild“-Zeitung eine „neue Kultur des Respekts vor dem Alter“ an: „Ältere Menschen verdienen Wertschätzung für ihre Lebensleistung und, wenn nötig, unsere Fürsorge“, sagte sie dem Blatt. „Unsere Fürsorge“ ist hier die Fürsorge der Jüngeren. Die sind das gesellschaftsprägende „Wir“, die „älteren Menschen“ sind die anderen, denen „wir“ Respekt zollen oder nicht und um die „wir“ uns kümmern oder nicht.
Anders als jede andere Gruppe möglicherweise Diskriminierter hat die Gruppe der Alten das Problem, das kaum einer dazugehören möchte. Alt sein ist anders als Geschlechts- oder Religionszugehörigkeit nichts identitätsstiftendes. Es ist auch nichts, worauf man stolz sein könnte. Es kommt sowieso. Alt wird schließlich jede und jeder, der lange lebt. Darum hat es der Kampf gegen Altersdiskriminierung besonders schwer. Ein sprachlicher Aspekt dieser Diskriminierung findet sich auch im Titel des zuständigen Ministeriums: für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Wozu eigentlich diese Aufteilung?
Warum nicht die Senioren streichen - aus dem Ministeriumstitel zumal?
In einer Gesellschaft, in der sich die größte Altersgruppe, die Babyboomer, allmählich an und über die Benchmark von 60 Jahren schiebt, zeugt diese Bevölkerungskategorisierung von einer gewissen Realitätsvergessenheit. Die Mehrheit wird immer senioriger, nimmt das aber ungern zur Kenntnis, denn das Gefühl fürs Alter hat sich stark verschoben. 60 ist das neue 40. Die heute 60-Jährigen haben mit den 60-Jährigen ihrer Elterngeneration in der Regel wenig gemeinsam. Wer heute 60 ist, fängt an, für den Iron Man zu trainieren, wer 70 wird, lernt Französisch – und wer weiß, ob in zehn Jahren nicht alle 70-Jährigen, weil noch berufstätig, zum lebenslangen Lernen angehalten werden. Wer hätte da Zeit, sich um sein Testament zu kümmern?
Am Montag beginnt der 12. Deutsche Seniorentag. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird zur Eröffnung sprechen. Wird der 1956 Geborene sich für einen demnächst vom Begriff „Senioren“ Betroffenen halten? Wahrscheinlich nicht, und glücklicherweise nicht. Wenn aber die Begriffe Senior und Seniorin so wenig attraktiv sind, warum streicht man sie nicht aus dem Sprachgebrauch – und dem Ministeriumsnamen?
Wobei diejenigen, die heute bereits zweifelsohne zu den Alten zählen, auf solche Änderungen höchstwahrscheinlich pfeifen. Denen sind derartige Spitzfindigkeiten wohl eher zu läppisch, als das sie darüber aufregten. Altersdiskriminierung? Kindchen, ich habe das kriegszerstörte Berlin gesehen, ich weiß, was ein echtes Problem ist.