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Ahmet Davutoglu soll neuer Ministerpräsident werden.
© dpa

Nachfolger von Erdogan in der Türkei: Ahmet Davutoglu steht vor einer schwierigen Aufgabe

Der bisherige Außenminister Ahmet Davutoglu soll Nachfolger von Recep Tayyip Erdogan als türkischer Ministerpräsident werden. Bis zur Parlamentswahl im Juni des kommenden Jahres warten zahlreiche Probleme auf den Quereinsteiger.

Auf eine Schonfrist kann Ahmet Davutoglu nicht hoffen. Der bisherige türkische Außenminister soll ab kommender Woche vom neuen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan die Posten des Ministerpräsidenten und des Chef der Regierungspartei AKP übernehmen. Erdogan nominierte den 55-jährigen Politikprofessor am Donnerstag unter dem Beifall von AKP-Anhängern für die beiden Posten.

Davutoglus Auftrag sei es, eine „neue Türkei“ mit neuer Verfassung aufzubauen, den Friedensprozess mit den Kurden voranzutreiben und gegen Feinde der Regierung im Staatsapparat vorzugehen, sagte Erdogan. Davutoglu versprach in seiner ersten Rede als designierter Premier, sich an die von Erdogan vorgegebenen politischen Grundlinien zu halten. Erdogan sei und bleibe der „Anführer dieses Teams“.

Davutoglu soll bei einem Sonderparteitag nächste Woche zum AKP-Chef gewählt werden. Kurz darauf wird Erdogan das Präsidentenamt übernehmen und Davutoglu den Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung erteilen. Nach Presseberichten sind Geheimdienstchef Hakan Fidan und EU-Minister Mevlüt Cavusoglu als Kandidaten für das Außenministerium im Gespräch.

Als Erdogans Wunschkandidat muss Davutoglu beim Parteitag keine Gegenkandidaten befürchten. Doch auch ohne Rivalen hat er Probleme genug.

Erdogan will als Präsident die Fäden der Politik in den Händen behalten, auch wenn die derzeitige Verfassung dem Staatsschef eher eine repräsentative Rolle zuweist. Um von der Staatsspitze aus regieren zu können, braucht Erdogan einen verlässlichen Gefolgsmann als Regierungs- und Parteichef. Vor allem deshalb fiel seine Wahl auf Davutoglu. Der scheidende Präsident Abdullah Gül, der ebenfalls im Gespräch war, ist Erdogan offenbar zu mächtig. Gül ist sehr verärgert darüber, seine Frau kündigte öffentlich eine „Intifada“ gegen die Widersacher in der AKP an.

Davutoglu muss sich aber nicht nur mit einem verbitterten Gül herumschlagen. Auf seinem bisherigen Arbeitsgebiet, der Außenpolitik, warten ebenfalls große Probleme auf ihn. Das drängendste ist der Machtgewinn der Dschihadisten-Gruppe „Islamischer Staat“ (IS) im Irak und in Syrien. IS hält seit Juni knapp 50 türkische Geiseln in ihrer Gewalt.

Streit um türkische Enklave in Syrien

Nach einem Bericht der unabhängigen Tageszeitung „Taraf“ ist Ankara bereit, eine aus osmanischer Zeit stammende Exklave der Türkei in Syrien im Gegenzug für die Freilassung der Geiseln dem IS zu überlassen. Das türkische Außenamt warf „Taraf“ darauf eine unverantwortliche Berichterstattung vor, doch Regierungsgegner betonten, ein eindeutiges Dementi sei ausgeblieben. Die Opposition will den angeblichen Tauschhandel im Parlament zur Sprache bringen. Der Verzicht auf die Exklave würde voraussichtlich starke Proteste türkischer Nationalisten nach sich ziehen.

Gleichzeitig muss sich Davutoglu gegen den Vorwurf wehren, die Türkei habe die IS lange aktiv unterstützt und erlaube es den Dschihadisten, das türkische Grenzgebiet als Rückzugsraum zu nutzen. Diese Vorwürfe sorgen unter anderem im türkischen Verhältnis zu den USA für Ärger.

Auch in der Nachbarschaft wird Davutoglu als neuer Premier nicht überall auf einen begeisterten Empfang hoffen können. In seiner Ära als Außenminister hatten sich die türkischen Beziehungen zu mehreren Staaten der Region verschlechtert. Der neue türkische Ministerpräsident sei im Nahen Osten praktisch eine unerwünschte Person, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters einen europäischen Diplomaten.

In den Beziehungen zu Deutschland köchelt die BND-Krise weiter. Laut einem Bericht der Zeitung „Hürriyet“ ist die Türkei das einzige NATO-Land, das vom deutschen Auslandsgeheimdienst bespitzelt wird. Auch hier könnten Davutoglu und sein Nachfolger im Außenamt unter Druck von Nationalisten geraten.

Davutoglu ist ein politischer Quereinsteiger

Besonders brisant für seine eigene politische Zukunft ist Davutoglus Aufgabe als neuer AKP-Chef. Hakan Bayrakci, Chef des Meinungsforschungsinstitutes Sonar, mit Davutoglu statt Erdogan an der Spitze werde die sieggewohnte AKP auf höchstens 23 Prozent der Stimmen abstürzen; derzeit liegt sie bei etwa 45 Prozent. Erdogans Wahl zum Präsidenten sei der Anfang vom Ende der AKP, sagte Bayrakci der türkischen Ausgabe des „Wall Street Journal“.

Die nächste Parlamentswahl im Juni kommenden Jahres wird zur eigentlichen Bewährungsprobe für Davutoglu: Zum ersten Mal muss die AKP ohne Erdogan an ihrer Spitze um Stimmen werben. Aus Erdogans Sicht besteht Davutoglus Mission vor allem in der Sicherung eines weiteren AKP-Sieges. Das politische Schicksal des neuen Premiers wird sich an der Frage entscheiden, ob ihm dies gelingt.

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