Wahl in der Türkei: Erdogan gewinnt Präsidentenwahl knapper als erwartet
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan erhält bei der Präsidentenwahl in der Türkei 52 Prozent der Stimmen. Bei in Deutschland wählenden Türken erzielte er sogar 70 Prozent. Nun strebt er umfassende Änderungen an.
Recep Tayyip Erdogan ließ die Menge lange warten. Tausende hatten sich mit Fahnen und Wimpeln vor dem Sitz der Erdogan-Partei AKP in Ankara versammelt, um die erste Rede ihres frisch gewählten Präsidenten zu hören. Als Erdogan am späten Abend endlich auf dem Balkon seines Hauptquartiers erschien, brach lauter Jubel los. „Die Türkei ist stolz auf dich“, rief die Menge.
Erdogan, sonst für seine teils rüden Attacken auf seine politischen Gegner bekannt, dankte ausdrücklich auch jenen Türken, die ihn wählten für ihren Beitrag zur ersten Direktwahl des türkischen Staatspräsidenten. Nicht nur Recep Tayyip Erdogan habe die Wahl gewonnen, sondern der „nationale Wille“, die Demokratie und selbst jene, die nicht mit ihm selbst einverstanden seien.
Damit unterstrich Erdogan, dass er als Präsident nicht nur für die eigenen Wähler da sein will – ob er auch danach handelt, muss sich allerdings noch erweisen. Das Ergebnis der Wahl unterstrich die Spaltung der türkischen Gesellschaft: Erdogan kam auf knapp 52 Prozent der Stimmen, sein Hauptkonkurrent Ekmeleddin Ihsanoglu auf 38,5 Prozent und Kurdenkandidat Selahattin Demirtas auf fast 10 Prozent. Damit blieb Erdogan weit unter den eigenen Voraussagen von bis zu 57 Prozent. Das vorläufige amtliche Endergebis wird an diesem Montag erwartet.
Die Wahlbeteiligung lag bei 77 Prozent, die niedrigste in der Türkei seit zehn Jahren. Beobachter führten dies vor allem auf Resignation bei Oppositionswählern zurück, die nicht zur Wahl gingen, weil sie Erdogans Erfolg für unvermeidlich hielten.
Auch das Grubenunglück wirkte sich nicht negativ aus
Am Ende konnte kein Ereignis Erdogan etwas anhaben, weder das harte Vorgehen gegen die Gezi-Protestbewegung im vergangenen Jahr, noch die Korruptionsvorwürfe gegen seine Regierung. Auch das schwere Grubenunglück von Soma, bei dem im Mai 301 Bergleute ums Leben kamen und das vom Premier zunächst als unvermeidlicher Unfall heruntergespielt wurde, hatte keine Folgen für ihn: In Soma kam Erdogan auf 48 Prozent der Stimmen. Bei den türkischen Wählern in Deutschland kam Erdogan auf fast 70 Prozent.
In der Türkei selbst punktete Erdogan nach ersten Analysen vor allem in den islamisch-konservativen Gegenden Anatoliens sowie in den Großstädten wie Istanbul, wo er auf rund 53 Prozent kam. In einigen ländlichen Provinzen erhielt Erdogan 80 Prozent der Stimmen. Laut Beobachtern konnte Erdogan insbesondere viele nationalistische Wähler auf seine Seite ziehen.
Als Ministerpräsident regiert Erdogan bereits seit mehr als zehn Jahren – jetzt kommen mindestens fünf weitere Jahre als 12. Präsident der Republik bis zum Jahr 2019 hinzu: Dann wäre Erdogan 16 Jahre an der Macht und hätte damit selbst Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk übertroffen. Bei einer Wiederwahl könnte Erdogan bis zum Jahr 2024 am Ruder bleiben. Bei der Stimmabgabe am Sonntag sprach Erdogan von einer historisch bedeutsamen Wahl.
Er will noch mehr
Mit dem Präsidententitel allein will sich Erdogan aber nicht zufrieden geben – er strebt nach einem Präsidialsystem, das die Politik der Türkei gründlich verändern wird. Derzeit weist die türkische Verfassung dem Staatsoberhaupt vor allem eine repräsentative Rolle zu. Doch Erdogan will alle vorhandenen Befugnisse des Präsidenten – etwa bei der Leitung von Kabinettsitzungen – voll ausnutzen und darüber hinaus mit Verfassungsänderungen ein Präsidialsystem verankern. Gegner befürchten die Errichtung eines autoritären und islamisch-konservativen Ein-Mann-Regimes.
Zunächst wird Erdogan für die Zeit nach seinem offiziellen Amtsantritt Ende August aus den Reihen der AKP einen neuen Ministerpräsidenten auswählen. Zu den Favoriten für den Posten gehört unter anderem Außenminister Ahmet Davutoglu. Allerdings wird der neue Regierungschef unter Erdogan eine untergeordnete Rolle spielen. Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci sagte bereits, in der Türkei gebe es in der neuen Ära keinen Ministerpräsidenten mehr, sondern nur noch einen Vorsitzenden des Ministerrates – auf gut Deutsch: einen Gehilfen des Präsidenten.
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