Militär-Willkür: Ägyptischer Blogger kämpft um seine Freilassung
Ein paar Kommentare in seinem Blog reichten, und Maikel Nabil Sanad wurde verurteilt. Vom Militär, das Demokratie versprochen hatte nach dem Sturz des Diktators. Nun trat er im Gefängnis in Kairo in einen Hungerstreik.
Es sind nicht mehr als ein paar Zeilen, die Maikel Nabil Sanad aus dem Gefängnis schmuggeln konnte. Sie klingen nüchtern, und doch spricht die Verzweiflung aus ihnen. „Der ägyptische Blogger Maikel Nabil Sanad ist am Dienstag, den 23. August, in einen offenen Hungerstreik getreten, um gegen seine dreijährige Haft zu protestieren“, schreibt er in der Botschaft, die er seinem Bruder Mark bei dessen letztem Besuch vor zwei Wochen mitgegeben hat. Er verlange Gleichbehandlung mit anderen Aktivisten, die in ähnlichen Situationen wie er amnestiert worden waren, heißt es weiter. Das ist das Letzte, was seine Freunde und Familie von Maikel gehört haben, wie es ihm jetzt geht, weiß keiner.
Als sein Bruder Mark gestern ins Gefängnis kam, um Maikel zu besuchen, sagte man ihm, Maikel wolle niemanden sehen. „Ich glaube das nicht“, sagt Mark. „Ich habe Angst, dass Maikel etwas zugestoßen ist und die Gefängnisleitung das verheimlichen will.“
Die neue Freiheit Ägyptens war erst wenige Wochen alt, als sie kamen, um ihn gefangen zu nehmen. Um fünf Uhr nachmittags klopften Soldaten an Maikel Nabil Sanads Wohnungstür in Kairo. Er hatte sie erwartet. Schon zweimal war der Blogger und Kriegsdienstverweigerer vom Militär verhaftet worden, aber diesmal war etwas anders. Die vier Soldaten nahmen ihn nicht einfach mit, in Hausschuhen, wie beim letzten Mal. Der 25-Jährige, den alle nur Maikel nennen, durfte sich noch umziehen und ein paar Sachen packen. Dann nahmen sie ihm sein Handy ab, aber seinen Computer, der ihm die Verhaftung eingebracht hatte, rührten sie nicht an. Auch seinen Blog würden sie nicht abschalten, sein letzter Eintrag ist vom 25. März, drei Tage vor seiner Verhaftung.
Ägypten in den Wochen vor Maikels Verhaftung, das war ein Land im Freiheitstaumel. Wovon in den ersten Tagen der Proteste niemand zu träumen gewagt hatte, wurde wahr: Präsident Hosni Mubarak wurde gestürzt! Auch Maikel Nabil hatte jeden Tag demonstriert. Es gibt ein Foto von ihm, wie er Ende Januar, kurz nach Beginn der Massenproteste, vor einem Panzer steht. Ein schmaler junger Mann in Trainingsjacke und Jeans, der ein Plakat hochhält. „Wir lassen uns die Revolution nicht von der Armee stehlen“, steht darauf. Als hätte er die Zukunft vorhergesehen.
Am 12. Februar endet das Mubarak-Regime, Maikel Nabil Sanad feiert mit seinen Freunden auf den Straßen Kairos. Aber in seine Freude mischt sich Skepsis, weil die Macht nun tatsächlich in den Händen des Militärs liegt. Nachdem bekannt gegeben wurde, dass der 75 Jahre alte General Mohammed Hussein Tantawi, der 20 Jahre lang Mubaraks Verteidigungsminister war, bis zu den Wahlen im Herbst der erste Mann im Staat sein wird, schreibt Maikel am 14. Februar in seinem Blog: „Ich bin ein toter Mann.“ Sechs Wochen später wird er verhaftet.
Seit fünf Monaten sitzt er jetzt im El-Marg-Gefängnis am Stadtrand von Kairo. Zu drei Jahren Haft wurde er wegen Beleidigung des Militärs und der Verbreitung von Falschinformationen verurteilt. Der Vorwurf bezieht sich unter anderem auf einen Artikel, den Maikel am 8. März in seinem Blog veröffentlicht hat. Darin beschreibt er das Verhalten des Militärs während der Proteste und nach dem Rücktritt Mubaraks.
Anders, als es die Militärführung darstellte, hätten Soldaten sehr wohl versucht, die Proteste gewaltsam zu stoppen. Indem sie Demonstranten verhafteten und zum Teil mit Schlägen und Elektroschocks folterten, indem sie Journalisten einschüchterten und in die Büros von Menschenrechtsorganisationen einbrachen. Maikel Nabil Sanad nennt Dutzende Beispiele und zitiert verschiedenste Quellen. Er war selbst am 4. Februar von Armeeoffizieren festgenommen worden, auf dem Weg zu einer Demonstration. In seinem Blog beschreibt er, wie er mit verbundenen Augen zur Geheimdienstzentrale gebracht worden sei, dort habe man ihn zwei Tage festgehalten, geschlagen und mit Folter und Vergewaltigung bedroht. In seinem Artikel schreibt Maikel: „Die Revolution hat den Diktator davongejagt, aber die Diktatur ist nicht beseitigt.“
Ein gefährlicher Besuch bei Maikel im Gefängnis. Lesen Sie weiter auf Seite 2
Drei Jahre hinter Gitter für ein paar Kommentare in einem Blog, für einen 25-Jährigen, der mit Worten gegen den riesigen Militärapparat aufbegehrt. Und das zu einer Zeit, in der das Militär verspricht, die Demokratie einzuführen.
Maikel ist bei Weitem nicht der Einzige, der das Militär kritisiert. Aber er ist der einzige Blogger, der dafür inhaftiert bleibt. Andere wie etwa die bekannte Aktivistin Asmaa Mahfouz, die Mitte August wegen des Aufrufs zur Gewalt gegen das Militär festgenommen worden war, kam kurz darauf wieder frei, alle Anklagepunkte wurden fallen gelassen. Nur Maikel Nabil sitzt noch, und daran verzweifelt er offenbar langsam. Gegen das Urteil hatte Maikel Ende Juni Berufung eingelegt, bislang ohne Ergebnis. Deshalb hat er vor einer Woche den Hungerstreik begonnen – seine letzte Waffe.
Maikels Familie und seine Freunde machen sich große Sorgen um seine Gesundheit. Auch weil er herzkrank ist und Medikamente einnehmen muss. Er will den Hungerstreik erst dann abbrechen, wenn das Militär seiner Freilassung zustimmt.
Seit Dienstagmorgen vergangener Woche verweigert Maikel Essen. Seit gestern, so hatte er es angekündigt, will er auch nicht mehr trinken und seine Medikamente nicht mehr nehmen. „Wir hatten alles versucht, um ihn von dem Hungerstreik abzubringen. Aber Maikel lässt sich von seinen Entscheidungen nicht abbringen“, sagt seine beste Freundin Sahar El-Essawy.
In den letzten Wochen muss Maikel immer deprimierter geworden sein. Er sei ständig von einem Beamten beobachtet worden, der alleine zu seiner Überwachung abgestellt wurde, sagt Sahar. Besuch durfte er nur alle zwei Wochen empfangen statt wöchentlich, wie die anderen Gefangenen. Als Sahar am gestrigen Dienstag mit Maikels Bruder Mark zum Gefängnis kam, erfuhren sie, dass er zudem in Einzelhaft sei.
In den ersten Monaten seiner Haft war Maikel stets zuversichtlich gewesen, das Gefängnis bald verlassen zu können – auch wenn es keine Anzeichen dafür gab. „Ich bereue nichts von dem, was ich geschrieben habe“, hatte er noch Anfang Juli gesagt. Damals gelang es uns, ihn im Gefängnis zu besuchen. Ausländer bekommen zwar offiziell keine Besuchserlaubnis, schon gar nicht, wenn sie Journalisten sind. Aber wir haben uns trotzdem auf den Weg zum El-Marg-Gefängnis gemacht, zusammen mit Maikels kleinem Bruder Mark und seiner Freundin Sahar.
Ein hohes Metalltor schirmt das Gefängnisgelände ab. Gegenüber verläuft ein Seitenarm des Nil, die Böschung ist übersät mit Müll. Vor dem Gefängnis müssen die Handys abgegeben werden. Mark packt sie in eine Tüte und gibt sie einer Familie, die vor dem Gefängnis unter einem Baum kampiert. Gegen ein kleines Entgelt passt sie darauf auf. Alles wird inoffiziell geregelt. Auch die Wärter am Tor tragen keine Uniform. Regeln, das lernen wir schnell, sind in diesem Land nicht unbedingt dazu da, eingehalten zu werden. Das kann ein Vorteil sein, aber auch ein Nachteil.
Hinter dem Tor liegt ein großer Innenhof. Eine Frau kontrolliert Taschen und Ausweise. Sahar sagt, ich sei eine Freundin und hätte meinen Ausweis vergessen. Die Frau sieht mich an. Meine Haare sind dunkel genug, um mich als Ägypterin durchgehen zu lassen. Das bin ich auch zur Hälfte, weil mein Vater aus Kairo stammt, die Sprache kann ich allerdings kaum. Ich versuche es mit einem Lächeln, die Frau lächelt zurück. Wir dürfen weiter zum zweiten Tor.
Auch dort gibt man sich mit den Ausweisen meiner Begleiter zufrieden. Allerdings wird eine Frau, die uns erneut durchsucht, misstrauisch, sie fragt Sahar mit Blick auf mich: „Warum sagt sie nicht mal Guten Tag?“ Sahar steckt ihr schnell 50 ägyptische Pfund zu, umgerechnet etwa sechs Euro. Dann sind wir drin.
Besucher werden in einem eigenen Gebäude empfangen, gleich neben dem Tor. In dem großen Raum sitzen Häftlinge auf Steinbänken, andere haben es sich mit Frau und Kindern auf Matten am Boden bequem gemacht. Maikel steht in einer Ecke, er trägt blaue Anstaltskleidung, ein verwaschenes T-Shirt und eine Hose, die aussieht, als gehöre sie zu einem Schlafanzug, an den Füßen Badeschlappen. Als er seinen Bruder und Sahar sieht, schlägt er die Hände vor den Mund. Er ist erleichtert, sie zu sehen, eigentlich hat er sie schon vor drei Tagen erwartet, aber sie konnten ihn nicht verständigen, um Bescheid zu geben, dass sie später kommen werden.
Maikel setzt sich auf eine Bank neben seinen Bruder Mark. Wie lange er schon Gefangener ist, kann man an seiner Haut ablesen. Er ist sehr blass, im Gegensatz zu Mark hat er die Sonne in den vergangenen Monaten nur selten gesehen. Maikel beruhigt sich langsam, bald überwiegt die Freude über den überraschenden Besuch aus dem Ausland, jeder Bericht könne ihm helfen, sagt er. Maikel hat noch mit keinem Fremden über seinen Gefängnisaufenthalt geredet. Aber das merkt man ihm nicht an, er spricht Englisch in druckreifen Sätzen, ohne Pause. Vor seiner Verhaftung hat Maikel auf Konferenzen gesprochen, in einer Partei mitgearbeitet und in Menschenrechtsgruppen.
Maikels Eltern sind koptische Christen, er selbst bezeichnet sich als Atheisten. Die Familie stammt aus Assiut, 400 Kilometer nilabwärts von Kairo. Dort startet er mit 20 Jahren seinen Blog, damals studiert er Tiermedizin. Für Politikwissenschaften, die ihn viel mehr interessieren, hat seine Abiturnote nicht gereicht. Maikel verbringt seine Zeit lesend und bloggend, seine Lieblingsbücher sind von Nietzsche und Freud. Außerdem interessiert er sich sehr für den amerikanischen Pazifismus zu Zeiten des Vietnamkriegs. Es dauert nicht lange, bis er die ersten Probleme mit der Universitätsleitung bekommt. Seither ist Maikel Nabil Sanad mit seinem Blog immer wieder angeeckt in Ägypten.
Das Militär will an Maikel ein Exempel statuieren. Lesen Sie weiter auf Seite 3
Er hat es zu einiger Berühmtheit gebracht, als er im Herbst 2010 Ägyptens erster Kriegsdienstverweigerer war und damit auch durchkam. Er wertete das als Sieg für sich, glaubte, den großen Militärapparat mit seinem starken Willen bezwungen zu haben. Maikel Nabil gab Interviews, sogar eine israelische Zeitung sprach mit ihm. Das wiederum beschäftigte die ägyptischen Medien. Maikel, der das Existenzrecht Israels verteidigt, wurde als „zionistischer Agent“ beschimpft.
Maikel glaubt, dass seine Verurteilung eine Art Rache ist, das Militär habe damit eine offene Rechnung begleichen wollen. Auch Menschenrechtsgruppen und viele andere ägyptische Aktivisten machen das Militär für wahllose Verhaftungen, Demütigungen und Folter verantwortlich. Die Folter von Gefangenen scheint die Militärführung zwar mittlerweile weitgehend unterbunden zu haben, aber bisher wurde kein Fall öffentlich untersucht. Menschenrechtsgruppen sind außerdem alarmiert von den zahlreichen Militärtribunalen, 10 000 bis 20 000 Zivilisten seien in den vergangenen Monaten verurteilt worden. Meist finden die Schnellverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. In Ägypten ist eine Paralleljustiz entstanden.
Maikel konnte seinen Bruder erst einen Tag nach seiner Festnahme verständigen und auch nur, weil ihm ein Soldat heimlich ein Handy lieh. Der Anwalt, den der Bruder verständigte, traf gerade mal ein, kurz bevor Maikel dem Militärrichter vorgeführt wurde. Als zwölf Tage später das Urteil gesprochen wurde, war der Anwalt gar nicht dabei, weil das Gericht ihn nicht informiert hatte.
Warum beschädigt die ägyptische Militärführung so offensichtlich ihren Ruf, nur um einen einzelnen Blogger hinter Gitter zu bringen? In einem Interview im ägyptischen Fernsehen gleich nach der Verurteilung sagte ein Sprecher, Maikels Forderung nach einem Ende der Wehrpflicht habe negative Auswirkungen auf die Jugend Ägyptens. Doch auf unsere Anfrage äußert sich die Armee nicht.
„Das ist ein politischer Fall“, sagt Ramy Raouf von der Ägyptischen Initiative für persönliche Rechte, die Maikels Anwalt stellt. Raouf ist selbst Blogger und mit Maikel befreundet. „Die herkömmlichen Medien hat das Militär gut unter Kontrolle“, sagt er. Weil Blogger jedoch schwieriger zu kontrollieren seien, sagt Raouf, habe man ihnen mit Maikels Verhaftung deutlich zu verstehen geben wollen, dass sie sich nicht in Sicherheit wähnen sollten. Es war ein Warnschuss.
Für einen jungen Mann, der es gewohnt ist, täglich mit der ganzen Welt zu kommunizieren, und das nun nicht mehr kann, wirkt er im Juli noch kein bisschen gebrochen. „Die Freiheit fordert ihren Preis, und ich bin bereit, ihn zu zahlen“, sagt er. Es sind Sätze, die er oft gesagt und geschrieben hat, aber sie klingen auch jetzt noch so emphatisch, als sagte er sie zum ersten Mal. Er lebt für seine Gedanken, gefangen ist nur sein Körper.
In den vergangenen Monaten haben Maikels Freunde Kampagnen gestartet für seine Freilassung. Sie haben Facebook-Gruppen gegründet und Flyer entworfen. Alles vergeblich.
Sahar El-Essawy sitzt in ihrer Wohnung in der Innenstadt von Kairo und macht sich große Sorgen um Maikel. Sie wohnt nur ein paar Schritte vom Tahrir-Platz entfernt, wo sie mit Maikel jeden Tag demonstriert hat. An den Wänden ihres Wohnzimmers hängen Fotos, die sie aus Zeitschriften ausgerissen hat, das alte Sofa ist von einem bunten Tuch bedeckt, es ist auf eine gemütliche Art unordentlich, wie bei allen jungen Leuten, die Besseres zu tun haben, als ihre Wohnung aufzuräumen. Sie sagt, sie könne an nichts anderes mehr denken als an Maikels Schicksal. „Für ihn, der ohnehin so dünn und nicht gesund ist, kann dieser Hungerstreik tödlich sein.“
Im Herbst 2010 war Maikel der erste Kriegsdienstverweigerer seines Landes. Jetzt will er der Erste in Ägypten sein, der mit einem Hungerstreik das Ende seiner Haft erzwingt. Der Kampf zwischen Maikel und dem Militär ist in eine neue Runde gegangen. Seinen Freunden bleibt jetzt nichts anderes, als zu hoffen, dass er diesen Kampf überleben wird.
Annabel Wahba