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Italienische Nudeln für Flüchtlinge aus Afrika.
© AFP

Flüchtlingstragödie im Mittelmeer: Afrikas Elend

Die Gründe für die jedes Jahr größeren Flüchtlingsströme liegen nicht in erster Linie in der antiquierten EU-Politik. Sie sind vielmehr Symptome einer Krankheit, die in den schlecht regierten Staaten Afrikas und Arabiens wurzelt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Wolfgang Drechsler

Vielerorts werden angesichts der Tragödie im südlichen Mittelmeer die Rufe nach einer neuen, humaneren europäischen Flüchtlingspolitik und einer Ausweitung legaler Einwanderungsmöglichkeiten nach Europa laut. Auch soll das Ende Oktober 2014 eingestellte Seenotrettungsprogramms „Mare Nostrum“ sofort neu aufgenommen werden.
Das alles ist ein erster und sicherlich zum Teil auch sinnvoller Notbehelf. Gleichwohl liegen die Gründe für die jedes Jahr größeren Flüchtlingsströme nicht in erster Linie in der antiquierten EU-Politik. Sie sind vielmehr Symptome einer Krankheit, die in den schlecht regierten Staaten Afrikas und Arabiens wurzelt. Viele der afrikanischen Flüchtlinge, die jetzt über das Mittelmeer fliehen, stammen aus Somalia, wo es seit fast 25 Jahren keinen funktionierenden Staat mehr gibt, und mehr noch aus Eritrea, wo ein Stalinist die Menschen seit Jahren tyrannisiert und sein Land international isoliert.

Bei vielen der betroffenen Länder handelt es sich um gescheiterte Staaten oder repressive Einparteienstaaten, die ihre Bürger systematisch an jeglicher Entfaltung hindern. Die Afrikanische Union (AU), das afrikanische Gegenstück zur EU, tut ihrerseits gar nichts, um den Despoten im Südsudan oder in Zentralafrika das Handwerk zu legen. Wahlbetrügereien wie in Simbabwe werden von der AU stillschweigend gebilligt und die Ausbrüche von Krankheiten wie Ebola schlicht ignoriert.

So brauchte die AU über sechs Monate, um nach dem Bekanntwerden der Ebola-Epidemie überhaupt eine erste Delegation in die Krisenregion zu entsenden. Auch zur Tragödie im Mittelmeer schweigt die AU beharrlich. Seit Tagen versucht die BBC, dort jemanden zu interviewen. Doch alle Amtsträger lassen sich verleugnen. Statements? Fehlanzeige. Man müsste ja eigene Versäumnisse eingestehen, was in Afrika gar nicht geht. Schuld sind schließlich immer die anderen.

Trotz Zehntausender Opfer findet praktisch keine Syrien- oder Afrikadebatte statt

Dass die Situation derart eskalieren konnte, liegt allerdings auch am Rückzug Europas und der Konzentration auf sich selbst. Während man zum Beispiel in Deutschland über Mindestlohn und Autobahnmaut schwadroniert, findet trotz Zehntausender Opfer praktisch keine Syrien- oder Afrikadebatte statt. Nur wenige Europäer scheinen zu begreifen, wie verzweifelt die Zustände in vielen Staaten südlich der Sahara angesichts des extremen Bevölkerungswachstum, des Ressourcenmangels und der extremen Gleichgültigkeit der afrikanischen Eliten gegenüber den eigenen Bürgern sind. Ein Indiz dafür sind auch die fremdenfeindlichen Unruhen, die Südafrika gerade erschüttern. Sie sind ein weiteres Symptom für die extrem bedenkliche Lage auf dem Kontinent, die vielleicht noch durch gezielte Ausbildungs- und Sozialprogramme stabilisiert werden könnte. Dabei gilt es vor allem, die Bevölkerungsexplosion südlich der Sahara zu stoppen, die jeden Fortschritt verhindert.

Gelingen könnte es ebenfalls, durch mehr Handel endlich die Eigeninitiative in Afrika zu stärken und gleichzeitig die fatale Abhängigkeit des Kontinents von der Entwicklungshilfe zu reduzieren, die dem Bemühen um mehr Eigenverantwortung direkt entgegensteht. Denn erst wenn Afrika eine eigene Dynamik entfaltet und die für einen Rechtsstaat nötigen Institutionen baut, werden die Flüchtlingsströme vielleicht wieder kleiner.

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