Ertrunkene Flüchtlinge: 2015 schon 30 mal mehr Tote im Mittelmeer als im Vorjahreszeitraum
Die Internationale Organisation für Migration hat Zahlen zu ertrunkenen Flüchtlingen im Mittelmeer veröffentlicht. Die EU plant für Donnerstag einen Sondergipfel, für den ein Zehn-Punkte-Plan unter anderem zur Ausweitung der Seenotrettung vorliegt.
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) hat am Dienstag Zahlen zur Flüchtlingstragödie im Mittelmeer veröffentlicht: Demnach sind seit Jahresbeginn 30 Mal mehr Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken als im Vorjahreszeitraum. Bislang seien 2015 mehr als 1750 Flüchtlinge ums Leben gekommen, sagte IOM-Sprecher Joel Millman in Genf. Allein am Sonntag hatten bei einer der bisher schlimmsten Tragödien vor der libyschen Küste nach UN-Angaben etwa 800 Menschen ihr Leben verloren.
Nach den neuen Flüchtlingstragödien will die EU nun handeln: Die EU-Außen- und Innenminister unterstützten am Montag bei einem Krisentreffen in Luxemburg einen Zehn-Punkte-Plan, der unter anderem die Ausweitung der Seenotrettung und die Zerstörung von Schlepperbooten vorsieht. Um die Vorschläge zu verabschieden, wurde für Donnerstag ein Sondergipfel angesetzt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, Europa müsse "alles tun", um weitere Opfer zu verhindern.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sprach nach dem kurzfristig einberufenen Treffen in Luxemburg von einem "ersten Schritt in Richtung einer guten europäischen Antwort". Europa habe die "Dringlichkeit" des Problems erkannt und zeige nun eine "starke Reaktion". Tatsächlich machten die Europäer die Flüchtlingsfrage mit dem am Montag von EU-Ratspräsident Donald Tusk angekündigten Sondergipfel zur Chefsache. In der Nacht zum Sonntag war es vor der libyschen Küste zur vermutlich schlimmsten Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer gekommen. Nach unterschiedlichen Angaben befanden sich zwischen 700 und 950 Menschen an Bord des Unglücksschiffes. Nur 28 Menschen wurden gerettet.
Der in Luxemburg von der EU-Kommission vorgelegte Zehn-Punkte-Plan sieht eine "Stärkung" der Seenotrettung im Mittelmeer vor, etwa durch mehr Geld und mehr Mittel. Im Detail bleibt der Plan aber vage. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte zunächst von einer geplanten "Verdoppelung der Maßnahmen" gesprochen. Weiter sieht der Plan vor, dass der Einsatzbereich der Grenzschutzmission "Triton" ausgeweitet wird, damit sie weiter von der europäischen Küste entfernt eingreifen kann.
Der spektakulärste Vorschlag der Kommission sind "systematische Anstrengungen, um Boote zu beschlagnahmen und zu zerstören, die von Schleusern benutzt werden". Laut dem EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos ist dabei eine "zivil-militärische Operation" vorgesehen, für die Europa sich offenbar die Zustimmung der UNO holen will. Avramopolous sprach von einem notwendigen "Mandat" und nannte die EU-Mission "Atalanta" gegen Piraten vor Somalia als Vorbild.
Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi, dessen Land im vergangenen Jahr mit "Mare Nostrum" einen nationalen Seenotrettungseinsatz stemmte und der den EU-Gipfel gefordert hatte, will womöglich noch einen Schritt weiter gehen. "Attacken gegen die Banden des Todes, Attacken gegen Menschenschmuggler gehören zu den Überlegungen", sagte Renzi in Rom. Es gehe nicht um einen breiten "Militäreinsatz", sondern um eine "gezielte Intervention".
Rückführung abgelehnter Asylbewerber soll beschleunigt werden
Nach den Vorschlägen von Luxemburg wollen die EU-Staaten auch die Verteilung der Flüchtlinge in Europa besser regeln, damit Mitglieder wie Italien und Griechenland als Hauptankunftsländer entlastet werden. Geplant ist nun ein "EU-weites, freiwilliges Pilotprojekt" zur Verteilung der Flüchtlinge auf verschiedene Länder, heißt es in dem Zehn-Punkte-Plan. De Maizière nannte dafür eine Zahl von zunächst 5000 Flüchtlingen, die aber in der Erklärung zu dem Treffen nicht auftauchte.
Zudem sollen die Rückführungen abgelehnter Asylbewerber in ihre Heimatländer beschleunigt werden. Laut Avramopoulos soll es unter anderem mehr Abschiebeflüge geben. Schließlich soll die Zusammenarbeit mit Ländern rund um Libyen, von wo aus die meisten Flüchtlinge derzeit nach Europa kommen, verstärkt werden. Dabei wird insbesondere der Niger genannt, der im Süden an das Land grenzt.
Für Libyen selbst fehlt der EU derzeit ein Ansprechpartner, weil es keine effektive Regierung mit Kontrolle über das ganze Land gibt, wie Mogherini sagte. Die Europäer hoffen nun weiter darauf, dass Vermittlungsbemühungen der UNO, die auf eine Regierung der nationalen Einheit zielen, zum Erfolg führen. Laut Mogherini steht die EU bereit, eine solche Regierung "mit allen Mitteln zu unterstützen".
Beim Untergang eines Flüchtlingsbootes vor der griechischen Insel Rhodos ertranken unterdessen am Montag mindestens drei Menschen, darunter ein Kind. Nach Angaben der Hafenpolizei wurden 93 Flüchtlinge gerettet.