Terroranschlag in Kenia: Einig in der Krise
Kenias Präsident Uhuru Kenyatta tritt im Geiseldrama gemeinsam mit dem Oppositionsführer Raila Odinga auf. Es ist das erste Mal seit der umstrittenen Wahl im März. Gegen 23 Uhr meldet die Polizei, die meisten Geiseln seien befreit.
Am Tag zwei des Geiseldramas im edlen Westgate-Einkaufszentrum in Kenias Hauptstadt Nairobi haben Regierung und Opposition Einigkeit gezeigt. Es war das erste Mal seit der Wahl am 4. März, dass Präsident Uhuru Kenyatta und der knapp unterlegene ehemalige Premierminister Raila Odinga gemeinsam auftraten. Kenyatta bestätigte, dass bei dem bewaffneten Angriff auf das bei der kenianischen Oberschicht und Ausländern beliebte Einkaufszentrum mindestens 68 Menschen getötet und mehr als 175 verletzt worden sind. „Ich fühlte den Schmerz eines jeden Lebens, das wir verloren haben“, sagte Kenyatta. Sein Neffe und dessen Verlobte seien unter den Toten, sagte er. Raila Odinga beschwor wie Kenyatta die Einigkeit des Landes: „Die Kenianer sind nicht gespalten.“
Schon am Sonntagvormittag drang eine israelische Spezialeinheit in das Gebäude ein. Der Gebäudekomplex ist teilweise in israelischem Besitz. Am späten Sonntagnachmittag berichteten Reporter mehrerer Medien vom Schauplatz, dass es zwei "starke Explosionen" gegeben habe. Am späten Sonntagabend meldete die kenianische Polizei, dass Einsatzkräfte mit der Befreiung der Geiseln beginnen sollten. Gegen 23 Uhr meldete sie, die meisten Geiseln seien befreit worden. Zuletzt wurden noch etwa 50 Menschen in dem Einkaufszentrum vermisst. Kurz nach Mitternacht berichtete der britische Sender BBC unter Berufung auf einen Polizeisprecher, dass noch zehn Geiseln in der Hand der Angreifer vermutet würden. Die geretteten Geiseln seien teilweise dehydriert gewesen. Der Sprecher schloss nicht aus, dass nach dem Ende der Operation noch weitere Tote in dem Gebäude gefunden werden könnten. Wann die Stürmung abgeschlossen sein würde, war kurz vor ein Uhr nachts jedoch weiterhin unklar.
Unter den Toten und Verletzten sind viele Kinder, weil in dem Ladenkomplex anlässlich des UN- Kindertags ein Kinderfest stattgefunden hatte. Nach Angaben des kenianischen Roten Kreuzes begann der Angriff am Samstag auf dem Parkdeck auf dem Dach des Gebäudekomplexes. Dort habe eine „kulturelle Aktivität“ stattgefunden, als eine Granate explodierte. Fast zeitgleich habe die Schießerei im Inneren des Gebäudes begonnen, heißt es weiter. Nach Angaben der Regierung sind mindestens 1000 Menschen aus dem Gebäude gerettet worden. „Zehn bis fünfzehn bewaffnete Täter unter ihnen auch Frauen“ seien noch in dem Gebäude mit einer weiterhin unbekannten Zahl von Geiseln. Die somalische islamistische Miliz Al Schabaab hat sich zunächst über den Kurznachrichtendienst Twitter als verantwortlich bezeichnet. Am Sonntag bekannte sich Al-Schabaab-Sprecher Ali Muhammed Rageh alias Ali Dhere im somalischen Radio: "Wir greifen an als Revanche für diejenigen, die die kenianischen Besatzer im Süden Somalias getötet haben." Dort heißt es, 36 Menschen seien in der Gewalt der Attentäter.
Mehrere Ausländer unter den Toten - Deutsche offenbar nicht betroffen
Unter den Toten sind drei Briten, zwei Franzosen, eine Niederländerin, eine Chinesin, ein Australier, zwei Kanadier, darunter eine kanadische Diplomatin. Deutsche sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes nicht unter den Opfern. Allerdings ist das Einkaufszentrum auch bei in Kenia lebenden Deutschen sehr beliebt, zumal es nicht weit vom UN-Komplex und der Deutschen Schule entfernt ist. International wurde der Terroranschlag scharf verurteilt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach am Sonntag von einem "unmenschlichen Akt".
Eine in Afrika prominente Radio-Journalistin, Ruhila Adatia-Sood, die im Westgate einen Koch-Wettbewerb moderiert hatte, wurde ebenfalls getötet. Sie war im sechsten Monat schwanger. Auch der 78-jährige ghanaische Poet Kofi Awoonor hat den Angriff nicht überlebt.
Im Herbst 2011 hatte Kenia 4000 Soldaten in einen Kampfeinsatz im Süden Somalias entsandt. Tatsächlich verlor die Miliz nach mehreren Wochen heftiger Kämpfe ihre Hochburg, die strategisch wichtige Hafenstadt Kismayo. Inzwischen ist das kenianische Kontingent Teil der 17 000 Soldaten starken Friedenstruppe der Afrikanischen Union (Amisom) in Somalia. Seitdem die Miliz militärisch mehr oder weniger besiegt ist, bekämpft sie die seit fast genau einem Jahr amtierende neue Regierung unter dem Präsidenten Hassan Scheich Mohammed mit Selbstmordattentaten.
Auch in Kenia haben Al Schabaab oder Anhänger der Miliz seit 2011 rund 30 Attentate verübt. Dabei sind mindestens 100 Menschen getötet worden. Die meisten Angriffe haben sich in der Hauptstadt Nairobi abgespielt. Doch die schwersten fanden in der nordöstlich gelegenen Stadt Garissa statt, in der die somalische Minderheit in Kenia die Mehrheit stellt. Dort ereigneten sich am 1. Juli 2012 fast zeitgleich Anschläge auf zwei Kirchen, bei denen 17 Menschen starben und 50 schwer verletzt wurden.
Wegen der steigenden Zahl von Anschlägen haben die meisten Einkaufszentren in Nairobi strenge Sicherheitsregeln eingeführt. Wenn Autos auf Parkplätze fahren, wird mit einer Sonde der Boden des Fahrzeugs überprüft. Am Eingang von Shopping-Zentren gibt es Taschenkontrollen. So war es auch im Westgate-Center. Allerdings dürfte es den Tätern nicht schwer gefallen sein, einige Wachleute zu bestechen, um sich bewaffnet Zugang zu verschaffen. Die Wachleute sind nicht nur schlecht bezahlt, die kenianische Elite lässt sie das auch spüren. Die frühere Verfassungsrichterin Nancy Baraza musste allerdings nach einem öffentlich gewordenen Zusammenstoß mit einer Wachfrau in einem Einkaufszentrum ihren Job aufgeben. Baraza hatte die Frau angeherrscht: „Wissen Sie denn nicht, wen Sie vor sich haben?“
Tausende Kenianer spendeten Blut für die Verletzten. Doch wie schwer sich Kenia mit seiner krisenbedingten Einigkeit tut, erfuhren die Blutspender gleich am Sonntag. Mehrere Taschendiebe, die Blutspender um ihre Geldbeutel erleichtert hatten, wurden von der Polizei verhaftet.
Vize-Präsident William Ruto wiederum hatte auch in der Krise anderes zu tun. Seine Anwälte beantragten am Sonntag beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag, den Prozess gegen ihn wegen seiner vermuteten Verantwortung für Verbrechen nach der Wahl 2007 zu vertagen. Der Vize-Präsident werde in der Westgate-Krise in Nairobi gebraucht, argumentieren die Anwälte. Gegen Ruto wird seit zwei Wochen in Den Haag verhandelt. In der ersten Woche begleitete ihn eine mehr als 100-köpfige Parlamentarierdelegation, in der zweiten Woche waren immer noch 25 Abgeordnete mit dabei. Nachdem ein erster Zeuge ausgesagt hatte und von kenianischen Ruto-nahen Bloggern enttarnt worden war, fand die Zeugenvernehmung in der vergangenen Woche dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Im Vorfeld des Prozesses hatten dutzende Zeugen ihre Bereitschaft, gegen Ruto und den von November an ebenfalls vor dem IStGH angeklagten Präsidenten Uhuru Kenyatta auszusagen, zurückgezogen. Am Montag entscheiden die Richter darüber, ob Ruto, der am Sonntagabend wieder nach Den Haag reisen musste, gleich wieder zurückreisen darf oder bleiben muss.
Terrorgefahr in Ost- und Westafrika
Der Anschlag am Wochenende war der mit Abstand schwerste in Ostafrika seit den doppelten Bombenschlägen auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania vor 16 Jahren. Damals waren bei der ersten größeren Aktion des damals noch weitgehend unbekannten Terrornetzwerks Al Qaida 224 Menschen ums Leben gekommen.
Der Angriff in Nairobi am Samstag erinnert aber auch daran, dass Al Schabaab in Somalia trotz der Vertreibung der Terrorbande aus den Städten nicht unterschätzt werden kann. In der Hauptstadt Mogadischu haben die Islamisten in den vergangenen Monaten zahlreiche größere Anschläge verübt, darunter auf das Gebäude der Vereinten Nationen und den Autokonvoi des Präsidenten. 2010 hatte Al Schabaab in Kenias Nachbarland Uganda zwei fast zeitgleiche Anschläge in der Hauptstadt Kampala unternommen. Uganda stellt die meisten Soldaten der Amisom-Truppe. Bei dem Attentat auf ein äthiopisches Restaurant und vor allem auf ein Rugby-Feld, wo das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika übertragen worden war, starben damals knapp 80 Menschen.
Wie brisant die Lage in Ostafrika ist, zeigt auch ein Säure-Angriff auf zwei junge Britinnen auf der beliebten Ferieninsel Sansibar vor der Küste von Tansania. Den beiden 18 Jahre alten Frauen war vor sechs Wochen im historischen Zentrum Stone Town eine ätzende Flüssigkeit ins Gesicht schleudert worden. Beide arbeiteten als freiwillige Helferinnen in einer Schule. Sansibar ist traditionell muslimisch geprägt. Viele junge Muslime fordern schon lange die Abspaltung der Insel von Tansania. Auch lehnen sie den Lebensstil der vielen westlichen Urlauber zunehmend ab.
Besonders groß ist die Terrorgefahr in Afrika jedoch weiterhin im Norden von Nigeria. Dort hat die islamistische Sekte Boko Haram allein in der vergangenen Woche 140 Menschen ermordet. Religiöse Extremisten hatten am Dienstag einen kleinen Ort und eine Verbindungsstraße im Nordwesten des westafrikanischen Ölstaates angegriffen. Augenzeugen zufolge soll es sich dabei um rund 300 Kämpfer gehandelt haben. Die als Soldaten verkleidete Terroristen hätten demnach viele Häuser niedergebrannt. Die Flüchtenden seien dann an Kontrollposten der Islamisten massakriert worden. Selbst in der nigerianischen Hauptstadt Abuja war es vergangene Woche erstmals zu Zusammenstößen zwischen Boko Haram und Sicherheitskräften gekommen. Dabei sollen acht Menschen getötet worden sein. Boko Haran kämpft seit 2011 brutal für die Einführung des islamischen Rechts im Norden Nigerias. Die Terrorbande gilt inzwischen als die größte Gefährdung der Einheit Nigerias, das mit seinen rund 160 Millionen Einwohnern gemeinsam mit Südafrika und Kenia als Schlüsselland im Afrika südlich der Sahara gilt.
Dagmar Dehmer, Wolfgang Drechsler
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