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Zerstörte Polizeiautos nach einem Anschlag in Kabul
© Mohammad Ismail / REUTERS

Schutzlos selbst in Kabul: Abschiebungen nach Afghanistan sind zynisch

1500 zivile Opfer allein im letzten Monat – Afghanistan ist mehr als unsicher. Abschiebungen dorthin sollten gestoppt werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Allen Friedensgesprächen, die die USA gerade mit den Taliban führen, zum Trotz: Schon wieder sind bei der Explosion einer Autobombe in Kabul viele Menschen getötet und verletzt worden. Unter den Opfern Soldaten, Polizisten, aber am meisten Zivilisten, viele Frauen und Kinder. Die radikal-islamischen Taliban wollen den Anschlag verübt haben. Und diese Meldung ist kein Einzelfall. Die Zahl der zivilen Opfer durch Anschläge ist im Juli auf mehr als 1500 Zivilisten gestiegen – die höchste Monatszahl seit Mai 2017. Rund ein Viertel Afghanistans ist umkämpft. Was zur Frage führt, ob in dieses Land in dieser Lage immer weiter Zufluchtsuchende aus Deutschland abgeschoben werden dürfen.

Tatsache ist: Im Oktober 2018 hatten Regierungskräfte laut offiziellem Report nur noch über 54 Prozent des Landes die Kontrolle. Die Taliban konnten derweil ihre Gebietsgewinne verdoppeln; immer mehr Regionen fallen unter ihre Herrschaft. Die Folge: Anderthalb Millionen sind in Afghanistan selbst auf der Flucht, mehr als 3800 Zivilist*innen starben vergangenes Jahr, besonders viele Kinder.

Koalition der Kundigen fordert Abschiebe-Stopp

Angesichts dessen fordert eine Koalition der Kundigen in Deutschland Mal um Mal, Abschiebungen nach Afghanistan endlich zu stoppen. Es sind: Amnesty International, die Arbeiterwohlfahrt, die Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein, der Paritätische Gesamtverband, die Diakonie Deutschland, der Jesuiten-Flüchtlingsdienst, die Neue Richtervereinigung, PRO ASYL und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein.

Diese Organisationen stoßen sich an der Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bei afghanischen Asylsuchenden. Deren Leben werde aufs Spiel gesetzt, indem die Hälfte aller Asylanträge von Afghanen abgelehnt wird. Sie haben Recht. Von wegen Sicherheit: Die Situation ist so, dass der UNHCR eine Unterscheidung zwischen „sicheren“ und „unsicheren“ Gebieten ablehnt. Was heißt, dass es dann logischerweise auch keine sogenannte inländische Fluchtalternative gibt. Vielmehr hat sich der bewaffnete Konflikt ausgeweitet. Menschen können überall Opfer von Kämpfen, Anschlägen und Verfolgung durch die Taliban werden. Und keiner, ob Regierungskräfte oder Nato, ist in der Lage, abgeschobene Flüchtlinge zu schützen.

Nicht einmal in Kabul. Dass die Bundesregierung die Stadt trotzdem als sicher genug einstuft, um gleichsam monatlich mehrere Afghanen dorthin abzuschieben, kann man – wie die genannten Organisationen – für zynisch halten. Zumal Deutschland sich völkerrechtlich verpflichtet hat, nicht in Länder abzuschieben, in denen den Menschen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.

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