„Unverantwortlich“ oder „nachvollziehbar“: Abschaffung der kostenlosen Corona-Tests spaltet das Land
Ab dem 11. Oktober müssen Ungeimpfte für Corona-Schnelltests zahlen. Ob dies fair ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Unklar ist zudem noch der Preis.
Für die einen ist es die Impfpflicht durch die Hintertür, für die anderen wegen der steigenden Infektionszahlen und der stockenden Impfkampagne nur logische Konsequenz. Auf die Entscheidung von Bund und Ländern vom Dienstag, dass die Bürgertests ab dem 11. Oktober nicht mehr kostenfrei sein sollen, gibt es sehr unterschiedliche Reaktionen.
Spätestens vom 23. August an gilt bereits die sogenannte 3G-Regel für Besucherinnen und Besucher von Krankenhäusern und Heimen, für Feste, Kultur- und Sportveranstaltungen in Innenräumen sowie für die Innengastronomie. Auch Fitnessstudios, Schwimm- und Sporthallen sowie Friseure, Kosmetikerinnen und Hotel-Betriebe müssen sich Test- oder Impfnachweise oder aber Zertifikate über eine Genesung vorlegen lassen.
In Frankreich war Mitte Juli die Nachfrage nach Impfungen in die Höhe geschossen, nachdem Präsident Emmanuel Macron ähnliche scharfe Auflagen für nicht Geimpfte – allerdings zudem auch eine Impfpflicht für Gesundheitspersonal - angekündigt hatte.
Vollständig geimpft sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums vom Mittwoch in Deutschland nun knapp 46,2 Millionen Menschen oder 55,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. Mindestens eine erste Dosis bekommen haben 52,1 Millionen Menschen oder 62,7 Prozent aller Einwohner.
Wegen der als hochansteckend geltenden Delta-Variante, die auch in Deutschland inzwischen mehr als 97 Prozent aller Neuinfektionen ausmacht, geht das Robert Koch-Institut (RKI) davon aus, dass für die angestrebte Herdenimmunität eine Impfquote von mindestens 85 Prozent nötig ist.
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Am Dienstag wurden bundesweit insgesamt mehr als 404.000 Spritzen gesetzt – davon führten mehr als 334.800 Dosen zu einer vollständigen Impfung. Aber nur rund 70.000 Menschen ließen sich an diesem Tag eine erste Dosis verpassen. So wenige Erstimpfungen an einem Dienstag wurden zuletzt am 12. Januar verabreicht.
Wie teuer die für Ungeimpfte ab Mitte Oktober werden, ist nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums noch offen. PCR-Tests würden momentan mit 43 Euro vergütet, Schnelltests mit elf Euro, sagte ein Sprecher. Das könne ein Ansatzpunkt sein. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, in Unternehmen gebe es aber weiter für alle kostenlose Testmöglichkeiten. „Kostenlos bleibt die Impfung“, ergänzt er.
Das sind die wichtigsten Vereinbarungen von Bund und Ländern:
- Der negative Corona-Test: Ungeimpfte sollen ab 23. August Zugang zur Gastronomie oder kulturellen Veranstaltungen nur noch mit negativem Testergebnis erhalten.
- Die 3G-Regelung: Zutritt zu Veranstaltungen im Innern oder Einrichtungen soll nur für geimpfte, genesene oder getestete Menschen möglich sein.
- Die kostenlosen Tests: Gratistests sollen ab 11. Oktober nicht mehr zur Verfügung stehen. Ungeimpfte müssten dann für Coronatests bezahlen.
- Die pandemische Lage: Die Regelungen mit Sonderdurchgriffsrechten soll über den September hinaus vom Bundestag verlängert werden.
Nach den Entscheidungen des Bund-Länder-Gipfels fordern in der Testfrage nun beispielsweise Sozialverbände Ausnahmen für Jugendliche und Geringverdiener sowie für ungeimpfte Mitarbeiter und Besucher von Pflegeheimen. Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbands Deutschlands, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Solidarität ist das Gebot der Stunde. Deswegen begrüßen wir jegliche Form von Impfanreizen. Aber wir fordern von der Politik, dass sie auch Ärmere im Blick hat.“ Gesellschaftliche Teilhabe dürfe nicht davon abhängen, ob Menschen sich einen Corona-Test leisten könnten. Deswegen bleibe der Verband bei der Forderung nach 100 Euro Grundsicherungszuschlag.
Die Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, Verena Bentele, sagte dem RND: „Wir erwarten mehr Klarheit bei den Regelungen für Kinder und Jugendliche. Für Schüler darf es keine Impfpflicht durch die Hintertür geben. Der Verweis auf die Testung in Schulen darf nicht dazu führen, dass sie am Wochenende vom sozialen Leben ausgeschlossen werden, weil dann die Tests gegebenenfalls nicht mehr gültig sind.“
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In der „Rheinischen Post“ äußerte sich Bentele zudem zur Situation in den Pflegeheimen: „Wir mussten im vergangenen Jahr dabei zusehen, wie die Bewohner von Pflegeheimen an dem Coronavirus verstarben. Und die Gefahr ist noch lange nicht vorüber.“
Allein im Juni dieses Jahres habe es laut Robert Koch-Institut 40 aktive Ausbrüche in Pflegeeinrichtungen gegeben, bei denen alte Menschen ins Krankenhaus gekommen und auch gestorben seien. Deshalb forderte der VdK kostenlose Corona-Tests für alle Besucher und Mitarbeiter, um Ansteckungen von alten und kranken Menschen zu vermeiden.
Vorsitzende des Deutschen Ethikrats begrüßt kostenpflichtige Schnelltests
„Eine Impfquote von 100 Prozent werden wir in den Pflegeheimen wohl nie erreichen. Denn es gibt viele Erkrankungen, die eine Impfung nicht möglich machen. Die ungeimpften Bewohner sind der Gefahr der Infektion besonders ausgesetzt, wenn wir jetzt nicht weiter testen“, sagte Bentele. Auch bereits Geimpfte könnten weiterhin Überträger des Coronavirus sein.
AfD-Spitzenkandidat Tino Chrupalla wandte sich scharf gegen die Abschaffung kostenfreier Tests. Im ZDF-„Morgenmagazin“ sagte er am Mittwoch: „Dass die Bürger für eine Verpflichtung, die der Staat gestellt hat, selber zahlen müssen, ist unverantwortlich.“ Der AfD-Parteichef betonte die Freiwilligkeit der Impfungen und sagte: „Hier kann es keine Impfpflicht durch die Hintertür geben.“ Auch Linke und Grüne hatten sich zuvor gegen kostenpflichtige Tests ausgesprochen.
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Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, begrüßte es dagegen, dass für die Schnelltests künftig bezahlt werden muss. Dies sei folgerichtig und nachvollziehbar, denn wer sich trotz aller niedrigschwelligen Impfangebote jetzt gegen die Impfung entscheide, der sorge letztlich dafür, dass die Pandemie weitergehe, sagte Buyx am Mittwoch dem Fernsehsender Phoenix. „Und dann ist es sehr schwer zu begründen und zu sagen: „Bitte zahlt mir als Solidargemeinschaft, die ihr euch alle impft, weiter die Tests, damit ich ins Kino oder ins Konzert kann.“
Der Ökonom Gert G. Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in (Berlin) schrieb in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel: „Die Impf-Verweigerer sparen sich die Kosten von Nebenwirkungen der Impfung und das hat seinen Preis!“
SPD-Gesundheitspolitiker Lauterbach gehen Beschlüsse nicht weit genug
Es bleibe allerdings die Frage, ob es fair sei, dass Impf-Unwillige mit niedrigem Einkommen relativ eine höhere Belastung haben als Unwillige mit hohem Einkommen. „Gerade Menschen mit niedrigem Einkommen sollten sich besonders gut überlegen, ob es für sie klug ist, sich nicht impfen zu lassen. Denn Menschen mit niedrigem Einkommen und niedrigem Bildungsstand üben oft berufliche Tätigkeiten aus, die mit einem deutlich erhöhten Corona-Infektions- und Erkrankungsrisiko verbunden sind“, so Wagner.
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Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund begrüßte die Maßnahmen. „Es ist richtig, dass ab dem 11. Oktober die Bürgertests nur noch für die Personen kostenfrei sind, die nicht geimpft werden können. Wer ein Impfangebot nicht annimmt, muss akzeptieren, dass er für den Zugang zu bestimmten öffentlichen Veranstaltungen einen selbst finanzierten negativen Test vorweisen muss“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, der „Rheinischen Post“.
Dem SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach gehen die Beschlüsse der Bund-Länder-Konferenz nicht weit genug. „Ich hätte es besser gefunden, Großereignisse mit Hunderten Menschen in Clubs oder Hallen auf Genesene und Geimpfte zu begrenzen", sagte Lauterbach den Zeitungen der „Funke“-Mediengruppe. „Denn es sind potenzielle Superspreader-Events.“ Mit der Testpflicht in Innenräumen ab einer Inzidenz von 35 könne man aber „sehr gut arbeiten“. „Ich hätte die Grenze noch unter einer Inzidenz von 35 gesetzt“, sagte Lauterbach.
Und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) geht davon aus, dass wohl bald eine neue Debatte folgen wird – über Zugänge nur für Geimpfte und Genesene („2G“) im Gegensatz zur 3G-Regel. „2G wird so oder so ab einem bestimmten Zeitpunkt kommen und mir wäre es lieber, wir würden jetzt ehrlich drüber reden, als es zu vertagen bis nach der Bundestagswahl“, sagte der CSU-Politiker.