Abzug von US-Truppen: Abhängig vom großen Bruder USA
Donald Trumps einsame Entscheidungen zum Abzug von Truppen zeigen: Deutschland und Europa müssen militärisch handlungsfähiger werden. Ein Kommentar.
Was ist das für ein Bündnis, in dem jeder macht, was er will? Der US-Präsident kündigt persönlich einen Truppenabzug aus Syrien an und hat laut Mitarbeitern ähnliche Pläne für Afghanistan, ohne sich mit den Nato-Partnern in Europa abzusprechen. Deren Ärger über Donald Trumps einsame Entscheidungen ist sehr verständlich. Schließlich spüren sie die Folgen, wenn die USA ihre Strategie ändern. Es hat Konsequenzen für ihre eigenen Militäreinsätze in den Konfliktregionen, für die Einflusssphären anderer Mächte dort und für die Zahl der Migranten, die nach Europa kommen.
Frustration über das eigene Unvermögen
Zugleich klingt die Kritik allerdings in Teilen doppelzüngig. Aus ihr spricht auch die Frustration über das eigene Unvermögen. Deutschland und Europa haben Sicherheitsinteressen in Syrien, im Irak, in Afghanistan. Sie sind aber nicht in der Lage, sie selbst zu verteidigen. Sie haben sich daran gewöhnt, das den USA zu überlassen - und sich dann entweder darüber zu beschweren, dass die USA den Weltpolizisten spielen. Oder darüber zu klagen, dass die USA nicht mehr der Weltpolizist sein wollen, wie Trump das jetzt erneut bei seinem überraschenden Truppenbesuch im Irak betont hat.
Redlich zu Ende gedacht müsste die berechtigte Kritik an Trump also in deutsche und europäische Selbstkritik münden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und andere widersprechen Trumps Einschätzung, die Terrormiliz IS sei besiegt, mit der er den Abzug aus Syrien begründet.
Warum kann Europa den IS in Syrien nicht selbst eindämmen?
Wenn der IS weiter eine Gefahr für Europa ist, sollte die EU dann nicht fähig sein, ihn eigenständig einzudämmen, auch ohne die USA? Warum kann sie das nicht? Die EU ist eine ebenso potente Wirtschaftsmacht wie die USA. Militärisch bringt sie aber nichts zustande. Die Europäer beschwören das Ziel der strategischen Autonomie und reden über eine Europäische Armee. Sie tun jedoch wenig, um dahin zu kommen.
Natürlich ist Militär weder die erste noch die einzige Antwort auf ein Sicherheitsproblem. Wer international ernst genommen werden möchte, ist aber neben Diplomatie und Wirtschaftsmacht auch auf den Machtfaktor Militär angewiesen. Russland und die Türkei führen das gerade vor.
In Afghanistan sorgen die USA für die Sicherheit der Bundeswehr
Ähnlich bedenklich ist die Abhängigkeit der Bundeswehr von den USA beim Afghanistaneinsatz. Ihre Einheiten dort können nicht selbst für ihre Sicherheit sorgen, weder 2001, als der Einsatz begann, noch jetzt. Wäre es in den Anfangsjahren zu einer existenziellen Bedrohung gekommen, hätte die Bundeswehr ihre Soldaten nicht selbst aus der Gefahrenzone ausfliegen können. Ihr fehlen die nötigen Flugzeuge und Hubschrauber. Die US-Kräfte waren die Lebensversicherung.
So ist das auch heute. Die Bundeswehr hilft mit rund tausend Mann bei der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte, damit die lernen, sich gegen die Taliban zu behaupten. Dabei verlässt sie sich auf den Schutz durch die US-Kameraden. Deshalb löst Trumps einsame Entscheidung, die US-Truppen in Afghanistan zu halbieren, so viel Unruhe in Berlin aus. Die Bundeswehr wird künftig selbst für ihre Sicherheit sorgen müssen. Oder sie muss abziehen.
Deutschland ist abhängig - hat also keine Wahl
Nur: Hat Deutschland da überhaupt eine Wahl? Die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Erde ist drei Jahrzehnte nach der Einheit noch immer nicht fähig, ohne den Schutz des großen Bruders zu agieren. Sie nimmt das Militärische nicht ernst genug. Sie vernachlässigt ihre Bündnispflichten. Auch das ist eine Art von Alleingang, ähnlich Trumps einsamen Entscheidungen ohne Konsultation der Alliierten.
Auch in Afghanistan gilt: Alleingänge sind keinesfalls die bessere Option. Die Aufgabenteilung im Bündnis ist der sinnvollere Weg. Ein Land von der Größe Deutschlands muss jedoch die Fähigkeit haben, einzelne Missionen ohne die USA auszuführen. Die EU müsste das ohnehin können, wenn sie eine Weltmacht werden möchte. Handlungsfähige Verbündete würde auch ein Donald Trump ernster nehmen.