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Leben im Wartezustand: Geflüchtete Kinder in Suhl in Thüringen.
© dpa

Flüchtlingspolitik: Abgeordnete streiten über den Familiennachzug

Experten und Abgeordnete diskutieren im Bundestags-Innenausschuss über den Familiennachzug. Linke und Grüne wollen ihn bei Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz wieder ermöglichen.

Viele Flüchtlingskinder leiden in Deutschland unter dem langen Zusammenleben in engen Sammelunterkünften. Wie aus der Studie „Kindheit im Wartezustand“ hervorgeht, die der Bundesverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge für das UN-Kinderhilfswerk Unicef verfasst hat, lebt mehr als ein Fünftel der Minderjährigen länger als sechs Monate in einer Erstaufnahmeeinrichtung. Die Befragung von Mitarbeitern der Unterkünfte ergab zudem, dass die Aufenthaltsdauer dort zwischen einem und drei Jahren liegt.

Die Familien wünschten sich zwar nichts mehr, als wirklich anzukommen und neu zu beginnen, sagte Unicef-Deutschland-Geschäftsführer Christian Schneider bei Vorstellung der Studie in Berlin. Tatsächlich, so ist im Text zu lesen, sei ihr Leben aber mit Warten angefüllt – „auf eine Entscheidung über die Asylanträge der Familie, auf den Arztbesuch, Zugang zu Schulen und Kitas und insbesondere auf eine dauerhafte, geeignete Bleibe.“ Kinder beklagten, sie könnten in den lauten Unterkünften nicht lernen.

Problematisch ist laut Studie vor allem eine gemeinsame Unterbringung von Familien zusammen mit alleinstehenden Männern. Eine Nigerianerin berichtete den Autoren, sie habe das Gefühl, ihre siebenjährige Tochter „ständig beschützen zu müssen“, seitdem sie das Badezimmer mit drei jungen Männern teilen müssten. Eine andere Mutter berichtete: „Es gibt einige im Heim, die Kinder angefasst haben.“ Ihre Kinder dürften deshalb nicht mehr draußen spielen.

Von den vergangenen zwei Jahren waren etwa 350.000 Kinder und Jugendliche in Begleitung ihrer Eltern nach Deutschland gekommen, um hier Schutz vor Krieg und Gewalt oder eine bessere Zukunft zu suchen. Außerdem kümmern sich die Jugendämter aktuell um etwa 48.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Familiennachzug für bestimmte Flüchtlinge vor einem Jahr ausgesetzt

Das Schicksal geflüchteter Familien war am Montag auch Thema in einer Anhörung des Bundestags-Innenausschusses. Linke und Grüne wollen erreichen, dass der Familiennachzug zu Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz wieder möglich wird. Er wurde vor einem Jahr mit dem Asylpaket II bis März 2018 ausgesetzt.

Sachverständige und Abgeordnete gerieten dabei einige Male aneinander. Den Einwand des Ausländerrechtsexperten Kay Hailbronner, es sei „ungewöhnlich“, ein gerade verabschiedetes Gesetz schon wieder kippen zu wollen, konterte Rüdiger Veit (SPD): Wenn sich zeige, dass ein bestimmtes beabsichtigtes Steueraufkommen eher mit Mindereinnahmen ende, dann werde man das auch „schleunigst ändern“. Veit bezog sich darauf, dass man 2016 von wenigen Betroffenen ausging – inzwischen betreffe es aber 130.000 Menschen.

Eine scharfe Replik von christsozialer Seite fing sich ausgerechnet der Vertreter der katholischen Kirche in Berlin ein. Prälat Karl Jüsten hatte im Namen beider Kirchen die Rücknahme der Nachzugsregelung gefordert. Kirchliche Beratungsstellen seien täglich damit konfrontiert, die Betroffenen fast komplett durch die Sorge um ihre Familien in Kriegsgebieten in Anspruch genommen und hätten „nur noch wenige Ressourcen“, sich auf ihre neue Heimat einzustellen. Die Berater müssten ihrerseits statt praktisch helfen zu können, immer wieder erklären. Die CSU-Abgeordnete Andrea Lindholz warf ihm darauf vor, es sei „nicht zielführend“, wenn er sich auf Einzelfälle beziehe. Es gehe hier nicht nur um Menschlichkeit, sondern um „die Steuerung von Zuwanderung“.

"Verwaltungsgerichte brechen zusammen"

Ähnlich wie Jüsten argumentierten auch der Vertreter des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Hendrik Cremer, und der Frankfurter Anwalt Tim Kliebe mit der Unmöglichkeit sich zu integrieren, wenn die Sorge um die Familie allen Neuanfang blockiere. Cremer erwähnte zudem die Kinderrechtskonvention, die UN-Grundrechtecharta und den Artikel 6 des Grundgesetzes, der Ehe und Familie schützt. Gegen all dies verstoße der ausgesetzte Familiennachzug.

Kliebe wies auf knapp 50.000 Verfahren hin, alle von subsidiär Geschützten, die ihrer Familien wegen klagten, um ein "Upgrade" zum Flüchtling zu erhalten. „Die Verwaltungsgerichte brechen darunter zusammen.“ Offenbar hilft auch jener Paragraf 22 des Gesetzes nicht, der in Härtefällen doch den Nachzug erlauben soll. Auf Nachfragen Veits und seiner Linken-Kollegin Petra Pau wurde kein Fall bekannt, in dem auf diesem Weg Familien vereint wurden.

Für die Aussetzung des Familiennachzugs argumentierte neben Kay Hailbronner nur der Vertreter des Städte- und Gemeindebunds, Uwe Lübking. Lübking sagte, zwar sei Familienleben auch aus Sicht seines Verbandes ein wichtiger Integrationsfaktor. Auf der anderen Seite fürchteten die Kommunen aber vor allem wegen mangelnden Wohnraums noch mehr Zuzug von Flüchtlingen. (mit dpa)

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