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Aydan Özoguz (SPD) ist seit Dezember 2013 als Staatsministerin Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.
© Thilo Rückeis

Interview mit der Integrationsbeauftragten Özoguz: „14 Prozent für die AfD in Berlin – das ist ein Warnschuss“

Die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz über den Vormarsch der Rechtspopulisten, die Rolle der CSU in der Flüchtlingsdebatte und die neuen Töne der Kanzlerin.

Frau Özoguz, entscheidet sich am Erfolg oder Misserfolg der Integration von einer Million Flüchtlingen die Zukunft Deutschlands?
Dass die Integration gelingt, ist sicher eine wichtige Voraussetzung dafür, dass wir in Zukunft gut leben können. Auch das Bild Deutschlands nach außen wird davon bestimmt werden. Aber natürlich hängt die Zukunft Deutschlands von vielen Faktoren ab.

Geht es nur um das Bild nach außen und nicht auch um den inneren Frieden hierzulande? Viele Deutsche sind ja sehr skeptisch, ob die Integration überhaupt gelingen kann…
Die Unruhe in der deutschen Gesellschaft und die verbreitete Skepsis gegenüber der Politik haben ihren Ursprung nicht in der Flüchtlingspolitik. Einige sind verunsichert, weil sie sich insgesamt Sorgen machen, wie sich unser Land entwickeln wird und wie ihre persönliche Zukunft aussieht. Die Ankunft der Flüchtlinge hat dieses Gefühl der Unsicherheit an die Oberfläche gebracht, teilweise auch verstärkt, aber sie ist nicht der Ursprung der Unsicherheit.

Die Kanzlerin will ihren Satz „Wir schaffen das“ nicht wiederholen, weil viele ihn als Verharmlosung verstanden haben. War er angesichts der Größe der Aufgabe verharmlosend?
So habe ich den Satz von Angela Merkel nie verstanden. Aber es stimmt: Er wurde so oft wiederholt, dass ihn viele als verharmlosend oder gar naiv wahrgenommen haben. Es reicht nicht, nur Optimismus zu verbreiten, wir müssen deutlich und konkret erklären, wie wir es schaffen werden, so viele Menschen zu integrieren. Meine Erfahrung ist: Die meisten Menschen wissen überhaupt nicht, welche riesigen Anstrengungen Politik und Verwaltung schon auf sich genommen haben, um so viele Flüchtlinge aufnehmen zu können. Wir haben Fehler abgestellt und sind gut vorangekommen – aber es dauert alles in der Umsetzung.

Die Kanzlerin sagt inzwischen, bei der Integration der Flüchtlinge müsse sich Deutschland „selbst übertreffen“. Was ist konkret zu tun, was muss zuerst angepackt werden?
Wir haben mit dem Integrationsgesetz eine sehr wichtige Weiche gestellt, jetzt müssen wir das schnell umsetzen. Wir brauchen mehr Integrationskurse für die Menschen, die bei uns bleiben werden. Die jungen Flüchtlinge, die ja in der Mehrheit sind, müssen sehr viel schneller in eine Ausbildung kommen. Dafür brauchen sie Hilfe, hier erwarte ich mehr Angebote aus der Wirtschaft. Was das Bildungssystem angeht, müssen wir die Gespräche mit den Ländern darüber forcieren, wie junge Flüchtlinge gefördert werden, die nicht mehr schulpflichtig sind. Wir müssen da auch die Kommunen mit an den Tisch bekommen. Bei der Registrierung und den Asylverfahren sind wir schon viel besser geworden, wir sind aber immer noch nicht schnell genug.

Voraussetzung für Integration ist Bereitschaft auf beiden Seiten. Welche Bringschuld haben Menschen, die hier Zuflucht suchen, gegenüber ihrem Gastland?
In den allermeisten Fällen erleben die Flüchtlinge ja nicht fremdenfeindliche Attacken gegen ihre Unterkunft, sondern bekommen Sprachkurse, Weiterbildung oder Sportmöglichkeiten angeboten. Ich erwarte, dass sie dann auch mitmachen. Und natürlich erwarten wir auch, dass Flüchtlinge unsere Normen einhalten, sich nicht untereinander das Leben schwermachen oder gar bekriegen. Mir ist aber auch wichtig, dass wir Rücksicht nehmen, wenn die Erfahrung von Gewalt und Flucht die Menschen traumatisiert hat. Eines stimmt allerdings auch: Wenn aus einer Regierungspartei heraus gesagt wird, eigentlich wolle man gar nicht, dass Flüchtlinge sich integrierten, dann macht das alle Mühe geradezu absurd.

Sie meinen CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, der gesagt hat, das Schlimmste sei „ein fußballspielender, ministrierender Senegalese, der über drei Jahre da ist – weil den wirst du nie wieder abschieben“. Und Bundesinnenminister Thomas de Maizière erklärt: Wir können nicht alle Ausprägungen anderer Kulturen tolerieren. Wenn ein Mann von einer Frau kein Essen annehmen möchte, dann bekommt er eben keines. Gehen Sie da mit?
Durchaus. Ich wüsste nicht, warum ein Mann von einer Frau kein Essen annehmen sollte. Dafür gibt es nicht einmal eine religiöse Begründung. Grundsätzlich warne ich aber davor, sich immer nur auf extreme Fälle zu konzentrieren, die mit dem Verhalten der meisten Flüchtlinge nun gar nichts zu tun haben.

Was erwarten Sie von der Mehrheitsgesellschaft der „Alteingesessenen“, was muss sie für Integration leisten?
Die Mehrheitsgesellschaft hat im vergangenen Jahr viel mehr geleistet, als die meisten erwartet hätten. Ungeachtet der Verunsicherung über Terroranschläge in unseren Nachbarländern und weltweite Krisen und Kriege hat sich die Mehrheit der Deutschen in beeindruckender Weise aufgeschlossen gegenüber Flüchtlingen gezeigt.

Aber vor allem in den neuen Ländern gibt es viel Skepsis und erschreckend viel Hetze und Gewalt gegen Flüchtlinge…
Es ist seltsam, dass es ausgerechnet dort, wo kaum Einwanderer und Flüchtlinge leben, die größten Zurückweisungen und eine viel höhere Zahl fremdenfeindlicher Anschläge gibt. Trotzdem glaube ich, dass die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke, recht hat, wenn sie sagt: Auch in Ostdeutschland ist die Mehrheit nicht fremdenfeindlich. Aber viele Ostdeutsche sind verunsichert und zeigen leider noch nicht deutlich genug, dass den Extremisten nicht die Straße gehört. Fremdenfeindliche Parolen und erst recht Gewalt gegen Fremde muss deutlicher geächtet werden.

CDU und CSU befinden sich wegen der Flüchtlingspolitik im Dauerstreit. Wo führt das hin?
Mit ihrem Versuch, die AfD rechts zu überholen, wird die CSU keinen Erfolg haben. Kurzfristig fängt man die Menschen vielleicht mit Parolen ein, langfristig wollen sie, dass Probleme gelöst werden. Ich könnte mich als stellvertretende SPD-Vorsitzende darüber freuen, wenn sich die Union im Streit zerlegt. Aber die rechtspopulistischen Töne der CSU und ihre Dauerattacken gegen Merkels Flüchtlingspolitik vergiften das politische und gesellschaftliche Klima in Deutschland. Den Schaden haben wir alle. Statt über die wirklichen Probleme der Menschen zu diskutieren, über soziale Ungleichheit, die Nöte von Alleinerziehenden oder gleichen Lohn von Männern und Frauen, zwingt uns die CSU eine wochenlange Debatte über ein Burka-Verbot auf. Das ist doch grotesk.

Profiteur der Flüchtlingskrise ist die AfD. Am vergangenen Sonntag hat sie in Berlin erneut einen zweistelligen Erfolg bei einer Landtagswahl eingefahren. Was bedeutet das?
14 Prozent für die AfD im weltoffenen Berlin – das ist ein Warnschuss. Ein wichtiger Faktor, ob Wähler zu Rechtspopulisten abwandern, ist die Frage, ob sie dem Staat und der Politik vertrauen. Wenn Bürger das Gefühl haben, ihr eigenes Leben könnte eingeschränkt werden durch die Flüchtlingspolitik oder durch ein Versagen des Staates in der Wirtschaftspolitik, dann bekommen sie Angst und werden anfällig für einfache Parolen. Wir müssen dagegenhalten und beweisen, dass der Staat sich nicht nur um Flüchtlinge kümmert, sondern für alle da ist. Deshalb ist der Solidarpakt der SPD so wichtig, der Bildung, Arbeitsplätze und bezahlbare Wohnungen für alle bringen soll.

Am Dienstag feiert die Islamkonferenz zehnjähriges Jubiläum. Ursprünglich glaubte man, die Probleme im Umgang mit dem Islam in Deutschland in wenigen Jahren lösen zu können. Warum dauert das so lang?
Es ging und geht um die rechtliche Gleichstellung des Islam nach dem Grundgesetz und die gleiche Teilhabe von Muslimen an der Gesellschaft. Muslimische Vereine haben in der Regel nicht den Status einer Körperschaft wie zum Beispiel die Kirchen. Deshalb war der Weg einiger Bundesländer so wichtig, über Verträge mit den Verbänden Dinge wie Religionsunterricht, Friedhofsordnung oder Urlaub an islamischen Feiertagen zu regeln. Bei der Islamkonferenz war zwischenzeitlich unklar, wohin sie will. Aber sie hat ihren Verdienst in der Einrichtung von Lehrstühlen für Islamische Theologie an mehreren Universitäten. Und mittlerweile arbeitet sie ruhig und konsequent an wichtigen Themen wie Wohlfahrtspflege, Seelsorge oder Flüchtlingshilfe. Das sind wichtige Schritte für mehr Gleichstellung, aber auch für die gesellschaftliche Diskussion.

Das Gespräch führten Stephan Haselberger und Hans Monath.

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