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Ein verletztes syrisches Kind auf dem Arm eines Mannes in Damaskus
© Reuters

Syrien: 11.000 Kinder starben seit Beginn des Bürgerkriegs

Es ist eine Binsenweisheit, dass besonders Kinder unter den Folgen von Kriegen leiden. Doch im syrischen Bürgerkrieg sind bisher unbekannte Grausamkeiten geschehen. Eine britische Studie dokumentiert sie.

Wer als Mädchen oder Junge in Syrien aufwächst, kennt die schrecklichen Folgen eines Bürgerkriegs: Gewalt, Hunger, Seuchen, Angst, Flucht und damit unermessliches Leid. Doch vor allem bedeutet Krieg: Es wird gestorben. Der Tod ist so allgegenwärtig wie alltäglich. Und die Kleinsten sind die Schutzlosesten. Bis Ende August dieses Jahres kamen nach Recherchen der Londoner Nichtregierungsorganisation Oxford Research Group mehr als 11 400 syrische Kinder ums Leben. Das ist fast ein Zehntel aller Toten, die seit dem Beginn des Aufstands gegen Machthaber Baschar al Assad vor bald drei Jahren zu beklagen sind.

Viele Kinder in Syrien regelrecht hingerichtet

„Die Welt muss sich viel mehr dafür interessieren, welche Auswirkungen die Kämpfe gerade für Kinder und Jugendliche haben“, fordert Hamit Dardagan im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Er ist einer der beiden Autoren des jetzt veröffentlichten Berichts mit dem Titel „Gestohlene Zukunft“. Ihn habe nicht nur die hohe Zahl der getöteten Jungen und Mädchen verstört, sondern auch unter welchen Umständen sie starben. „Entweder man bombardierte ihre Häuser oder die Kugeln von Heckenschützen trafen sie. Auf dem Schulhof, beim Bäcker, beim Spielen.“ Und noch etwas hat Hamit Dardagan richtig erschreckt: Dass viele Kinder offenbar regelrecht hingerichtet wurden. Mörderische Normalität in Zeiten des Krieges.

Sogar Kinder unter 12 Jahren werden gefoltert

In der Untersuchung, die dem Tagesspiegel vorliegt, wird detailliert aufgelistet, wie und wo Kinder ihr Leben verloren. Es sind zumeist nüchterne Grafiken und Zahlen einschließlich einiger erläuternder Sätze, die das dokumentieren. Doch sie lassen die grausame Dimension des Konflikts in Syrien zumindest erahnen.

Sprengbomben, Panzerbeschuss, Artilleriefeuer und Luftangriffe sind für mehr als 70 Prozent der getöteten Kinder verantwortlich. 2800 Heranwachsende starben durch Kugeln von Handfeuerwaffen. Unter den Toten waren vor allem Jungen. Die weite Verbreitung von Kleinwaffen fördere die Gewalt, heißt es in dem 28-seitigen Report.

Beklemmend auch: Sogar Kinder unter 12 Jahren sind laut der Oxford Research Group gefoltert worden. Von wem? Darüber gibt es in der Studie keine Angaben. Überhaupt bleibt die Täterfrage generell unbeantwortet. Eine bewusste Entscheidung, sagt Dardagan. „Uns ging es darum, die Opfer in den Vordergrund zu rücken.“

Zwischen den Truppen von Regierung und Opposition

Die meisten Kinder starben in Regionen, die zwischen Opposition und Regierung heftig umkämpft waren oder noch sind. In der Provinz Aleppo zum Beispiel haben bis August etwa 2200 Kinder ihr Leben verloren, in Homs 1800. Mit Blick auf die Bevölkerungszahl hat aber das Gouvernement Daraa an der südlichen Grenze zu Jordanien prozentual am meisten gelitten: Dort wurde durchschnittlich eines von 408 Kindern getötet. Insgesamt starben in Daraa 1134 Minderjährige.

Als Grundlage der Studie dienten Informationen verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen, die in Syrien selbst oder in Anrainerstaaten tätig sind. Die Gruppen stützen sich zumeist auf Recherchen vor Ort, aber sie nutzen auch Angaben in sozialen Medien wie Facebook, Youtube und Twitter. Zudem betont die Oxford Research Group, dass nur namentlich bekannte Opfer bei der Analyse der Todeszahlen berücksichtigt worden seien. Und all diese Kinder haben eines gemeinsam: Man hat sie gewaltsam um ihre Zukunft gebracht.

Kein Wunder, dass der Bericht Hilfsorganisationen alarmiert. „Die Recherchen bestätigen unsere schlimmsten Befürchtungen: Syrien ist momentan einer der gefährlichsten Orte der Welt für Kinder“, sagt Kathrin Wieland, Geschäftsführerin von „Save the Children“. Sie fordert deshalb alle Konfliktparteien auf, die Gewalt sofort zu beenden. „Das Leben zu vieler Mädchen und Jungen steht auf dem Spiel.“ Für mehr als 11 000 von ihnen ist es allerdings bereits zu spät.

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