Neuer Tagesspiegel-Podcast „Sind wir uns einig?": Wo Berlin noch heute geteilt ist
Auch fast 30 Jahre nach der Einheit prägen die Umbrüche von damals das Land. In drei Folgen fragen Zeitzeugen: Wie vereint ist Deutschland heute wirklich?
Plötzlich schien das Glück zum Greifen nah, bereitgestellt in den Regalen der Kaufhallen, die sich über Nacht in Supermärkte verwandelt hatten, und bei den Gebrauchtwagenhändlern, die mit ihren im Wind flatternden Glitzerbändern die Stadtränder verschlimmschönerten.
Mit tosender Warenfülle lockte die neue Zeit, als die Ostdeutschen vor 30 Jahren Teil der gesamtdeutschen Wirtschaft wurden; als die D-Mark endlich für alle da war und damit eine Einheit vor der Einheit schuf; als es die bis dahin raren Südfrüchte überall im Osten gab.
Später nach der Wirtschafts- und Währungsunion im Juli 1990 bissen viele Menschen nicht nur in saftige Ananas, sondern auch in saure Äpfel: Im Zuge der staatlichen Einheit brach den großen DDR-Betrieben der Osthandel weg, die Treuhandanstalt wickelte ostdeutsches Volksvermögen ab (wenn es nicht längst schon von der DDR-Staatspartei SED zugrunde gewirtschaftet war), Millionen wurden arbeitslos und mussten ihr Leben in der Mitte ihres Lebens komplett von vorne beginnen.
Viele junge Menschen, die sich die Freiheit und dem ganzen Deutschland die Einheit erkämpft hatten mit einer friedlichen Revolution, verließen ihre Heimat in Richtung Westen. Die Zurückbleibenden fühlten sich als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse – mit Verletzungen, die das ganze Land bis heute auch politisch schmerzen.
War die deutsche Einheit doch nicht so erstklassig, wie sie sich damals im ersten Moment für alle anfühlte? Welche Fehler wurden gemacht, welche bleibenden Wunden geschlagen? Und was kann Deutschland heute, das inmitten der Pandemie neue Umbrüche erlebt, aus den Aufbrüchen und Abbrüchen von damals lernen.
Drei Folgen über die Einheit
Damit beschäftigt sich der neue Podcast „Sind wir uns einig?“, den der Tagesspiegel gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft und der Kommission "30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit" der Bundesregierung produziert hat und den wir hier in leicht gekürzter Form präsentieren. In der dreiteiligen Gesprächsreihe, die auch auf allen gängigen Audio-Plattformen wie Spotify und Apple Podcast abrufbar ist, diskutieren Zeitzeuginnen und Experten aus Ost und West über das eigene Land, das einst aus zwei Teilen bestand und bis heute versucht, sich in eins zu fügen.
Zum Auftakt unserer Reihe widmet sich der Einheit in Berlin. Dabei berichtet der langjährige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), wie die einst geteilte Stadt Berlin auch dank der Neugier ihrer Einwohner schnell zusammenwuchs, aber wie kritisch die hier angestrebte schnelle Lohnangleichung in beiden Stadthälften war.
Die Unternehmerin Petra Hoyer, die gleich nach der Wende eine Firma für Baustoffhandel gründete, erzählt von den Neuanfängen und den Schwierigkeiten im für sie neuen Wirtschaftssystem.
Robert Ide, Geschäftsführender Redakteur beim Tagesspiegel, erzählt von Umbruchserfahrungen in den Familien sowie den seelischen und sozialen Folgen, die diese bis heute in Ostdeutschland haben.
Der Historiker André Steiner vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam bereichert die Diskussion mit Daten und gibt zu Beginn eine Einführung in die wirtschaftliche Ausgangslage der deutschen Einheit.
Vom Ruhrgebiet bis Sachsen
Die beiden weiteren Folgen, die der Tagesspiegel in den nächsten Wochen veröffentlicht, beschäftigen sich mit dem Verlauf und der Wahrnehmung der Einheit im Westen mit dem Schwerpunkt Ruhrgebiet und im Osten mit dem Schwerpunkt Sachsen.
Alle Teile der Podcast-Reihe werden von Korbinian Frenzel, Sprecher bei Deutschlandfunk Kultur, moderiert. Mit ihren lebhaften Debatten zeigen sie auf vielfältige Art, wie einig sich Deutschland inzwischen ist oder eben noch nicht. Und dass es sich immer lohnt, sich gegenseitig zuzuhören, wenn man sich verstehen will. (Tsp)