Streit um Alt-Kanzler: Was die Worte von Helmut Kohl wert sind
Der Streit um Tonbandaufnahmen von Gesprächen mit dem Ex-Kanzler geht in die nächste Runde. Er wirft ein Problem auf, das sich mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch kaum lösen lässt: Wem Geschichte gehören soll
Aus Ton kann man Ziegel machen, aus Braugerste Malz, aus Wrackstücken ein Schiff zusammenfügen, aus Einzelteilen ein Motorrad schrauben. Alle diese Fälle haben gemein, dass Gerichte in Deutschland in diesen Werkschritten das Entstehen einer „neuen Sache“ im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs erkannt haben. Das Eigentum daran erwirbt derjenige, der das Material verarbeitet – es sei denn, der Wert der Umbildung ist deutlich geringer als der Wert des Ausgangsstoffs. Eine schaffensfreundliche Regel, die laut Gesetzbuch auch für Schreiben, Zeichnen, Malen, Drucken, Gravieren „oder eine ähnliche Bearbeitung der Oberfläche“ gilt.
Doch was ist mit Besprechen? Dazu noch mit wichtigen, staatsmännischen Worten zu Begebenheiten aus dem Innenleben historischer Macht? Führt dies auch dazu, dass mit den aufgezeichneten Sätzen eine „neue Sache“ entsteht? Bald wird sich der Bundesgerichtshof mit der Frage befassen, denn es geht um nichts Geringeres als die Wortlauterinnerungen des früheren Kanzlers Helmut Kohl, in digitaler Skepsis auf 200 Tonbändern festgehalten. Der Journalist Heribert Schwan soll sie nach einem Urteil des Kölner Oberlandesgerichts an den Kanzler herausgeben, doch jetzt hat er Revision eingelegt. Kohl hatte ihn beauftragt, seine Memoiren zu schreiben. Bei Band vier krachte es zwischen ihnen. Seine Worte sind mein Werk, meint Schwan. Kohl klagte, gewann und bekam die Bänder vorerst zurück.
Von Spendenaffären und Stasi-Akten
Kohls Rechtsempfinden ist berüchtigt. Er lag sensationell falsch (Spendenaffäre) und grundlegend richtig (Stasi-Akten). Über seinen vorläufigen Kölner Sieg wird man wohl nichts von beidem behaupten können, zu fragwürdig ist die Konstruktion, auf der das Urteil beruht. Schwan wird zwar kaum mehr als die Rolle eines Stichwortgebers in den mehrhundertstündigen Sitzungen gespielt haben und damit kaum eine echte Interviewleistung beanspruchen können. Umgekehrt sind Schwans Bänder kein Ton, die Kohl mit seiner Stimme zu einem Ziegel formte.
Ob sich die gesetzliche Wertung auf den Sachverhalt übertragen lässt, muss auch angesichts der Dokumentationstechnik bezweifelt werden. Bänder sind billig. Was aber, wenn Schwan die Gespräche auf seinem neuen iPhone festgehalten hätte? Hätte Kohl das teure Gerät auch zu seinem Eigentum veredeln können? Wohlmeinende, einschließlich der mit der Sache befassten Richter, haben zum Vergleich geraten und eine Übergabe ins Museum angeregt. Das wäre angemessen, angesichts der dadurch möglichen Erschließung historischer Quellen. Nötig wäre es nicht, zumal Kohl die Namen der CDU-Spender auch jetzt nicht genannt haben dürfte. Heutzutage wird Geschichte auch sehr gut ohne diejenigen erzählt, die sie geschrieben haben.