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Merkel und Röttgen am Rande der CDU-Gremiensitzungen.
© dpa

CDU nach der NRW-Wahl: Röttgens Niederlage ist Merkels Problem

Der tiefe Sturz der CDU in Nordrhein-Westfalen ist für die Partei historisch ohne Beispiel und wird auch für Angela Merkel Folgen haben. Trotzdem ist die Bundeskanzlerin in einer völlig anderen Situation als ihr sozialdemokratischer Vorgänger Gerhard Schröder 2005.

Was für ein Debakel für die CDU: Bei der Landtagswahl am Sonntag in Nordrhein-Westfalen erzielte die Partei das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte an Rhein und Ruhr. Der Absturz beendet nicht nur die politische Karriere eines christdemokratischen Hoffnungsträgers, sie ist auch für die ganze Partei ohne Beispiel.

Das Ausmaß ihrer Niederlage wird allerdings erst im größeren, historischen Kontext deutlich. Sieben Jahre ist der große Triumph der Christdemokraten und von Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen her. Bei der Landtagswahl 2005, als Rot-Grün in Düsseldorf abgewählt wurde und sich Kanzler Schröder anschließend in Neuwahlen flüchtete, hatte die dortige CDU  44,8 Prozent erzielt. Am Sonntag kam sie nur noch 26,3 Prozent. Vor sieben Jahren wählten noch 3,6 Millionen Wähler des Landes CDU, vor zwei Jahren, bei der Bundestagswahl 2009 waren es immerhin noch 3,1 Millionen, am Sonntag nur noch 2 Millionen. Innerhalb weniger Jahre ist die Wählerbasis der Partei im bevölkerungsreichsten Bundesland erodiert.

Hinzu kommt: Ergebnisse im 20-Prozent-Keller kennen die Christdemokraten bislang nur aus den drei Stadtstaaten sowie aus Ostdeutschland. Seit fast einem halben Jahrhundert hingegen hat die CDU in keinem westdeutschen Flächenland nicht mehr so schlecht abgeschnitten. Und sieht man einmal von einer Landtagswahl 1966 in Hessen ab, dann hat die westdeutsche CDU so schlechte Wahlergebnisse zuletzt in den 1950er Jahren eingefahren, in den Anfängen der Bundesrepublik.

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Ausgerechnet in Nordrhein-Westfalen, wo die CDU in den Nachkriegsjahren als Bündnis von Konservativen und katholischem Zentrum gegründet wurde, ausgerechnet dort, wo die Partei in den Nachkriegsjahren ihre erste Hochburg hatte, ist sie nun so tief gestürzt. Zuletzt hat die CDU immer wieder betont, sie sei die einzige verbliebene Volkspartei in Deutschland. Das wird ihr jetzt kaum noch jemand abnehmen.

Eigentlich müssten in der gesamten Union nun die Alarmglocken schrillen. Am Wahlabend waren die Christdemokraten stattdessen eifrig damit beschäftigt, den dramatischen Absturz kleinzureden und die Schuldfrage von der Bundes-CDU sowie vor allem von Kanzlerin Merkel fernzuhalten. Landespolitische Gründe wurden für die katastrophale Schlappe verantwortlich gemacht, die beliebte sozialdemokratische Ministerpräsidentin und der schlechte Wahlkampf des Spitzenkandidaten Norbert Röttgen. Doch so einfach kann die CDU es sich nicht machen. Eine knappe Niederlage hätte die Bundespartei auf die Landespolitik schieben können, doch stattdessen ist nicht zu übersehen: Röttgens Niederlage ist Merkels Problem.

Natürlich unterscheidet sich die Lage der CDU in Berlin von der in Düsseldorf. Die politische Stimmung im Bund ist eine völlig andere als in Nordrhein-Westfalen, eine rot-grüne Mehrheit in Berlin nicht in Sicht. Merkel ist die beliebteste deutsche Politikerin. Sowohl in der Wirtschaftspolitik als auch bei der Eurorettung kann sie auf große Erfolge verweisen. Gleichzeitig hätte es für Merkel und ihre Regierung in Nordrhein-Westfalen am Sonntag noch sehr viel schlimmer kommen können, vor allem dann, wenn die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitet wäre.

Trotzdem trifft diese Niederlage die Christdemokraten bundespolitisch mitten ins Herz. Doch die CDU wird sich bei der nächsten Bundestagswahl nicht allein auf das hohe Ansehen der Kanzlerin verlassen können. Denn die Wählerbasis der CDU und des bürgerlichen Lagers schrumpft insgesamt., Eine schwarz-gelbe Mehrheit 2013 ist am Sonntag in noch weitere Ferne gerückt. Vor allem vier gefährliche Botschaften gehen für Merkel und ihre CDU von der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen aus.

Mit Röttgen ist erstens auch der politische Kurs von Angela Merkel beim Wähler durchgefallen. Dieser ist in Nordrhein-Westfalen eben gerade nicht nur als Landespolitiker angetreten, sondern auch als Bundesumweltminister und damit als Repräsentant der Merkel‘schen Regierungspolitik. Wie die Kanzlerin zählt Röttgen in der CDU zu den Reformern, wie Merkel hat er versucht die CDU mit sozialen und ökologischen Themen sowie einer weichen Rhetorik für neue Wähler zu öffnen. Insgeheim hat Röttgen sogar damit geliebäugelt, nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen könne es dort zu Schwarz-Grün kommen. Solche Spekulationen kann die CDU nun erst einmal vergessen, obwohl sie dringend neue Machtoptionen braucht.

Die CDU hat keine Alternativen - weder programmatisch, noch personell

Hinzu kommt zweitens: Mit Norbert Röttgen ist in Nordrhein-Westfalen nicht nur einer der wenigen verbliebenen innerparteilichen Konkurrenten der Kanzlerin gescheitert. Wieder gibt es in der CDU also ein Alphatier weniger, das Merkel gefährlich werden könnte. Schwerer wiegt für Merkel jedoch, dass nun ein wichtiger Minister und ein zentraler Akteur der Energiewende politisch angeschlagen ist. Der Ausstieg aus der Atomenergie gehört zu den wahlentscheidenden innenpolitischen Themen der kommenden Jahre, da kann sich die Union eigentlich keine Schwäche leisten.

Drittens hat das bürgerliche Lager in Nordrhein-Westfalen insgesamt verloren. Die FDP ist dort nicht deshalb wiederauferstanden, weil sie Wähler, die sich seit 2009 von den beiden Regierungsparteien abgewandt haben, zurückgewonnen hat. Der Erfolg der FDP geht vielmehr voll zu Lasten der CDU. Unter dem Strich haben die beiden bürgerlichen Parteien zusammen deutlich verloren. Bundespolitisch steht die CDU in Umfragen auch deshalb noch relativ gut da, weil die bürgerlichen Wähler ihre Enttäuschung über die schlechte Performance der schwarz-gelben Bundesregierung mit Liebesentzug für die FDP bestraft haben. Dieser Trend hat sich in Nordrhein-Westfalen nun erstmals umgekehrt.

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Viertens fischen die Piraten ihre Wähler nicht in erster Linie im linken Lager. Auch CDU-Wähler laufen in Scharen zu der neuen Partei über. Immer deutlicher wird, dass die Piraten im Kern eine bürgerliche Protestpartei sind, die bei der Bundestagswahl 2013 auch der CDU viele Stimmen kosten könnte. Die christdemokratische Strategie, die Piraten starkzureden, damit sie eine rot-grüne Mehrheit im Bund verhindern, könnte so auf sie selbst zurückfallen.

Doch nur auf den ersten Blick erinnert die jetzige Situation an 2005, als die Abwahl von Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen das Ende der rot-grünen Bundesregierung einläutete. Schröder verlor damals die Nerven, weil er die Unterstützung seiner eigenen Genossen eingebüßt hatte und nach dem sozialdemokratischen Debakel an Rhein und Ruhr mit einem Putschversuch der Agenda-2010-Gegner in den eigenen Reihen rechnete. Ähnliches muss Merkel nicht fürchten. Zwar werden die Konservativen in der CDU nun wieder über die vermeidliche Sozialdemokratisierung schimpfen. Aber weder programmatisch noch personell können sie mit Alternativen aufwarten. Nicht zu vergessen ist zudem, dass die CDU vor gut einem Jahr mit dem konservativen Frontmann Stefan Mappus auch in Baden-Württemberg eine ähnlich dramatische Niederlage einstecken musste. Die CSU wiederum hat genug mit sich selbst zu tun.

Anders als Schröder wird Merkel über das Debakel in Nordrhein-Westfalen nicht stürzen. Die Partei wird sich in ihrer Not im Gegenteil noch fester an sie klammern. Die beliebte Kanzlerin ist, so scheint es, der letzte Erfolgsgarant der CDU. Mit ihrem präsidialen Regierungsstil hat sie sich erfolgreich von den streitenden Regierungsparteien abgesetzt. Doch gleichzeitig wird es um die Kanzlerin immer einsamer. Die bundespolitische Profilierung der CDU lastet mittlerweile fast ausschließlich auf ihren Schultern, es gibt kaum noch profilierte Christdemokraten neben ihr. Für eine Neuauflage von Schwarz-Gelb wird das nicht reichen. Den letzten Dienst, den Merkel ihrer Partei erweisen kann, wäre es, die CDU als stärkere Partei in einer Große Koalition zu führen. Der Sozialdemokrat Schröder ist daran 2005 gescheitert. Merkel könnte zumindest dieses besser machen, weil sie in diesen Tagen nicht den Eindruck erweckt, als würde sie die Nerven verlieren.

Christoph Seils leitet die Online-Redaktion des Magazins Cicero. Er ist Autor des Buches „Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien?“, erschienen im WJS-Verlag. Er schreibt an dieser Stelle wöchentlich über die deutsche Parteienlandschaft.

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