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Merkel und Röttgen
© dapd

Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Die Verlorenheit der Kanzlerin

Ihr Hoffnungsträger Norbert Röttgen: ein krachender Verlierer. Und ihr Koalitionspartner Philipp Rösler: seit Sonntag mehr als je zuvor ein FDP-Vorsitzender auf Abruf. Das Ergebnis von Nordrhein-Westfalen macht aus Angela Merkel eine einsame Regierungschefin.

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Ungefähr so hat man sich immer einen entgeisterten Menschen vorgestellt. Es ist acht Minuten nach 18 Uhr, die Fernsehanstalten haben noch kaum Zeit gehabt, ihre Wahlprognosen in bunten Balkendiagrammen zu erläutern, Gewinner, Verlierer, was man halt so zu sehen bekommt nach einer Landtagswahl – da steht Norbert Röttgen auf der Tribüne in der CDU-Zentrale in der Düsseldorfer Wasserstraße. „Diese Zahlen waren ein Keulenschlag für uns“, hat sein alter Freund Peter Altmaier gerade in Berlin gesagt. Die Keule hat Röttgen mit voller Wucht getroffen.

Er blickt jetzt um sich, weiß nicht so recht, wer wo stehen soll, mehr nach links, mehr nach rechts? Als am Nachmittag die ersten Daten der Demoskopen durchsickerten, hat er sie nicht glauben wollen. 26 Prozent – nie! Aber die Zahlen stimmen. „Es ist eine eindeutige, klare Niederlage“, sagt der Spitzenkandidat der CDU. „Sie ist bitter, sie ist klar, und sie tut richtig weh.“ Dann legt er den Landesvorsitz nieder.

Dass dies kein froher Wahlsonntag wird, war der CDU lange vorher bewusst. Der Chefin natürlich auch. Am Freitag winkt Angela Merkel auf dem Düsseldorfer Rathausmarkt zwar noch lächelnd in die Anhängerschar, die zum CDU-Wahlkampfschluss gekommen ist. Aber sobald die Kameras abdrehen, verfallen ihre Züge ins Mürrische. Sie kann sich ausmalen, wie ein breit feixender Sigmar Gabriel bald in jedes Mikrofon den Satz röhren wird: „Es wird einsam um die Kanzlerin!“

Das sagt der SPD-Chef schon lange vergeblich voraus. Nur – diesmal stimmt es. Die CDU hat in Nordrhein-Westfalen nicht nur einfach wieder eine Wahl verloren. Das wäre zu verkraften gewesen. Die Partei hat das Territorium zwischen Rhein und Weserbergland selten regiert und meistens gefürchtet, ihren Kandidaten erging es oft wie dem unglücklichen römischen Feldherrn Varus.

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Aber Röttgens brutale Niederlage markiert das Ende eines Hoffnungsträgers, der prominent wie kaum ein anderer für einen Aufbruch der CDU in die gesellschaftlichen Moderne stand. Er wird weiter als Umweltminister am Kabinettstisch sitzen. Aufbruch wird nicht mehr sein. Auch so kann die Einsamkeit einer Kanzlerin aussehen.

Kurioserweise wird Gabriels Vorhersage sogar noch wahrscheinlicher, nimmt man den zweiten Hoffnungsträger mit auf die Rechnung. Auch Christian Lindner steht kurz nach 18 Uhr vor den eigenen Wahlkämpfern in Düsseldorf. Er kommt aber nicht zu Wort. Immer wieder hebt er die Arme, er will einfach nur Danke sagen und dass das ein großer Tag für die Liberalen in seinem Heimatland sei. Aber der Applaus und die begeisterten Pfiffe wollen einfach nicht aufhören. Mehr als acht Prozent im Land der Kumpel und Stahlarbeiter, das gab es in der liberalen Geschichte vorher nur zwei Mal.Spätestens ab jetzt ist der 33-Jährige für seine FDP der Messias.

Noch vor acht Wochen gab kein Mensch einen Pfifferling für die FDP

„Der Teufelskerl hat alles auf eine Karte gesetzt und die Partei vor dem Niedergang bewahrt“, freut sich einer im Berliner Thomas-Dehler-Haus. Wahrscheinlich stimmt das. Noch vor acht Wochen, als die rot-grüne Minderheitsregierung gegen die Wand fuhr und Neuwahlen nötig wurden, gab kein Mensch einen Pfifferling für die Freien Demokraten. Lindner hat den Abwärtstrend komplett gedreht. Er hat einen unaufgeregten Mit-uns-keine-Schulden-mehr-Wahlkampf geführt. Er hat harmlose Lehrbuchsätze aufgesagt wie: „Wenn man prinzipienfest zu seiner Haltung steht und bescheiden auftritt, dann honorieren das die Menschen.“ Vor allem aber hat er eine Botschaft regelrecht verkörpert, er, der als Generalsekretär seinem Vorsitzenden Philipp Rösler den Rücken zugekehrt hatte: Ich bin keiner von diesen Verrückten in Berlin.

Für die Verrückten in Berlin war das keine schöne Botschaft. Für Merkel ist es auch keine. Theoretisch wäre das ja was, eine neue FDP mit einem intelligenten Vormann, der die Partei aus der Enge des Steuersenkungsfanatismus ebenso befreit wie aus den Anstrengungen der aktuellen Führung. Schwarz-Gelb reloaded – die Kanzlerin könnte im Wahlkampf 2013 ihre größte Schwachstelle vergessen machen, diese drei Jahre zweckloser Koalition mit einer dauerdröhnenden CSU und einer dauertönenden FDP.

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Doch der Traum vom neuen Traumpaar wird Traum bleiben, bis es zu spät ist. Er freue sich darauf, „die einzige bürgerliche Opposition“ im Düsseldorfer Landtag als Fraktionschef anzuführen, sagt der Hoffnungsträger. Er hat es nicht eilig. Irgendwann, vielleicht im Herbst, werden sie in Berlin wohl diesen Rösler beiseite räumen. Dann wird vielleicht der alte Fuchs Rainer Brüderle als Übergangsparteichef die Dinge lenken. Er wird nebenbei daran erinnern, dass er damals in Rheinland-Pfalz nie ein Problem mit Ampeln hatte. Dann wird ein Spitzenkandidat zu küren sein für die Bundestagswahl. Und dann wird man sehen.

Rösler kennt die Gefahr. Er versucht etwas vom Düsseldorfer Glanz auf sich abstrahlen zu lassen. Er werde CDU und CSU fortan „nicht weichen“, sondern bei seinen Positionen bleiben. Man kennt das schon: Er will jetzt liefern. Das Dauertönen bleibt also. Es wird nur noch schriller. Auch so kann die Einsamkeit einer Kanzlerin aussehen. Aber sie ist nichts gegen die Einsamkeit des Verlierers.

Röttgen ist am Ende. Dabei war er flott gestartet.

Philipp Rösler.
Philipp Rösler.
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Röttgen hat die Niederlage auf sich genommen, klar und unzweideutig. „Ich habe verloren“, sagt er. „Es war mein Wahlkampf.“ Das muss er sagen, weil er vor kurzem noch den Verdacht erweckt hatte, dass er Merkel in die eigene Niederlage hineinziehen wolle. Doch die Erschütterung ist echt. Später am Abend stiehlt er sich hintenrum aus der Parteigeschäftsstelle in Düsseldorf davon. Bloß keine Kameras mehr! Vielleicht, sagt einer, der ihn schon sehr lange kennt, fängt er jetzt wirklich an zu begreifen, was er da angerichtet hat. Und dass es nicht an mangelnder Intelligenz der Wähler liegt, wenn sie ihn nicht wollten. 26 Prozent – das ist nur noch der ganz harte Kern.

Andere haben das alles längst begriffen. Man muss nur im Konrad-Adenauer-Haus Hermann Gröhe sehen, den Generalsekretär, der sonst immer verbindlich lächelt, aber jetzt nach ein paar Sätzen ganz schnell verschwindet, damit er nicht auf offener Bühne losheult. Oder man schaut sich Altmaier an, den Fraktionsgeschäftsführer, der bisher jeder Niederlage etwas Positives abgewinnen konnte – dieser nicht. Man kann auch Eckard von Klaeden nehmen, den Staatsminister im Kanzleramt, der sonst nie etwas öffentlich sagt und jetzt den Verlierer in Schutz nimmt. Auf einmal steht die alte „Pizza-Connection“ wieder zusammen, jene Bande junger Christdemokraten, die vor zwei Jahrzehnten frische Luft in die verstaubende CDU des Helmut Kohl bringen wollte.

Röttgen war einer der Auffälligsten von ihnen. Jetzt ist er am Ende. Er hat es selbst verschuldet. Dabei war er flott gestartet. Am Tag, an dem die rot-grüne Regierung platzte, rollte CDU- Generalsekretär Oliver Wittke das erste Wahlplakat vor den Landtag: „NRW hat die Wahl: Schuldenstaat oder Zukunft für unsere Kinder“ stand drauf. Dass die Papierrolle schon seit einem Jahr im Keller stand, gedruckt für eine Aktion, die dann doch nicht stattfand – das wusste ja keiner.

Doch von da an hat Röttgen falsch gemacht, was man falsch machen kann. Er hat sich ständig selbst dementiert. Da war der Prediger der Sparsamkeit, der nur nie sagen konnte, wo denn sparen. Da war die Pendlerpauschale, die – ausgerechnet – der Umweltminister anheben wollte. Da war Horst Seehofers Betreuungsgeld, für das – ausgerechnet – der CDU-Modernisierer auf den Marktplätzen warb. Und da war diese fatale Rückfahrkarte nach Berlin, die er nicht aus der Hand geben wollte. „Wenn er gesagt hätte: ,Mit Haut und Haaren komme ich hier nach Düsseldorf’, wäre es wahrscheinlich etwas besser gelaufen“, räumt sein General Wittke am Sonntag ein.

Da ist es zu spät, auch für Wittke vermutlich. Längst rangeln in Düsseldorf die Nachfolger um Röttgens Erbe. Seit dem Nachmittag verteidigt der Fraktionschef Karl-Josef Laumann sein Amt gegen Armin Laschet. Der Mann, der gegen Röttgen in der Mitgliederbefragung vor zwei Jahren verlor, soll jetzt die Trümmer aufräumen. Aber eine 25-Prozent-Opposition kann das bisschen öffentliche Aufmerksamkeit, das sie noch kriegt, nicht auch noch zweiteilen. Laumann soll weichen. Er will nicht. Röttgen hat noch versucht, die Dinge mit zu regeln. Viel zu sagen, scheint es, hat er nicht mehr.

Er wird jetzt nur noch die Rückfahrkarte einlösen können. Doch die Wähler haben sie längst entwertet. Der Mann, der ins Umweltministerium zurückkehrt, ist nicht mehr der strahlende Held der Energiewende. Stellvertretender Parteichef wird er vielleicht auch nicht mehr lange bleiben. Bei den Konservativen in der Union reiben sie sich die Hände. Hatten sie nicht immer gesagt, dass diese Typen keinen Wahlkampf können? Hatten sie nicht immer schon gesagt, dass die ganze Richtung nicht funktioniert, dieser Versuch, neue Wähler halblinks der Mitte zu gewinnen auf Kosten der konservativen Alten? Bei den Wirtschaftspolitikern reiben sie sich auch die Hände. Diese Energiewende – da müssen wir noch mal ernsthaft miteinander reden! Alte Konflikte frisch aufgebrüht – auch Parteivorsitzende können einsam sein.

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