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Löschungen auf Wikipedia: Rettet den Afroshop!

Schon wieder ist ein Stück Berliner Lebenswirklichkeit akut bedroht. Diesmal: der Afroshop. Jedenfalls im Internet. Auf Wikipedia.

Die dortige Seite über Afroshops soll ersatzlos gestrichen werden, ein Antrag auf Löschung wurde am Mittwoch gestellt. Schreitet keiner ein, wird der Eintrag kommenden Dienstag, nach Ablauf der Frist, knallhart entfernt. Dann war’s das mit dem Afroshop.

Der Mann, der den Vernichtungsantrag eingereicht hat, ist mit der Qualität der Seite unzufrieden. Angeprangert wird zum Beispiel der definierende Satz: „Als Afroshop bezeichnet man Geschäfte außerhalb Afrikas, die Artikel des täglichen Bedarfs verkaufen, die den Bedürfnissen von Menschen aus Ländern südlich der Sahara entsprechen.“ Die Aussage sei zu wenig mit Quellen belegt, heißt es. Auch wird darüber gestritten, was in einem typischen Afroshop eigentlich verkauft wird. Nur Kosmetika und Haarteile – oder auch Lebensmittel und Kunst? Inzwischen hat sich der Verfasser des Originaltexts zu Wort gemeldet. Er räumt ein: „Der Artikel stammt aus der Anfangszeit meines Wirkens und ist sicherlich nicht mein bester.“ Aber darf man ihn deshalb einfach streichen?

Freies Wissen für alle, erstellt von allen, so lautet das Versprechen von Wikipedia. Sagenhafte 35 Millionen lexikalische Einträge sind heute, im Jahr 15 des Bestehens, abrufbar. Es wären deutlich mehr, nähmen Administratoren nicht regelmäßig Löschungen vor – um das Online-Lexikon vor PR, Selbstdarstellertum und Vandalismus zu schützen. Wo allerdings die Grenze zwischen erhaltenswertem und löschbarem Wissen verläuft, darüber tobt seit Anbeginn ein Meinungskrieg zwischen den sogenannten „Inkludisten“ (die sich eine möglichst umfangreiche Wikipedia wünschen) und den „Exkludisten“ (die lieber weniger, dafür bessere Einträge wollen). In beiden Lagern gibt es Extremisten, die auch vor Beschimpfungen anderer Wikipedianer nicht zurückscheuen.

Ob derzeit die In- oder die Exkludisten dominieren, wie hoch also die Chancen des Afroshops sind, den kommenden Dienstag zu überstehen, verrät vielleicht ein Blick in die Löschkandidaten-Protokolle. In denen dokumentiert Wikipedia sämtliche Entscheidungen der vergangenen Monate. Zum Beispiel der Juni: Getilgt wurden unter anderem die Einträge zur Sommerrodelbahn Bodenwerder, dem Lichtenberger Allee-Center, dem Pressesprecher der Hells Angels sowie einer „Vereinigung zur Förderung des Reiskonsums“. Gern hätte ich auch den Artikel „Von der Volksrepublik China in Taiwan geplante Straßen“ gelesen. Wikipedia entschied anders.

Zum Glück gibt es Gegenprojekte wie die Seite „Pluspedia“, die gelöschten Wikipedia-Artikeln Asyl gewährt. Ein Gnadenhof für ausgemustertes Wissen. 13 200 ehemalige Wiki-Einträge lassen sich allein bei Pluspedia abrufen. Zum Beispiel der zum Thema „Nackenknacken“. Jetzt ehrlich: Wie konnte den einer irrelevant finden?

Kommenden Dienstag droht – neben der des Afroshops – noch eine zweite Löschung, und die wäre nicht weniger skandalös. Entfernt werden soll der Wikipedia-Eintrag über Christian Brandes, den Gründer und Betreiber des Blogs „Schlecky Silberstein“, ehemals „Spiegel Offline“. Das ist einer der erfolgreichsten Blogs Deutschlands! Brandes ist auch Faultierexperte und hat das „Internationale Festival des nacherzählten Films“ im Hebbel am Ufer gewonnen, kurzum: Der Mann ist eine feste Größe. Christian Brandes aus der Wikipedia streichen zu wollen, ist in etwa so töricht, als würde man Löschanträge für die Begriffe „MS-DOS“ oder „Festplatte“ stellen. Die Exkludisten sollten sich was schämen.

Alle vorherigen Folgen der Kolumne finden sich hier.

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