Reform des Urheberrechts: Mein Schnappschuss gehört mir
... oder doch nicht? Die EU will das Urheberrecht reformieren und streitet darüber, wie Fotos mit Bau- und Kunstwerken genutzt werden dürfen, vor allem im Internet. Am 9. Juli tagt das Europa-Parlament zur Panoramafreiheit.
Juhu, endlich mal wieder was los im Internet! Endlich mal wieder Aufschreie, offene Briefe und wütende Tweets! Endlich mal wieder ein Grund, die Politik doof und digital verbohrt zu finden! Wer es noch nicht mitgekriegt hat: Die Rede ist von der bedrohten Panoramafreiheit.
In Deutschland ist es bislang erlaubt, im öffentlichen Raum Fotos von Gebäuden oder Skulpturen zu machen und diese Fotos weiterzuverwenden – auch wenn die Urheber noch nicht seit 70 Jahren tot sind. Das gilt für die nicht kommerzielle wie für die kommerzielle Nutzung. Wer also die Bronzeskulptur „Die Flamme“ von Bernhard Heiliger auf dem Ernst-Reuter-Platz fotografieren und das Motiv als Poster oder Postkarte vermarkten will, muss die Erben weder um Erlaubnis fragen noch am Gewinn beteiligen. Anders sieht die Sache bei Kunst aus, die nicht dauerhaft im Stadtraum installiert ist. Deshalb konnte Christo wegen des temporären Charakters seines verhüllten Reichstags vom Urheberrecht Gebrauch machen und die kommerzielle Nutzung von „Wrapped Reichstag“-Fotos verbieten.
Die sogenannte Panoramafreiheit wird in Frankreich oder Italien schon jetzt rigider gehandhabt
Die Panoramafreiheit gilt in vielen Ländern, darunter Polen, Österreich, Tschechien und die Niederlande. Andere europäische Nachbarn sind restriktiver: In Frankreich, Italien oder Griechenland muss eine Zustimmung der Rechteinhaber vorliegen, bevor Fotos kommerziell genutzt werden dürfen. Beispiel Eiffelturm: Das Fotografieren zu egal welchem Zweck ist am Tage erlaubt, denn die Erbauer sind lange tot. Anders sieht es mit der nächtlichen Lichtinstallation des Eiffelturms aus, sie ist als Kunstwerk urheberrechtlich geschützt. Wer ein selbst gemachtes Foto vom Eiffelturm bei Nacht nutzen will, braucht dafür eine Lizenz.
Die unterschiedlichen Urheberrechtsregelungen innerhalb der EU, die nicht nur die Panoramafreiheit betreffen, sind seit Jahren ein Ärgernis: zu kompliziert, innovationshemmend, nicht mehr angemessen im digitalen Zeitalter. Schon lange soll das Urheberrecht reformiert und vereinheitlicht werden. Der politische Prozess ist im Gange, die EU-Abgeordnete Julia Reda von der Piratenpartei legte im Januar einen Berichtsentwurf vor. Mitte Juni nahm der Rechtsausschuss des Europaparlaments diesen Report an. „Zu den meisten Punkten meines Berichts konnte ich mit allen Fraktionen Kompromisstexte aushandeln“, so Reda. „Zu einem Thema konnten wir uns aber nicht einigen: dem Recht, Abbildungen öffentlicher Gebäude oder Skulpturen frei zu verwenden.“
Stattdessen setzte sich überraschenderweise der Liberale Jean-Marie Cavada mit einem radikalen Änderungsantrag durch, unterstützt von Christdemokraten und Sozialdemokraten. Jetzt findet sich folgende Formulierung im Bericht: Der Rechtsausschuss „vertritt die Auffassung, dass die gewerbliche Nutzung von Fotografien, Videomaterial oder anderen Abbildungen von Werken, die dauerhaft an physischen öffentlichen Orten platziert sind, immer an die vorherige Einwilligung der Urheber oder sonstigen Bevollmächtigten geknüpft sein sollte.“ Wieso der plötzliche Richtungswechsel? John Weitzmann, Redakteur bei irights.info, einem Informationsportal zum Thema Urheberrecht, war Ende Mai zu einem Expertenseminar in Brüssel eingeladen. Gastgeber war der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Pavel Svoboda. Weitzmann erinnert sich, dass die französische Verwertungsgesellschaft ADAGP („Société des Auteurs dans les Arts graphiques et plastiques“) massiv für die europaweite Abschaffung der Panoramafreiheit geworben und auf die Nöte der Künstler hingewiesen hat.
Fotografen und Dokumentarfilmer fürchten Einschränkungen
Diese Argumente fanden offenbar Gehör. Am 9. Juli wird das EU-Parlament nun über den vom Rechtsausschuss vorlegten Bericht abstimmen. Falls er in der vorliegenden Fassung angenommen wird, fließt er in die Urheberrechtsreform ein. Das wäre möglicherweise das Ende der deutschen Panoramafreiheit.
Doch ob es so weit kommt, ist fraglich. Denn der Erfolg der französischen Kulturlobbyisten stößt europaweit auf Ablehnung. Dokumentarfilmer warnen vor Drehverboten und überzogenen Lizenzforderungen, Fotografen befürchten ähnliche Arbeitseinschränkungen im öffentlichen Raum. Mehrere Petitionen wurden im Internet gestartet und bereits von zehntausenden Menschen unterschrieben. Denn was der Rechtsausschuss übersehen hat: Im Zeitalter von Blogs und digitalen Netzwerken lässt sich kommerzielle und nicht kommerzielle Nutzung nicht mehr sauber voneinander abgrenzen.
Auch Wikipedia sieht sich bedroht. Aber was ist mit den Rechten der Künstler?
Zwar verfolgt der Urlauber mit seinen Schnappschüssen, die er im Netz postet, keine finanziellen Interessen. Aber die Plattformen, auf denen die Bilder veröffentlicht werden, tun das durchaus. Was also, wenn ein Fotoblog Geld mit Werbebannern verdient? Und wie steht es mit Facebook? Jedes Mitglied der Plattform räumt dem Unternehmen das Recht zur kommerziellen Nutzung aller geposteten Bilder ein.
Noch komplizierter wird es bei der nicht werbefinanzierten Onlineenzyklopädie Wikipedia. Wer Fotos für das von allen Wikipedias weltweit gemeinsam genutzte Bildarchiv „Wikimedia Commons“ beisteuert, akzeptiert, dass sie weiterverwendet werden dürfen – auch kommerziell. Tausende ehrenamtliche Wikipedia-Autoren sehen dieses Modell nun bedroht und fordern die EU-Parlamentarier in einem Offenen Brief auf, „sich dafür einzusetzen, dass Abbildungen von Werken, die sich dauerhaft im öffentlichen Raum befinden, auch für kommerzielle Zwecke in der gesamten EU nicht der Zustimmung der Rechteinhaber bedürfen“.
Mittlerweile wurde bekannt, dass ein Großteil der Abgeordneten im EU-Parlament den Ruf des Volkes gehört und der Vorlage des Rechtsausschusses nicht zustimmen wird. Darauf haben sich die großen Fraktionen in Brüssel mittlerweile offenbar verständigt. Günther Oettinger twitterte die frohe Botschaft sogar: „Die bestehende EU-Gesetzgebung zum #Urheberrecht erlaubt #Panoramafreiheit. EU-Kommission wird sie nicht abschaffen.“ Bleibt die Frage, wie die Politik weiter vorzugehen gedenkt. Das Nachrichtenportal heise meldete am Mittwochabend, dass die EU-Sozialdemokraten „aus verfahrenstechnischen Gründen“ keinen Änderungseintrag einreichen, sondern den kritisierten Absatz zur Panoramafreiheit einfach komplett streichen wollen. „Somit wäre die Zukunft der Panoramafreiheit bis auf weiteres unbestimmt.“
Die Diskussion ist also möglichweise noch nicht zu Ende. Doch was sagen eigentlich die, über deren Urheberrechte hier verhandelt wird? Sind die Künstler und Architekten womöglich sogar froh über den Vorstoß der Franzosen? Bei der Bundesarchitektenkammer gibt man sich gelassen. Sprecher Paul Lichtenthäler erklärt: „Die Bundesarchitektenkammer würde (weiterhin) die freie Verwendung von Bildern mit Bauwerken akzeptieren, ohne dass der Architekt vorher gefragt werden muss.“ Allerdings sähe man es gerne, wenn bei gewerblicher Nutzung wenigstens der Name des Architekten genannt würde. Das soll aber nur für „Werke der Baukunst“ gelten – und nur dann, wenn die Architektur das zentrale Motiv des Fotos ist.
Beim Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK), der die politischen Interessen von rund 10 000 Mitgliedern vertritt, fällt die Antwort schon anders aus. Der Vorsitzende Werner Schaub findet die Debatte verkürzt. Die Netzkampagne, die auch der EU-Abgeordnete Reda mit angeheizt habe, sei „insofern hinterhältig, weil suggeriert wird, man könne künftig kriminell werden, wenn man sich etwa im Urlaub vor einer Skulptur im Stadtraum fotografieren lässt“. Das lenke von der eigentlichen Frage ab, wessen Rechte künftig mehr gelten sollen. „Der BBK hätte gegen eine Harmonisierung analog etwa zu Frankreich nichts einzuwenden. Wir sehen darin keine Einschränkung einer Panoramafreiheit, wir sehen eher in der derzeitigen Gesetzeslage in Deutschland eine Einschränkung der Rechte von Urhebern.“
Aus Schaubs Sicht spricht nichts dagegen, bei kommerziellen Fotos die Künstler zu fragen und an etwaigen Gewinnen zu beteiligen. Eine Meinung, mit der der Verband in Deutschland zurzeit ziemlich alleine dasteht.
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