Mobbing im Netz: Medienkompetenz lehren statt zensieren
Mit Befremden und Hilflosigkeit reagiert die Öffentlichkeit auf das Phänomen Cybermobbing. Dabei gelten bestimmte Regeln der Menschlichkeit analog wie digital. Alle - Eltern, Lehrer, Politiker und Schüler - müssen mehr lehren und lernen, als in den Büchern steht.
Wozu einen Senat? Um die Gesellschaft von morgen maßgeblich in einer Weise mitzugestalten, wie wir, der Souverän, sie uns vorstellen. Okay? Gut, wenn wir uns darin einig sind, dann kommen hier als Dialogidee drei Anforderungen an drei Senatoren dieser Stadt, ausgehend von dem aufs Neue erschreckenden Bericht über Mobbing von Kindern und Jugendlichen via Facebook.
Als Erstes an den Finanzsenator (der Politik nicht erleiden, sondern gestalten will): Er sollte Geld besorgen, damit möglichst viele, am besten alle Schulen mit möglichst vielen Computern oder Tablets ausgestattet werden. Ab, sagen wir, Klasse sieben. Oder acht. Dann an die Schulsenatorin (die ja noch Renommee erwerben muss): Sie muss an den Schulen ein regelrechtes Fach – keinen Workshop – durchsetzen, das „Medienkompetenz“ in seiner ganzen Breite zum Inhalt hat und dafür die Curricula anpassen, wahrscheinlich erweitern. Hier können auch Nicht-Lehrer eingesetzt werden, Fachleute, die nicht notwendigerweise aus der „Generation Plattenspieler“ kommen müssen. Drittens an den Justizsenator (der in Berlin ein Fachmann für Internetnutzung und als ehemaliger Facebook-Anteilseigner ein besonderer Kenner ist): Er muss angesichts des Mobbings in einer digitalen Welt darangehen, den Gewaltbegriff neu zu definieren. Von den Eltern bei alledem mal zu schweigen.
Warum das alles? Nicht aus Alarmismus, sondern aus Realismus. Mit vielen auf der Hand liegenden Gründen: Die Kindheit heute wird gewissermaßen verdoppelt, sie findet in der realen Welt statt und zugleich in der virtuellen. Es gibt viele Plattformen, auf denen die jungen Menschen zusammenkommen, längst doch nicht mehr nur auf dem Schulhof oder in Klassen oder Kursen. Der Unterricht ist allerdings nach wie vor – bis auf wenige Ausnahmen, wo sich Sponsoren gefunden haben – analog. Darum muss anhand realer Tablets, zum Beispiel, gelehrt werden, wie der richtige Umgang damit sein sollte. Es geht ums richtige Reflektieren, nichts ums Zensieren.
Die Anforderungen an die Erziehung haben sich vielleicht verändert. Eine Sache bleibt aber immer gleich.
Da ist es ein bisschen wie früher beim schnellen Reisen mit dem Düsenflugzeug, übrigens der ersten Globalisierung vor dem Internet: Das Herz kommt manchmal nicht mit. Erziehung bleibt aber auch Herzensbildung, das hat sich nicht geändert. Oder anders: Die Standards für das, was einen Menschen ausmacht, was Humanität ist, gelten analog wie digital. Das muss aber immer wieder allen klargemacht werden, und zwar jetzt auch auf den modernsten zur Verfügung stehenden Kanälen; wie sich an den Mobbingfällen zeigt.
So vieles findet unterhalb der bisher geltenden Wahrnehmungsschwelle statt, in Räumen im Netz, nicht in Klassenräumen. Wo früher aus dem Schulhof zwei, drei einen Mitschüler hänselten, können es heute virtuell zehn, zwanzig, hundert werden, die sich aus der vermeintlich Distanz heraus trauen. Auf dem Schulhof, von Angesicht zu Angesicht, gibt es das Phänomen immer noch, das andere kommt hinzu, insofern ist sogar von der Gefahr doppelten Mobbings zu sprechen. Wie die Angelegenheit dennoch beherrscht werden kann, das erfordert eine direkte Konfrontation mit dem Problem.
Zweifellos hat sich hier die Dimension geändert, und wir müssen uns um der Verantwortung für die Jungen willen auch ändern. Das erzwingt die Wirklichkeit. Häme, schauen wir auf die Schirme, wird doch geradezu ein soziales Genre. Respektlosigkeit gehört bald schon zum üblichen Ton. Viele Gründe also, mehr zu lehren und zu lernen, als in Büchern steht.
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