Gastbeitrag: "Iuventa"-Crew erhält Max-Dortu-Preis zu Recht
Die Stadt Potsdam setzt sich für die Seenotrettung ein – und ehrt die Crew der "Iuventa" mit dem Max-Dortu-Preis. Jury-Mitglied Heinz Kleger erklärt, warum diese Entscheidung ein wichtiges Zeichen ist.
Potsdam - Die Fluchtgeschichten der Hugenotten im 17. und frühen 18. Jahrhundert werden heute erforscht, und es wird an sie erinnert. Zum Beispiel an die Fluchtrouten von Zehntausenden aus Frankreich über die Calvin-Stadt Genf und die Zwingli-Stadt Zürich nach Norden, auch nach Berlin und Brandenburg, sorgsam und angsterfüllt an den katholischen Kantonen vorbei, oft mit Hilfe von Schleppern. Die Waldenser, die seit dem 13. Jahrhundert schon Protestanten vor der Reformation waren und keine Schutzmächte vorfanden, flohen dagegen in schwer zugängliche Bergtäler. Ihre Gemeinden sind unter großen Bedrängnissen Zufluchtsorte geblieben.
Genf und Amsterdam waren und sind berühmte Zufluchtsstädte. Genf versteht sich noch heute als „cité de refuge“. Als vor ein paar Jahren Menschen aus Ex-Jugoslawien in den Gemeinden Beromünster und Emmen im Kanton Luzern nicht eingebürgert worden sind, was dort auf direktdemokratische Weise geschieht, erklärte sich Genf sofort bereit, diese Menschen aufzunehmen. Amsterdam ist schon seit dem 15. Jahrhundert eine bekannte Zufluchtsstadt, deren Geschichte nicht in wenigen Worten erzählt werden kann. Hier sei nur erwähnt, dass Amsterdam mit seinen Fluchtgeschichten Weltgeschichte geschrieben hat – von der Alten Welt eines wenig toleranten Europa in die Neue Welt nach Neu-Amsterdam (New York). In den USA wiederum gibt es seit Langem die in Europa wenig bekannte „Sanctuary“-Bewegung der Städte, die ebenfalls aus biblischen Quellen schöpft und nicht nur Donald Trump ein Dorn im Auge ist.
Was hat das alles mit Potsdam zu tun? Derzeit sind Mitglieder des Rettungsschiffes „Iuventa“ wegen Beihilfe zu illegaler Einwanderung in Italien angeklagt, darunter zwei, die in Potsdam wohnen. Die „Iuventa“ hat tausende Menschen vor dem Ertrinken gerettet und in sichere Häfen gebracht. Die zivilgesellschaftliche Bewegung „Seebrücke“ („Schafft sichere Häfen!“) hat sich 2018 gebildet, als das Seenotrettungsschiff „Lifeline“ keinen sicheren Hafen anfahren konnte (zuvor schon die „Aquarius“, zuletzt die „Sea-Watch 3“). Diese Organisationen machen zu Recht auf den Bruch geltenden Völkerrechts und deklarierter Menschenrechte durch eine inhumane Flüchtlingspolitik aufmerksam, auch hier in Potsdam.
In einem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung hat die Stadt deshalb erklärt, sich aktiv für die Seenotrettung im Mittelmeer einzusetzen. Auf Druck der „Seebrücke“-Proteste sind bislang 32 Städte bereit, Flüchtlinge, die aus Seenot gerettet worden sind, aufzunehmen. Auch Potsdam hat sich zum „sicheren Hafen“ erklärt. Sichere Häfen sind heute demokratische Häfen. Sie wirken wie Inseln im Meer. Schon 2015 bis 2017 hätten die 160.000 Flüchtlinge in Verbindung mit einer finanziellen Unterstützung durch die EU auf bereitwillige Städte überall in Europa verteilt werden können. Dies entspricht dem demokratischen Prinzip der Subsidiarität, dem wiederum eine bürgerschaftliche Solidarität in kleineren Einheiten (zum Beispiel offene Städte) vorausgeht. Die sogenannte europäische Flüchtlingskrise, die noch immer schwelt, beweist, dass wir nicht viel weitergekommen sind bei der schwierigen, aber pragmatisch lösbaren Verknüpfung von Toleranz, Demokratie und Solidarität.
Heinz Kleger, 66, lehrte 25 Jahre lang Politische Theorie an der Uni Potsdam. Er ist Mitinitiator des Neuen Potsdamer Toleranzedikts und Mitglied der Jury, die der Crew der „Iuventa“ am 22. Juli 2019 den Max-Dortu- Preis für Zivilcourage und gelebte Demokratie der Stadt Potsdam verleiht
Heinz Kleger
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