Friedenskonferenz in Genf: Hoffnungsschimmer für Syrien
Eine Friedenskonferenz kann helfen, die Gewaltspirale in Syrien zu beenden. Interventionsdrohungen sind da nicht hilfreich. Ein Plädoyer für ein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft - ohne Waffen, stattdessen mithilfe von diplomatischen Gesprächen.
Bei ihrer Zusammenkunft Anfang Mai in Moskau verblüffte der amerikanische Außenminister John Kerry seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow mit einem Vorschlag: Gemeinsam wolle man nach einem Ausweg aus dem syrischen Bürgerkrieg suchen. Und dies auf der Basis eines schon fast vergilbten Schriftstücks, des Genfer Kommuniqués vom Juni 2012. Worum handelt es sich?
Um eine gut gemeinte, aber folgenlose Episode der internationalen Krisenpolitik. Kofi Annan, damals Syrien-Sondergesandter der UN, hatte die Außenminister der fünf Vetomächte des Sicherheitsrats in der schweizerischen Konferenzmetropole ein Dokument unterzeichnen lassen, das die Eckpunkte seines eigenen Friedensplans bekräftigt – voran eine umfassende Waffenruhe und die Bildung einer Übergangsregierung. An ihnen, den Großmächten, wäre es nun gewesen, die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bringen. Als den Worten keine Taten folgten, trat Annan zurück. Zu direkten Gesprächen der syrischen Kontrahenten kam es gar nicht erst. Der bisher einzige Versuch einer politischen Konfliktbeilegung scheiterte, bevor er begann. Und ausgerechnet dieses unglückselige Kommuniqué soll jetzt als Folie taugen zum Frieden für Syrien? Kerry antwortete mit einer Gegenfrage. „Was wäre die Alternative? Dass es noch mehr Gewalt gibt, dass Syrien noch dichter an den Abgrund rückt oder gar im Chaos versinkt.“
Ist dieser Zustand nicht längst erreicht? Das Land liegt in Agonie. Es zerfällt entlang konfessioneller Grenzen. Zum Zeitpunkt der ersten Genfer Tagung hatte der Krieg 14 000 Menschenleben gekostet. Seither hat sich die Zahl mehr als verfünffacht. Zwölf Monate verstrichen. Zwar nennt die Abschlusserklärung des G-8-Treffens von Enniskillen das neue Konferenzprojekt. Aber alle Details, vom Teilnehmerkreis bis zur Tagesordnung, sind strittig. Wird es wieder beim Lippenbekenntnis bleiben?
In der westlichen Öffentlichkeit sieht das medial vermittelte Konfliktbild den syrischen Machtkampf noch immer als Abfolge einseitiger Vergehen unprovozierter Täter an passiven Opfern. Die Formel vom „Krieg gegen das eigene Volk“ pointiert den Standpunkt. Er blendet aus, dass nur in der Anfangsphase der Unruhen der brachiale Umgang mit wehrlosen Demonstranten die vorherrschende Gewaltform war. Seit Juli 2011 agiert die „Freie Syrische Armee“. Sie kontrolliert die Hälfte des Landes.
Eine Konfliktlösung, die statt auf Waffenmacht auf Dialog und Diplomatie setzt, verlangt eine außergewöhnliche Anstrengung. Sie kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten Abstriche an ihren Maximalzielen vornehmen – die Herrschenden in Damaskus am Anspruch, allein zu entscheiden, welche Reformen das Land braucht, die Aufständischen an der Weigerung, mit Regierungsvertretern auch nur zu sprechen, und die westlichen Hauptstädte am Beharren auf dem Regimewechsel.
Solange die Interventionsdrohung im Raum steht, ist es um die Idee des Verständigungsfriedens schlecht bestellt. Die Furcht vor dem bewaffneten Eingreifen von außen beflügelt das Assad-Lager und die Hoffnung darauf die Opposition, ihre Militanz noch zu steigern.
Haben sich militärische Kontrahenten in der Gewaltspirale verfangen, unfähig, aus eigener Kraft den Ausstieg zu finden, muss ihnen die vielbeschworene internationale Gemeinschaft auf die Sprünge helfen. Wozu sonst wäre sie da? Im Fall Syrien mag die Chance klein erscheinen, um nicht zu sagen winzig. Aber es könnte die letzte sein. Wer sie aufs Spiel setzt, übernimmt Mitverantwortung. Für die Folgen, für das Leiden, für die Opfer.
Der Autor war Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.
Reinhard Mutz