Volksabstimmung: Griechenland: Die große Entscheidung
Jetzt ist Giorgos Papandreou, Chef einer Regierung der nationalen Verzweiflung, mehr Grieche den je. Er wagt die letzte große Schlacht, indem er sein Volk zu Europa fragt. Das ist mutig und kann ihm Ruhm bringen. Wahrscheinlicher aber ist etwas ganz anderes.
Dieser Name wird in die Geschichte eingehen. So oder so: entweder als siegreicher Feldherr, oder als tapfer geschlagener. Giorgos Papandreou, der Athener Erste unter Ungleichen in einer Regierung der nationalen Verzweiflung, ist mehr Grieche denn je, ist tiefer ins historische Großerbe seiner Nation vorgedrungen als jeder seiner Vorgänger. Nicht die Überwindung der Diktatur in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, auch nicht der – zu seiner Zeit grandios wirkende – Einzug in die Euro-Zone von EU-Europa, keines von beiden hat eine solche Dimension wie das Datum jetzt. Papandreou, der sein Land schon länger im Kriegszustand sieht, wagt nun die große, die letzte Entscheidung: Er fragt sein Volk zu Europa. Und von Ferne grüßt die Schlacht an den Thermopylen.
Was hat das Kerneuropa dieser Tage, was haben die 17 Euro-Staaten, an der Spitze Deutsche und Franzosen, nicht investiert, um diesen Verbund zu erhalten. Sie haben, nach anfänglichem Zögern, gewiss, dann doch alles daran gesetzt, keinen Staat den Spekulanten auszuliefern, auf dass er gleichsam wie von selbst aus der Phalanx herausfällt, entkräftet, siech. Seht her, war schließlich nach hartem Ringen und harten Worten die Losung, ihr bekommt keinen von uns, ihr könnt aufbieten, was ihr wollt. Demokratie und Politik sollten die Oberhand behalten, unbedingt. So viel Griechenland war nie.
Dafür war dem einen oder anderen wohl auch recht, sich schlängelnd entlang des Aristoteles und seiner Worte zur Tugend der Wahrhaftigkeit zu bewegen: Alles, was du sagst, muss wahr sein, du musst aber nicht alles sagen. Oder modern: Du muss es von anderen sagen lassen. Oder so sagen, dass andere es als nicht gesagt betrachten können. Sei’s drum, die Zeit ist zwar nicht darüber hinweg gegangen, nur ist jetzt nicht die Zeit für solche Aufarbeitung. Jetzt ist die Frage, wie viel noch übrig bleibt von dem Einsatz all der anderen Europäer, und ob nicht alles vergebens war.
Und die Antwort ist trotz der jüngsten Berichte: Es war richtig und notwendig. Das Wesen der Politik seit den alten Griechen ist doch, für einen Weg, eine Lösung, eine Idee beim Volk zu werben, Gefolgschaft oder heute Stimmen einzuwerben. Wenn es gelingt, ist ein Bund gelungen oder ein Verbund gesichert. Europa lohnt diesen Kraftaufwand, wirtschaftlich, politisch, jedenfalls aus Sicht der meisten in diesem Land, dem stärksten in Euro-Land. Ob all die Anstrengung aus Sicht der Mehrheit der Griechen sich lohnt; ob sie die Mühe sehen und richtig einschätzen; ob sie sich noch für einen ganzen langen Zeitraum schinden können und wollen – das steht dahin. Das muss Papandreou ihnen erklären oder scheitern.
Er setzt alles ein. Der Schuldenschnitt und das drakonische Sparen kann der Premier in Brüssel vereinbaren, aber nicht gegen, nicht ohne sein Volk durchsetzen. Und das begehrt auf, immer wieder, immer heftiger, so scheint es. Allerdings ist eben auch das Politik: Wenn die Bevölkerung diesen Weg, den er vorschlägt, nicht gehen will, wenn es diese Lösung nicht will, ja sogar die Idee von Europa in seinem Kern ablehnt – dann muss es einen anderen Weg einschlagen. Der würde heraus führen aus der Euro-Zone und, wer weiß, vielleicht sogar heraus aus Europa. Dabei sagt das Wort doch auf Griechisch „die mit der weiten Sicht“.
Die ganz große Vertrauensfrage ist alles, was Giorgos Papandreou bleibt. Mut ist ihm nicht abzusprechen. Es ist nicht unmöglich, dass er siegt, aber es ist nicht wahrscheinlich. Und eine Stele für einen Aufrechten ist auch nur ein Grabstein.
Stephan-Andreas Casdorff