Museen: Gendern lieben lernen – bei den alten Philosophen
Die Welt als Männerdomäne - in den Museen finden wir sie noch völlig ungebrochen. Was heißt das für uns Heutige? Ein Kommentar.
Rientro, Rentrée – das Wort unserer europäischen Nachbarn für das, was bei uns schlicht „Ferienende“ heißt, hat eine gewisse schöne Feierlichkeit. Zu Recht. Die große „Rückkehr“ in den Alltag ist heute der womöglich deutlichste Einschnitt in den Jahreskreis, nicht erst seit dem Niedergang der religiös begründeten Einschnitte und Pausen – Ostern, Weihnachten –, die für immer mehr Berufstätige keine mehr sind oder nur eine sehr kurze freie Zeit bedeuten. Und das, Bemerkung am Rande, nicht nur wenn die Ferien ein Vierteljahr lang gedauert haben, wie das in Italien noch immer der Fall ist und ein durchwachsenes Vergnügen, wenn Eltern alle Hände voll zu tun haben, die Unterbringung des Nachwuchses zu organisieren. La mamma, die die Sprösslinge, wenigstens vom unteren mittleren Bürgertum an aufwärts, einst bis September am Meer parkte und behütete, ist heute schließlich ebenso oft, lange und anstrengend erwerbstätig wie papà.
Frauen haben Körper, Männer haben zu tun
Auch wenn das langsame therapeutische Dümmerwerden auf Zeit in der Sonne immer noch die größte Chance bietet, den Alltag mal auszusperren: Das Hirn schafft es bestenfalls ins Standby, ganz und gar abschalten ist fast unmöglich. Die Nachrichten von Chemnitz, Köthen und deren bayerischem oder Berliner politischem Umland dringen selbst dann über Grenzen an die Strände, wenn sämtliche elektronischen devices der Erholung wegen abgeschaltet sind. Auch wenn der richtig harte Aufschlag in der weniger sonnenverwöhnten deutschen Realität mit besagter Rentrée kommt: Der vom gelegentlichen Bildungshunger erzwungene Besuch in einem Museum oder einer Gemäldegalerie kann bereits einen Vorgeschmack liefern. Die Zeiten sind halt so.
Die Uffizien oder der Louvre erzählen dabei zwar nicht richtig oft von Menschenjagden. Aber sie stoßen einen auf einen anderen Teil der Agenda jener Leute, die nicht ein sich veränderndes Land wollen, sondern ein ganz anderes. Wer lange genug in den großartigen Showrooms der abendländischen Kultur flaniert, dem steht irgendwann ein anderes Wort aus deren Agenda vor Augen: der „Genderwahn“.
Denn die Skulpturen und Gemälde, die wir da sehen, bilden vor allem Männer und Frauen ab, aber natürlich nicht einfach Körper ohne weitere Bedeutung. Sie erzählen und rechtfertigen Geschlechterordnungen, mit denen wir heute eher nichts mehr zu tun haben wollten. Das wollen ja nicht einmal alle die, die so gern von einer angeblich natürlichen Ordnung reden, in der Männer „noch Männer“ und Frauen allein Mütter sind oder in schlechtbezahlten Pflegeberufen stecken.
In einer langen Reihe antiker Philosophenköpfe im wundervollen Archäologischen Nationalmuseum in Neapel gibt es keinen Kopf einer Philosophin. Ein Kind, das das heute sieht, muss denken, Frauen könnten nicht denken. Die Kolossalstatuen tragen die Namen von Helden. Heldinnen gibt es einfach nicht – höchstens einmal eine Göttin. Die Frauenstatuen und -bilder sind, wie die Erläuterungen darunter monoton wiederholen, immer wieder „Porträt einer Unbekannten“. Die Männer haben unendlich viel öfter einen Namen. Den Mädchen rutscht das Kleid kokett von der Schulter, die Männer haben Wichtiges zu tun.
Unser Kulturerbe, der wahre Genderwahn
Genderwahn? Das ist doch, im Lichte dessen, was ein paar tausend Jahre später kultureller Konsens ist, eher das, was sich da besichtigen lässt. Und dennoch als Maß aller Dinge gilt, nicht nur ästhetisch. Ausgesetzt sind diesen Geschlechterkonzepten gerade die, die – womöglich mit beeindruckbaren Kindern – eher mit Studiosus reisen als zum Ballermann.
Um gleich die Einwände zu parieren, die schon in der Rassismusdebatte bemüht wurden (Ja sollen wir jetzt Pippi Langstrumpf zensieren?) oder im Zuge von #metoo (Wie soll ich als Mann denn überhaupt noch mit einer Frau reden?): Nein, das ist kein Aufruf zum Bildersturm. Jeder und jede soll sich weiter an der „Venus mit dem schönen Hintern“ (Heinrich Heine) freuen dürfen. Und hoffentlich sind es ganz viele, die das tun. Aber wir sollten auch nicht mehr so tun, als sei unsere Wirklichkeit, unsere Kultur etwas Unschuldiges, als besetze sie nicht unsere Köpfe, im Guten wie im Bösen.
Na, nach derlei Bildungserlebnissen wieder rein in den Alltag, in dem Schönheit nicht, wie zum Beispiel im wundervollen neapolitanischen Museo Archeologico Nazionale, vier Stunden lang vorkommt, sondern höchstens einmal augenblicksweise. Auf den Schultern die glücklichmachende Schönheit von ein paar tausend Jahren Abendland. Und auch deren Last.
Andrea Dernbach
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