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Großbritannien und EU - schon immer eine unglückliche Beziehung.
© dpa

Kontrapunkt: Euro-Rettung: Besser ohne die Briten

Großbritannien will bei der Euro-Rettung nicht mitspielen. Was zunächst nach einer schlechten Nachricht klingt, ist in Wahrheit eine gute, sagt Carsten Kloth. Denn es gilt Abstand zu gewinnen zur City of London und zum Kern des Krisenkapitalismus.

Die Briten sind raus aus dem Spiel. Am Widerstand von  Premierminister David Cameron war am frühen Freitagmorgen eine Einigung auf Ebene aller 27 EU-Mitgliedstaaten in Sachen Vertragsänderungen gescheitert. Eine Spaltung Europas droht indes nicht: Insgesamt neun EU-Mitglieder wollen sich offenbar dem Reformvertrag der 17 Euro-Länder anschließen. Damit ist Großbritannien isoliert – und das ist endlich mal ein Schritt in die richtige Richtung, denn die Finanzkrise ist eine angelsächsische Erfindung.

Wer heute noch glaubt, dass die Ursache für die andauernde Finanzkrise ausschließlich darauf zurückzuführen ist, dass einige Staaten der Euro-Zone über ihre Verhältnisse gelebt haben, der glaubt auch an den Weihnachtsmann. Keine Frage: Griechen und andere haben zuviel Staatsschulden angehäuft und auf der Einnahmeseite zu lasch agiert, also schlecht gewirtschaftet. Doch letztlich haben sie sich damit auch einer Wirtschaftsweise angepasst, wie sie vor allem in den USA und in Großbritannien praktiziert und propagiert wird.

„Der Kapitalismus ist vermutlich der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultus“, schrieb Walter Benjamin in seinem Fragment über „Kapitalismus als Religion“. Die Schuld wird nicht gesühnt, sondern universell gemacht. Und in der Tat ist der Kapitalismus angelsächsischer Spielart ohne ausgeprägte Verschuldung undenkbar – sowohl im Kleinen als auch im Großen: Die USA haben 15 Billionen Dollar Schulden und damit eine deutlich höhere Schuldenlast im Vergleich zum europäischen Durchschnitt. Die Schuldenlust der amerikanischen Privathaushalte ist legendär und hat die Finanzkrise 2008 ausgelöst.

Die Briten teilen den Kultus: Zwar rangiert die Staatsverschuldung Großbritanniens mit rund 80 Prozent des BIP im europäischen Mittelfeld, doch schon die privaten Haushalte sind mit über 100 Prozent des BIP verschuldet. Dramatisch wird es, wenn man auch die Verschuldung der Unternehmen und vor allem der Banken hinzurechnet. Laut Internationalem Währungsfonds liegt die Verschuldung britischer Unternehmen bei rund 118 Prozent des BIP. Die der Banken liegt bei 547 Prozent! Auf ähnliche Werte kommen in Europa sonst nur die Iren, die ebenfalls einen aufgeblähten Finanzsektor besitzen.

Die City of London: eine tickende Zeitbombe.

Die Briten hocken in der Falle: Wie kaum ein anderes Land sind sie angewiesen auf ihre entfesselte Finanzbrache. Eine nennenswerte Industrie gibt es nicht mehr und die Dienstleistungsbranche schwächelt. Schlechte Wachstumsaussichten kommen hinzu. Gleichzeitig ist die Finanzbranche in der City of London wie eine Bombe, die jederzeit hochgehen kann.

Die anderen Europäer können an dieser Stelle jedoch keine Kompromisse machen. Der Kern der Krise liegt nicht in der ausgeuferten Staatsverschuldung. Dies wird deutlich, wenn man den Zeitraum betrachtet, in dem die europäischen Staatsschulden aus dem Ruder gelaufen sind: er beginnt in vielen Ländern nach 2007/2008, nachdem zahlreiche Banken gerettet wurden.

Der Kern der Krise liegt in der Deregulierung des weltweiten Finanzsektors. Dieser bekam die Fähigkeit, ein weltweites Schuldenwachstum zu finanzieren. Reich dabei wurde jedoch nicht die breite Masse, sondern Kapitalbesitzer – die Hauptnutznießer der anschließenden Bankenrettungen. Die entfesselte Finanzwirtschaft organisiert somit die drastische Umverteilung von unten nach oben, was ebenfalls zum Kern der Krise gehört.

Es darf der Politik nicht länger darum gehen, „Märkte“ beziehungsweise angelsächsische Investoren beruhigen zu wollen. Im Gegenteil: Sie muss sich von der Finanzindustrie emanzipieren und sie muss sie offensiv bekämpfen. Die Mittel dazu sind: Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken, Finanztransaktionssteuer, Regulierung von Private-Equity- und Hedgefonds, Verbot von Geschäften im Schattenbankensystem usw. Eine Eindämmung der Staatsverschuldung ist ebenfalls notwendig, will man sich von der Herrschaft der Finanzoligarchie befreien. Doch darf dies nicht auf eine reine Sparpolitik hinauslaufen, die unweigerlich in die Rezession führt. Eine Schuldenreduzierung muss auch über eine Rückverteilung von oben nach unten stattfinden. Schulden müssen teilweise abgeschrieben werden und dürfen nicht von den Banken auf die Allgemeinheit übertragen werden. Letztlich wird man auch nicht daran vorbeikommen, die Staatenfinanzierung über die Notenbank zu organisieren, möglichst unter Umgehung des Privatsektors.

All dies ist mit Amerikanern und Briten nicht zu machen. Es entspricht nicht ihrem Interesse, denn die Finanzoligarchen agieren von New York und London aus. Und es entspricht nicht ihrem Glauben, dem Glauben an die Unschuld der Schuld und an die Gerechtigkeit der Ungerechtigkeit. Doch für die übrigen Europäer ist es gut, wenn sie etwas Abstand zwischen sich und der Zeitbombe in der City of London bringen, die die Briten partout nicht entschärfen wollen.  

Carsten Kloth

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