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Zerrbilder aus Pappmaché: Im Oktober 2011 stehen Demonstranten mit Merkel- und Sarkozy-Masken vor dem Berliner Kanzleramt.
© dpa

Euro-Krise: Am deutschen Wesen könnte die Währungsunion scheitern

Der geldpolitische Dogmatismus der Merkel-Regierung und ihr Programm zur Schrumpfung der Staatshaushalte zeugen von Ignoranz und Heuchelei. Sie gefährdet damit den Euro - und mehr.

Der Widerspruch könnte größer nicht sein. „Wenn der Euro scheitert, dann scheitert Europa“, warnt Angela Merkel ein ums andere Mal – und das zu Recht. Würde die Währungsunion zerfallen, wären die Folgen von „apokalyptischer Größenordnung“, wie selbst Radoslav Sikorski, Außenminister des Nicht-Eurolandes Polen, diese Woche mahnte. Aber gleichzeitig sind es die deutsche Regierung und die deutschen Notenbanker, die in blinder Selbstgerechtigkeit die Währungsunion geradewegs ins Unglück steuern.

Da sollen „Schuldensünder automatisch bestraft“ und vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt werden, plant die Kanzlerin und ignoriert wesentliche Ursachen der Krise. Da geißelt ihr Azubi im Amt des Wirtschaftsministers, Philipp Rösler, die von führenden Ökonomen in aller Welt geforderte Deckung des Euro-Rettungsfonds EFSF durch die Europäische Zentralbank (EZB) als „Weg in die Inflation“, obwohl er das gar nicht begründen kann. Da erklärt der kürzlich zum Bundesbankpräsidenten avancierte Merkel-Adlatus Jens Weidmann die nötige Ausweitung der EZB-Käufe von Staatsanleihen zum „Rechtsbruch“, bietet aber keine Alternative. Und Industriepräsident Hans-Peter Keitel gibt zum Besten, dass mit Ausnahme der Kanzlerin „einzig die Politik“ Schuld an der Misere trage, während die private Wirtschaft nur deren unschuldiges Opfer sei. So ist die Botschaft der deutschen Europäer immer die gleiche: Wenn nur alle Euro-Staaten dem deutschen Pfad der Tugend mit eisernem Sparwillen folgen und die Geldschöpfung zur Staatsfinanzierung verboten bleibt, dann und nur dann werde die Währungsunion auf Dauer bestehen können.

Doch tatsächlich ist es genau umgekehrt: Wenn die Merkel-Regierung das Programm aus fortgesetzter Schrumpfung der Staatshaushalte und geldpolitischem Dogmatismus europaweit durchsetzt, wird die Währungsunion schon bald zerfallen. Die im Ton moralischer Überlegenheit vorgetragene deutsche Position zeugt in Wahrheit von ökonomischer Ignoranz und Heuchelei.

Das beginnt schon mit der Litanei über den „Schlendrian“ und die Korruption in den Schuldenstaaten. Dabei wird stets unterschlagen, dass gerade die deutsche Industrie über Jahrzehnte hemmungslos bestochen hat, insbesondere in Griechenland, wo mit Siemens, MAN, Daimler und Thyssen/HDW gleich vier deutsche Konzerne Korruptionsgeschichte schrieben. Auch hatten Deutschlands Wirtschaftsgrößen keine Skrupel, Griechenland für zig Milliarden Euro mit Rüstungsgütern zu beliefern, die sich das Land mit dem – in Relation zur Bevölkerung – größten Wehretat aller Nato-Staaten nie leisten konnte. Die Merkel-Regierung war sich nicht einmal zu schade, noch im Krisenjahr 2010 den Verkauf zweier zusätzlicher U-Boote an Griechenland zum Preis von fast einer Milliarde Euro zu befördern, als die Ermittlungen schon begonnen hatten.

Von gleicher analytischer Tiefenschärfe ist die fortwährend wiederholte Klage über die mangelnde „Disziplin“ der „Defizitsünder“. Die vorwiegend deutschen Apologeten dieser plumpen These ignorieren, dass mit Irland und Spanien auch zwei Länder der Krisenhilfe bedürfen, die bis 2007 bei der Führung ihrer Staatshaushalte disziplinierter waren als die Deutschen und sogar Überschüsse erwirtschafteten. Ihr Verhängnis war eine stark negative Leistungsbilanz und die damit einhergehende hohe Verschuldung der privaten Unternehmen und Haushalte. Erst mit dem Platzen der Immobilienblasen schlug diese dann auf die öffentlichen Finanzen durch. Am Aufbau dieser privaten Überschuldung in den späteren Krisenstaaten haben deutsche Geldhäuser allerdings kräftig mitgewirkt – wahrlich kein Grund, nun vom hohen Ross anderen Disziplin zu predigen.

Gleichzeitig verweigern sich Merkel und ihre Strategen blindlings der Forderung, dass die EZB dem Vorbild der Notenbanken in den USA, Japan und Großbritannien folgt und als „Kreditgeber der letzten Instanz“ für die Staaten der Eurozone fungieren soll. Und das, obwohl es mit ihrem Flickwerk in Form des Rettungsfonds EFSF ganz offenkundig nicht gelingt, die dramatische Vertrauenskrise am Anleihemarkt zu bewältigen. Mittels ihres elektronisch geschöpften Geldes könnte die EZB dagegen Staatsanleihen in beliebiger Menge über den EFSF kaufen lassen und somit klarstellen, dass – mit Ausnahme des überschuldeten Griechenland – alle Euroländer ihre Anleihen bedienen werden.

Warum eine EZB-Garantie unverzichtbar ist

Harald Schumann
Harald Schumann
© Mike Wolff

Ein solches Signal ist schon deshalb geboten, weil die Furcht vor einem möglichen Zahlungsausfall für Spanien, Italien und Belgien zusehends zur sich selbst erfüllenden Prognose wird. Wenn diese Staaten sich nur noch zu Zinsen von sieben Prozent und mehr refinanzieren können, werden sie allein dadurch zwangsläufig insolvent.

Die EZB-Garantie ist auch deshalb unverzichtbar, weil die Banken dieser Länder ihrerseits in großem Umfang Anleihen ihrer Heimatstaaten halten. Aber nur wenn diese nicht fortwährend an Wert verlieren, hören ihre Kunden auf, immer mehr Geld abzuziehen. Und nur dann können die Kreditinstitute wieder ausreichend private Investitionen finanzieren. Schon jetzt müssen italienische Unternehmen im Schnitt gut anderthalb Prozent mehr Zins zahlen als ihre deutschen Wettbewerber. Das kann nicht gut gehen. Ohne Investitionen geht gar nichts mehr.

Darum sind sich vom Nobelpreisökonomen Paul Krugman über den Finanzmarktveteranen George Soros bis hin zum deutschen Wirtschaftsweisen Peter Bofinger und dem Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, Fachleute aus allen wirtschaftspolitischen Lagern einig, dass die Eurozone ohne eine EZB-Garantie für Staatsanleihen nicht überleben wird. Und weil Europas Notenbank selbst kein politisches Mandat hat, wäre die Erteilung einer Banklizenz für den Euro-Stabilisierungsfonds EFSF der einfachste Weg, um eine solche Notenbank-Garantie praktisch umzusetzen. Der Stabilisierungsfonds könnte sich bei der EZB Geld leihen und damit Anleihen der Krisenstaaten kaufen. Und er könnte, anders als die Notenbank selbst – kontrolliert von Ministerrat und Parlamenten – dies an die Bedingung knüpfen, dass die Regierungen realistische Pläne zur Sanierung ihrer Haushalte aufstellen und durchführen.

Aber, so wenden die deutschen Dogmatiker ein, das sei ja eine „Monetarisierung der Staatsschuld“ (Weidmann) und eine „Lizenz zum Geld drucken“ (FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle). Ja, das wäre es. Aber genau das tun die privaten Banken schon immer. Sie leihen sich Geld bei der Zentralbank und verleihen es weiter an den Staat, mit einem ordentlichen Zinsaufschlag natürlich. Die erworbenen Anleihen hinterlegen sie wiederum als Sicherheiten bei der Zentralbank, bekommen dafür neues Geld, verleihen dies erneut und so weiter – ein seit je laufendes Subventionsprogramm für das Geldgewerbe zum beiderseitigen Nutzen. Die Banken verdienen Geld, ohne auch nur einen Cent Eigenkapital dafür bereitstellen zu müssen. Dafür bekommen die Staaten kostengünstig Kredit.

Wenn also die Geldschöpfung mit Gewinnen privater Banken einhergeht, dann ist sie kein Problem. Wenn sie aber über ein gemeinschaftliches Institut läuft und die Zinsgewinne der Allgemeinheit nutzen, dann soll sie des Teufels sein. Denn, so lautet das deutsche Mantra, eine politisch gewollte Geldvermehrung führe zwangsläufig in die Inflation. Und die sei schließlich „die größte soziale Ungerechtigkeit“, wie Finanzminister Wolfgang Schäuble warnte.

Komisch nur, dass die gleiche Strategie weder Japan, noch die USA oder Großbritannien in das Inflations-Armageddon geführt hat. Womöglich liegt das daran, dass das frisch geschöpfte Geld lediglich die infolge der Rezession ausbleibenden Steuereinnahmen kompensiert und damit den weiteren Absturz verhindert. Diese Sicherheit ist so viel wert, dass jetzt die britische Regierung neue Kredite billiger bekommt als die deutsche, und das, obwohl das britische Budgetdefizit das Zehnfache des deutschen beträgt.

Ohnehin sind alle Krisenländer in- und außerhalb der Eurozone weit von einer Auslastung ihrer Produktionskapazitäten entfernt. Also könnte die Geldschöpfung allenfalls dann zur Inflation führen, wenn sie über vermehrte Kreditvergabe die Nachfrage so stark anheizen würde, dass plötzlich Hochkonjunktur ausbricht. Davon ist aber weit und breit nichts zu sehen. Und selbst wenn, wäre dann immer noch Zeit genug, die Zinsschraube wieder anzuziehen.

Die Ignoranz setzt sich fort

Die hysterische Warnung vor einer fiktiven Inflation ist auch deshalb verlogen, weil sie von jenen deutschen Geldpolitikern inspiriert ist, die, wie der zurückgetretene EZB-Chefökonom Jürgen Stark und sein Vorgänger Otmar Issing, in den sieben Jahren vor Ausbruch der Finanzkrise tatenlos zusahen, als die Banken die Geldmenge mal eben fast verdoppelten, indem sie die Kreditvergabe dramatisch ausweiteten. Das führte klar sichtbar zur Inflationierung der Preise für Immobilien und andere Vermögenswerte. So erzeugten gerade auch die deutschen Geldhäuser jene Preisblasen, deren Platzen und die daraus folgende Rezession in Spanien, Irland und anderswo überhaupt erst die Staatsschulden explodieren ließ.

Diese Ignoranz gegenüber den wirtschaftlichen Zusammenhängen setzt sich geradlinig fort in den von der Merkel-Regierung forcierten Sparprogrammen unter Ägide der EU-Kommission und der EZB. Indem sie fast ausschließlich die Kürzung der Staatsausgaben betreiben, untergraben sie die Kreditfähigkeit der Staaten immer weiter. Die im deutschen Politzirkus so gerne angeführte Perspektive der sparsamen schwäbischen Hausfrau ist eben ziemlich beschränkt. In einer Volkswirtschaft sind die Ausgaben des einen nun mal stets die Einkommen des anderen. Wenn aber sowohl die privaten Haushalte und Unternehmen als auch der Staat gleichzeitig sparen, dann sinken zwangsläufig die Nachfrage sowie die Wirtschaftsleistung und alle gemeinsam werden ärmer, während die Verschuldung noch ansteigt. Genau das geschieht derzeit in allen Eurostaaten, die sich drakonische Sparprogramme verordnet haben. Und genau deshalb verschlechtert sich laufend ihre Lage – und das Vertrauen der Anleger schwindet erst recht.

Natürlich gilt: Wenn die Verschuldung so groß ist, dass die Zinslast, so wie in Griechenland, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit überfordert, sind neue Kredite keine Lösung. Aber Schulden sind ja keine unabhängige Größe. Vielmehr gehören stets die finanziellen Ansprüche anderer spiegelbildlich dazu. Des einen Schulden sind immer eines anderen Vermögen. Diesen Zusammenhang pflegen die deutschen Reichtumspfleger aber gemeinhin zu verschweigen.

Dabei liegt genau hier der Ausweg. Um die Schuldenberge abzutragen, müssen die ungeheuren Vermögen herangezogen werden, die sich parallel zur öffentlichen Verarmung bei einer kleinen Minderheit angehäuft haben. Allein die rund drei Millionen Europäer, die nach einer Erhebung der Investmentbank Merrill Lynch über ein investierbares Geldvermögen von jeweils mehr als einer Million Dollar verfügen, vereinen mehr als 10 Billionen Dollar auf sich – und damit mehr als das Doppelte aller Staatsschulden der fünf Krisenländer Italien, Spanien, Irland, Portugal und Griechenland zusammen. Dabei sind Immobilien noch nicht einmal eingerechnet. Ein ganz erheblicher Teil davon gehört zudem gerade jenen, die sich wie die griechischen Oligarchen in der Schweiz und anderswo der Besteuerung entziehen. In Deutschland liegen sogar, den Immobilienbesitz eingeschlossen, mehr als 4000 Milliarden Euro bei nur zehn Prozent der Bevölkerung. Das entspricht dem Doppelten der Staatsverschuldung.

Dann scheitert der Euro, dann scheitert Europa

Wenn also der Euro nicht an der Schuldenkrise scheitern soll, müssen die Staatshaushalte auch über die Mehrung der Einnahmen auf Kosten jener saniert werden, deren Verluste eben nicht zur Senkung der Nachfrage führen, oder allenfalls jener nach Finanzanlagen. Das könnten zinslose Zwangsanleihen sein, wie sie der frühere Vizepräsident der Osteuropabank EBRD, Joachim Jahnke, vorgeschlagen hat. Machbar wäre auch nach Art des deutschen Lastenausgleichs der Nachkriegszeit eine jährliche Abgabe von zwei Prozent auf Vermögen von mehr als einer halben Million Euro, die allein der Schuldentilgung dient. Oder die gesamte – öffentliche und private – Überschuldung ließe sich über eine einmalige 30-prozentige europaweite Vermögensabgabe auf einen Schlag auf erträgliches Niveau senken, wie es die renommierte Unternehmensberatung Boston Consulting anhand der Verteilungsdaten kalkuliert hat.

Dabei ist die Begründung der Berater, die jeder linksradikalen Neigung unverdächtig sind, höchst rational: Die 30-prozentige Minderung der Vermögensansprüche entspreche angesichts der wirtschaftlichen Lage lediglich einer realistischen Bewertung der Anlagen, schrieben die Autoren.

Doch gleich, welches Instrument man wählt: Entscheidend ist, dass die Euro-Retter endlich erkennen, wie die Krise der Währungsunion aufs Engste mit der Verteilung von Einkommen und Vermögen verbunden ist und nicht allein mit „Sparen“ aufgehalten werden kann. Wenn es nicht gelingt, erst mit Hilfe der EZB den Kapitalmarkt zu stabilisieren und anschließend die Geldvermögen zur Schuldentilgung heranzuziehen, wird es kommen, wie die Kanzlerin gewarnt hat: Dann scheitert der Euro, und dann scheitert Europa.

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