Griechenland-Krise: Euro-Referendum: Wer hat Angst vor seinem Volk?
Die Merkels und Sarkozys haben sich daran gewöhnt, die Sache im kleinen Kreis auszumachen. Die Ablehnung der Volksabstimmung in Griechenland wirft ein trübes Licht auf das Denken in unseren Demokratien.
Schock, Hektik, Entsetzen. Auf einmal finden die politischen Führer Europas sich im Zustand seltener Gewissheit. Wenn das Volk entscheidet, geht es sicher schief. Ziemlich verwegen, wenn man selbst seit Jahren mit der Stange im Nebel hantiert und nach eigenem Bekenntnis nicht sicher ist, ob und wie weit die Lösungen des jeweils letzten Gipfels tragen. Und nicht besser weiß als Giorgos Papandreou, wie es mit der griechischen Zustimmung überhaupt aussieht, nach einer Athener Parlamentsentscheidung oder Neuwahlen.
Oder einer Volksabstimmung. Deren reflexhafte Ablehnung wirft ein trübes Licht auf das Denken in unseren Demokratien. Die Verschiebung der Kräfteverhältnisse zwischen Politik und Finanzwirtschaft, die fast verzweifelte Suche nach Arrangements zwischen beiden, um einer „Kernschmelze“ wie 2008 zu entgehen, hat tiefe Spuren hinterlassen. Im Kräftedreieck zwischen Brüssel, nationalen Regierungen und den unberechenbaren „Märkten“ wird die Entfernung zu denen immer größer, die Politik mit Macht ausstatten. Und immer geringer zu denen, die seit Jahren die Gestaltungskraft legitimierter Politik aushöhlen.
Die Merkels und Sarkozys haben sich dran gewöhnt, die Sache im kleinen Kreis auszumachen. Im praktischen Alltag der Gipfelpolitiker sind die Apparate und Argumente von Bankenverbänden oder Ratingagenturen im wörtlichen Sinne näher als die der arbeitslosen jungen Spanier oder die Not der Griechen. Auf Augenhöhe, gar als Herr des Verfahrens darf sich da fühlen, wer Tempo und Ton der Finanzakteure kontert und übertrifft.
Aber so kann das Primat der Politik nicht zurückgewonnen werden. Denn der Preis wird in demokratischen Werten gezahlt. Dass Demokratie und Parlamente zu langsam sind, gilt heute als Allgemeingut in den Zirkeln dieser Oberschichten. Der Bundestag musste um seine Rechte im Verfahren kämpfen. Beiläufig wurde den Abgeordneten aus den Regierungsparteien abgesprochen, aus bestem Gewissen nicht wie ihre Fraktionen zu stimmen; es wurde zum Europafeind gestempelt, wer die Rettungspakete für den falschen Weg gehalten hat. Verständlich, wenn unter dem immensen Druck von Zeit und Ratings die Nerven blank liegen. Aber fürchterlich, wenn ein Kanzleramtsminister sich so vergisst wie Ronald Pofalla.
Diese kleinen und großen Verfehlungen im hektischen Verfahren transportieren die Botschaft: Ihr kleinen Lichter wisst doch gar nicht, wie hart wir kämpfen, hinter den Kulissen. Sie wird von Volksvertretern vernommen, erst recht aber vom Volk. Da ist es ein offenes Geheimnis der Krise um Schulden und zu viel schnelles Geld, dass niemand sie beherrscht. Man zuckt die Schultern über eine Realpolitik zwischen schlechten und sehr schlechten Alternativen.
Auf einen Schlag kann man nicht aussteigen aus Verhältnissen, die Politiker durch zwei Jahrzehnte Deregulierung mitzuverantworten haben. So gesehen sind Merkels tastende Schritte verständlich. Aber unverzeihlich ist es, wenn Politiker darüber vergessen, wem sie verantwortlich sind. Die Reaktion auf Papandreous Ankündigung hat ein Denken enthüllt, das die Mechanismen der Finanzwelt höher setzt als die Ideale der Volksherrschaft. Papandreou will seine Griechen vom Rettungsplan überzeugen, ganz im Sinne der stets unvollkommenen Demokratie. Für die gilt doch im Kleinen wie im Ganzen, dass man das Mögliche nicht erreicht, wenn nicht mehr nach dem Unmöglichen gegriffen wird.
Tissy Bruns