Kontrapunkt: Ein Wort – dies Wort!
Warum Pofallas Entgleisung nicht zu seinem Fall geführt hat und Entschuldigungen eine Sache bürgerlicher Zweckmäßigkeit sind.
Das Wort, das fürchterliche Wort war noch gar nicht ruchbar geworden, als CDU-Fraktionvize Wolfgang Bosbach am letzten Freitag in der„heute-show“ berichtet hat, wie schwer er für sein Nein zur Ausweitung des Euro-Rettungsschirms bei den eigenen Leuten unter Druck geraten ist. Die menschliche Enttäuschung war groß; er deutete an, vielleicht nicht wieder anzutreten, bei der nächsten Bundestagswahl. Bosbach erzählte das heiter und amüsant; selbstironisch auch gegenüber seiner bekannten Neigung zu Kameras und Mikrofonen; er erzählte es, kurzum, wie es elastische Rheinländer können.
Als das Wort dann am letzten Sonntag in den Zeitungen stand, konnte man sich den Clash of cultures vorstellen, der Tage zuvor zwischen Bosbach und Ronald Pofalla, Merkels Kanzleramtsminister, stattgefunden hat. Subversiv-rheinische Geschmeidigkeit gegenrobustes Politikmanagement. Klar war aber auch, dass beide Kontrahenten schon vor der Veröffentlichung von Pofallas Verbalentgleisung („Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen“) wussten, wer hier Asche auf sein Haupt schütten musste. Pofalla nämlich, der raubeinige Garant für das Funktionieren einer bürgerlichen Koalition. Er soll sich, was glaubhaft ist, schon vor Veröffentlichung des Wortes entschuldigt haben und hat das öffentlich im denkbar größten Forum der Republik wiederholt, nämlich in „Bild“.
An schlechte Manieren der schwarz-gelben Regierung („Gurkentruppe“, Plagiate etc.) hat sich das Publikum zwar gewöhnt. Der Verrat liberal-konservativer Werte an den Zeitgeist des schnellen Geldverdienens macht eben auch vor Umgangsformen und Leistungsprinzip nicht halt.
Insofern steckt in der Causa Pofalla eine gewisse Erleichterung. Denn in der Konfrontation von Bosbach und Pofalla hat eine bürgerliche Geschmeidigkeit gesiegt, die man den schwarz-gelben Akteuren gar nicht mehr zugetraut hätte. Sie ist nicht unbedingt frei von Heuchelei, aber Heuchelei ist ja auch die Verneigung des Lasters vor der Tugend. Man weiß doch noch, was nicht geht, obwohl es im wirklichen Leben manchmal vorkommt.
Die bürgerliche Doppelmoral, die in einer Entschuldigung stecken kann wie in deren Verweigerung, ist vor 110 Jahren unübertrefflich beschrieben worden. Tony Buddenbrook reist fluchtartig nach Lübeck. Denn in München hat nächtliche Balgerei im Treppenhaus stattgefunden, „ein unerlaubter und unsittlicher Ringkampf zwischen der Köchin Babette und Herrn Permaneder“. Letzterer ist Tonys Gatte. Vor allem „ein Wort – dies Wort“ kann Tony nicht vergessen und vergeben, als ihr Bruder Thomas von ihr die Rückkehr nach München verlangt, weil er die Schande einer zweiten Ehescheidung für das Haus Buddenbrook fürchtet. Sie solle die Dinge doch „etwas weniger entrüstet und ein wenig mehr vom politischen Standpunkt“ betrachten...
„Versteh mich, Tony,“ sagt Thomas.„Dein Mann hat sich eine Blöße gegeben, kurz seine Würde ist nicht mehr unantastbar, eine gewisse Überlegenheit ist jetzt entschieden auf deiner Seite, und gesetzt, dass du sie geschickt zunutzen verstehst, so ist dein Glück gewiss.“ Doch Tony erklärt das „Wort“, dass so fürchterlich ist, dass sie es in ihrem vornehmen Elternhaus nicht einmal aussprechen kann, für unverzeihlich. Ist nur Schande, was unter die Leute kommt oder ist nicht viel schlimmer der heimliche Skandal, der die Selbstachtung frisst, trumpft sie gegen den Bruder auf.
Doch auch Tony heuchelt, wie Thomas erkennt. Sie ist in München nicht heimisch geworden und will ins vertraute Lübeck zurück. „Sei aufrichtig“ verlangt Thomas resigniert. Tony bleibt in Lübeck. Das Wort, jenes Wort wird später natürlich doch bekannt, auf „niemals aufgeklärte Weise“, wie Thomas Mann schreibt. „Geh zum Deifi, Saulud'r dreckats“, hat der angesäuselte Herr Permaneder gesagt. Tony hat den Weg zur Entschuldigung verweigert, weil sie nicht zurückwollte. Der pragmatische Rheinländer Bosbach hat ihn gesucht. „Eine gewisse Überlegenheit“ ist jetzt entschieden auf seiner Seite, denn er hat die „Sache ein wenig mehr vom politischen Standpunkt“ betrachtet.
Man wird sehen, ob er in den Bundestag zurückkehrt und wie vorübergehend die gewisse Unterlegenheit ist, die Herr Pofalla jetzt aushalten muss.
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