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Ein irakischer Kurde begutachtet ein Gewehr auf dem Waffenmarkt von Arbil, der Hauptstadt der autonomen kurdischen Region im Norden des Landes.
© AFP

Waffenlieferung an Irak: Es ist Zeit für eine Entscheidung

Die Bundesregierung hat in der Frage, ob sie den Kurden im Irak Waffen liefern soll oder nicht, letztlich nur die Wahl zwischen zwei Übeln. Nach einer Woche der Grundsatzdebatten ist jetzt die Zeit zum Handeln gekommen. Ein Kommentar.

Manchmal sind sieben Tage eine sehr lange Zeit. Und manchmal ziehen sie sich lange genug hin, um Gewissheiten ins Wanken zu bringen, ja manchmal auch lange genug, um diese ganz über Bord zu werfen. Die Bundesregierung, aber auch jeder Bundesbürger, könnte am Ende der Woche an diesem Punkt angekommen sein.

Es war eine Woche, in der eine Schreckensnachricht die andere jagte. Tag für Tag trafen Berichte von Massakern, Entführungen, Vergewaltigungen aus dem Nordirak ein. Immer drängender schallt der verzweifelte Hilferuf vom Berg Sindschar, wo es den eingeschlossenen Flüchtlingen, darunter viele Frauen und Kinder, am Nötigsten, an Wasser und Nahrung mangelt. Immer fordernder rufen die kurdischen Kämpfer nach militärischer Unterstützung, damit sich im Irak überhaupt noch jemand dem Vormarsch der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) in den Weg zu stellen vermag.

Selbst wer die martialischen Bilder nicht sehen will, die die IS-Milizen über das Internet verbreiten, kann dem Grauen kaum entgehen. Und so stellt sich am Ende dieser Woche mal wieder die Frage: Was kann die Welt, was muss Deutschland tun, wenn von einem Völkermord die Rede ist, wenn Hunderttausende von Menschen akut von mordenden Terrorbanden bedroht sind, wenn ein ganzes Land vor dem Zerfall steht? Reicht es da wirklich aus, finanzielle und humanitäre Hilfe anzubieten?

Die vorsichtige Stimme warnt vor den Konsequenzen, wenn man Waffen in ein Krisengebiet liefert – an Kräfte, die vor gar nicht langer Zeit noch als, freundlich formuliert, wenig vertrauenswürdig galten. Zur moralischen Unterstützung kann man sich auf die Selbstbeschränkung deutscher Politik berufen, die Waffenlieferungen in Krisengebiete doch eigentlich untersagt. Oder man kann auf die bewährte Arbeitsteilung verweisen, die moralisch heikle Aufgaben lieber zum Beispiel den Amerikanern überlässt. Die sind ja nach Meinung nicht weniger mitschuld an der katastrophalen Entwicklung in der Region.

Morde vor den Augen der Welt

Aber nach dieser Woche wirken solche Argumente, so richtig sie grundsätzlich und auch auf lange Sicht sein mögen, seltsam hohl. Das Morden passiert, in jeder Sekunde, in der geredet, abgewogen, argumentiert wird. Und es passiert nicht im Geheimen, es passiert vor den Augen der Welt. Keiner kann sich dem entziehen – noch nicht einmal der Papst. Oder warum hat sein Sondergesandter für die Region, Kardinal Fernando Filoni, vor wenigen Tagen für militärische Unterstützung der politischen Führung in der Kurdenregion plädiert – weil dieser die Mittel fehlten, „um ihr Land, ihr Volk zu verteidigen“? Und selbst die unerschütterliche Pazifistin Margot Käßmann hat zur Kenntnis genommen, dass die Politik wohl nicht ihrer Linie folgen wird – auch wenn sie selbst Waffenlieferungen weiter ablehnt. Es ist ihr Recht, so zu denken, es ist eine theoretische Argumentation, die keine konkreten Folgen hat außer vielleicht für Käßmanns Gewissen.

Bundesregierung muss Klarheit schaffen

So leicht hat es die Politik nicht. Sie muss Entscheidungen treffen, für die sie sich rechtfertigen muss, Entscheidungen, die falsch sein können. Sie trägt die Verantwortung, auch wenn sie nicht handelt. Und so muss die Bundesregierung bald sagen, ob Deutschland an die Kurden nun Waffen liefert, oder ob das andere Nationen erledigen sollen. Joschka Fischer, der als Außenminister einst selbst angesichts des Massakers von Srebrenica seine Gewissheiten über Bord geschmissen hat, mahnt zur Eile. Er sieht einen „politischen Ausnahmezustand“, der manche Regeln außer Kraft setzt.

Eine perfekte Lösung gibt es in einem solchen Konflikt nicht, auch kein lupenreines Schwarz und Weiß. Am Ende folgt die Entscheidung wohl schlicht auf die Abwägung, was das kleinere Übel ist. Das ist keine schöne Erkenntnis, aber eine unumgängliche. Nach einer Woche, in der immer mehr Stimmen in Politik und Gesellschaft Waffenlieferungen grundsätzlich nicht mehr ausschließen wollten, sieht es danach aus, als ob die Argumente ausgetauscht sind. Die Zeit zum Handeln ist gekommen.

Juliane Schäuble

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