Philipp Amthor über die Kurssuche der CDU: „Es gibt auch an den politischen Rändern legitime Positionen“
Ihren Status als Volkspartei muss sich auch die CDU immer wieder neu erkämpfen. Dabei sollte sie nicht nur die politische Mitte vertreten. Ein Gastbeitrag.
Die CDU hat unsere Bundesrepublik seit ihrer Gründung als bürgerlich-konservative Volkspartei geprägt. Das muss auch ihr Anspruch für die Zukunft sein: Volkspartei bleiben. Um dies zu erreichen, muss die CDU inhaltlich und personell vor allem auf zwei Dimensionen setzen: Breite und Tiefe.
Eine Volkspartei braucht Breite – in der Struktur ihrer Mitglieder, in ihrer Wählerschaft und in ihren Themen. Dies hatte die CDU über Jahrzehnte zu bieten und dies hat sie im Grunde auch heute noch. Diese Breite ist für die Zukunft allerdings niemals unveränderlich garantiert, sondern sie muss immer wieder neu erkämpft werden.
Angesichts eines immer stärker fragmentierten Parteiensystems und einer immer stärker individualisierten Gesellschaft erscheint das dieser Tage schwieriger denn je. Zur Lösung dieses Dilemmas wird regelmäßig – gelegentlich schon nahezu inflationär und auch ein wenig floskelhaft – auf ein wohlklingendes politisches Terrain verwiesen: „die Mitte“. Dies ist einerseits berechtigt und richtig, kann sich bei Lichte betrachtet aber andererseits auch als ein falscher Freund erweisen.
Es ist zweifelsohne richtig, dass die CDU als Volkspartei niemals nach einer Rolle als bloßer Sachwalter einer bestimmten Klientel streben darf, sondern immer das Selbstverständnis haben muss, die gesamte Gesellschaft zu vertreten. Dafür ist es folgerichtig die Gesellschaft nicht von ihren Rändern, sondern aus ihrer Mitte zu denken.
In der Mitte werden Wahlen gewonnen
In dieser Mitte stehen nicht diejenigen, die am lautesten schreien und am egoistischsten auf Individualität und Einzelinteressen setzen, sondern dort stehen vor allem diejenigen, die das Fundament unserer Gesellschaft bilden und in den polarisierten Diskussionen unserer Zeit allzu oft vernachlässigt werden: Bürger, die als Unternehmer, Angestellte und Beamte täglich fleißig für unser Land arbeiten.
Bürger, die als Mütter und Väter mit Herzblut für ihre Familien sorgen. Bürger, die sich im Ehrenamt für ihre Heimat engagieren. Kurzum: Bürger, die mit beiden Beinen im Leben stehen und die sich weniger für politische Grabenkämpfe oder für Ideologie interessieren, sondern vor allem für eine handfeste Politik, die unser Land voranbringt.
Diese Mitte als Bezugspunkt entspricht einem konsequenten christdemokratischen und konservativen Selbstverständnis, das den Menschen niemals als ideologiekonformes und verantwortungsfreies Individuum in ein luftleeres Ideenlaboratorium hineindenkt, sondern immer von einem Menschen ausgeht, der mit einer konkreten individuellen Realität in eine schon bestehende, gewachsene und von gegenseitiger Verantwortung getragene Ordnung hineingeboren wird. In der Mitte dieses Verständnisses und nicht an den Rändern werden Wahlen gewonnen. Diese Mitte und nicht die Ränder müssen immer zentrales Terrain der CDU als Volkspartei sein.
Keine Scheu vor Wählern rechts der Mitte
So sehr die Mitte im oben skizzierten Sinne das richtige und zentrale Terrain der CDU als Volkspartei ist, so sehr kann die Mitte in einem falschen verstandenen Sinne aber auch zu einer Fehlorientierung führen, die eine Volkspartei die notwendige Breite verlieren lässt. Die Mitte kann nämlich schon begriffsnotwendig nur einen Teilbereich des gesamten politischen Spektrums und eben nicht die ganze politische Bandbreite abbilden.
Wenngleich sich die Mehrzahl der Bürger wohl durchaus in der (individuell gefühlten) politischen Mitte verorten mag – was dem Begriff ein starkes marketingtechnisches Gewicht verleiht –, sollten derlei Erwägungen keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass es auch legitime politische Positionen rechts und links der vermeintlichen Mitte bis zu den politischen Rändern gibt. Man denke nur an unterschiedliche Vorstellungen von Staat, Familie, Wirtschaft oder innerer Sicherheit.
Insbesondere die CDU war jahrelang auch dadurch erfolgreich, dass sie zwar immer klar den Blick auf die gesellschaftliche Mitte gerichtet, aber gleichzeitig auch zahlreiche Wähler vor allem rechts der Mitte in ihr Volksparteikonzept integriert hat. Die Notwendigkeit dieses Repräsentationsanspruches wurde in den letzten Jahren – vor allem durch unberechtigte Verunglimpfungen des Konservativen und unzulässige Vermengungen mit dem Extremismus, die der vermeintlich linke Zeitgeist forcierte – allerdings immer wieder infrage gestellt.
Dabei sollte jedoch jedem bewusst sein: Wer Repräsentationsansprüche jenseits der politischen Mitte aufgibt, nimmt billigend eine Repräsentationslücke in Kauf, die anderen politischen Kräften des Feld bereitet. Pointiert: Eine zu eng gefasste Selbstbeschränkung der Volksparteien auf die Mitte mitsamt einer Verengung von Meinungskorridoren stärkt die politischen Ränder und lässt Volksparteien an Breite verlieren. Deshalb ist die Mitte ein ambivalenter Freund von Volksparteien: Einerseits ist sie existenziell richtiger Freund als Bezugs- und Ausgangspunkt, aber andererseits kann sie auch zum falschen Freund werden, wenn sie zu Repräsentationslücken und einem Verlust an Breite führt.
Volkspartei in der Tiefe: Programmatik durch Diskurs
Volksparteien sollten nicht nur den Anspruch haben, das Volk in der Breite zu vertreten und Wahlen zu gewinnen. Sie sollten vor allem auch einen inhaltlichen Gestaltungsanspruch für unseren Staat haben, ein Gestaltungsanspruch mit Tiefe. In der CDU ist dieser Anspruch seit ihrer Gründung gleich dreifach verwurzelt: in der wertkonservativen, der wirtschaftsliberalen und der christlich-sozialen Wurzel. In jüngster Zeit gibt es zwischen diesen Strömungen und ihren Vertretern immer wieder Diskussionen über den richtigen Kurs: Braucht die CDU einen Rechtsruck? Wer gewinnt die Deutungshoheit? Wer ist über- und wer ist unterrepräsentiert?
Fragen, die allzu oft einen zentralen Punkt vernachlässigen: Eine Volkspartei kann nur vom Diskurs und nie von Alleinvertretungsansprüchen leben. So gibt es auch für die CDU kaum die eine Wahrheit, sondern zumeist nur die Wahrheit des Diskurses.
Parteipolitik ist Teamwork
Die CDU hat in ihrer Geschichte schon häufig eine beachtliche programmatische Spannbreite gezeigt, etwa in den 90er Jahren von den sozialen Seelen Heiner Geißler und Norbert Blüm bis hin zu den Law-and-Order-Männern Alfred Dregger und Manfred Kanther. Jenseits aller politischen Besonderheiten jener Zeit und ihrer Politiker verinnerlichten die Flügelprotagonisten damals wohl vor allem eine Erkenntnis: Man braucht einander, um eine Volkspartei in ihrer Breite abbilden zu können. Ein Alfred Dregger wäre wohl nicht im Traum darauf gekommen, von Norbert Blühm einen Rechtsruck zu erwarten, und ein Heiner Geißler hätte wohl auch seinerseits nicht an einen Linksruck von Manfred Kanther appelliert.
So halte ich es auch heute: Ich erwarte keinen Rechtsruck von denjenigen, die das Hohelied des Konservativismus nicht in meinen Tönen anstimmen, aber ich will auch selbst nicht zwangsweise von jemandem in eine Richtung gerückt werden, die als opportuner gilt, aber von der ich nicht überzeugt bin. Stattdessen sollten wir es halten wie in einer guten Fußballmannschaft: Jeder sollte auf der Position spielen, auf der er es am besten kann – ich wäre kein guter „Linksverteidiger“. Dabei sollten wir uns aber gelegentlich auch mal Bälle zupassen und uns jederzeit einig sein, dass der Gegner auf der anderen Seite des Spielfeldes steht.
Politik mit starken Grundsätzen
Kurzum: Trotz teilweise unterschiedlichster Meinungen in der Partei brauchen wir einerseits Gelassenheit und Respekt im Umgang miteinander und andererseits Professionalität im Diskurs. Eine großartige Chance dafür bietet der von Annegret Kramp-Karrenbauer angestoßene Grundsatzprogrammprozess. Dieser muss – um im Bild zu bleiben – auf neuestem Stand klären, welcher Mannschaftsgeist das Team zusammenhält.
Tragende Säulen sind für mich persönlich dabei vor allem das Bekenntnis zu einem starken und wehrhaften Rechtsstaat, der seine Bevölkerung schützt und auf einem gesunden Patriotismus fußt, zu einer sozialen Marktwirtschaft, die Leistung belohnt und weiß, das jeder Euro, der verteilt werden soll, vorher zunächst erarbeitet werden muss, und zu einem Europa als verbindender Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft, die in Zeiten zunehmender Egoismen ein klares Bekenntnis zu einer multilateralen Welt ist, in der wir gemeinsam immer stärker sind als allein. Diese Grundsätze sind noch nicht zu Ende erzählt. Sie brauchen alle Wurzeln und Facetten der CDU für eine gute Zukunft. Sie brauchen Breite und Tiefe.
Philipp Amthor
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