Flüchtlinge: Ein Militäreinsatz gegen Schlepper wäre abenteuerlich
Statt einen Militäreinsatz zu planen, für den es aller Voraussicht nach kein Mandat geben wird, muss der Westen seine Syrien- und Irakpolitik überdenken. Ein Kommentar.
Schlepper und Schleuser sind Verbrecher? Kriminelle, die an der libyschen Küste für viel Geld Menschen in Not auf marode Schiffe bringen und auf offener See ihrem Schicksal überlassen? Mag sein. Man kann Schlepper und Schleuser auch anders sehen. Rupert Neudeck, der 1979 Tausenden von Vietnamesen auf dem Schiff „Cap Anamur“ die Flucht ermöglichte, tut das. Vor wenigen Tagen sagte er, in der NS-Zeit hätten sich wohl viele Menschen gewünscht, dass es an der Nord- und Ostseeküste Schlepper gäbe, die die von den Nazis verfolgte Juden außer Landes brächten. Es kommt eben auf den Standpunkt an.
Die EU muss legale Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge schaffen
Dass die Außen- und Verteidigungsminister der Europäischen Union jetzt überlegen, wie man durch koordinierte Militäreinsätze den Schleppern das Handwerk legen könnte, ist richtig. Die EU kann nicht alle Verfolgten und Hungerleidenden Afrikas und des durch Bürgerkriege erschütterten arabischen Raumes aufnehmen. Aber sie darf auch nicht zusehen, wie Tausende von Menschen im Mittelmeer ertrinken, weil marode Fluchtschiffe unter ihnen sinken. Solange die Europäische Union nicht klar definiert, wie eine legale Einreise von Asylsuchenden gestaltet werden kann, wird es illegal Einwandernde geben. Solange Menschen in Not keine Chance haben, in europäischen Botschaften in Marokko, Tunesien, Algerien, Ägypten, um nur einige Beispiele zu nennen, ein entsprechendes Visum zu beantragen, wird niemand den Schleppern ihr Handwerk legen können. Das sind keine mitfühlenden Menschen, die anderen in Not helfen wollen und sich für die dabei entstehenden Kosten bezahlen lassen – nein, es sind Verbrecher, ohne Frage.
Dass Marineschiffe abgefangene Schlepperboote zerstören, ist richtig
Dass deutsche Marineschiffe die Schlepperboote zerstören, sobald die Flüchtlinge in Sicherheit sind, ist gut. Die Vorstellung aber, möglicherweise zur Flucht taugende Kähne bereits am libyschen Ufer zu zerstören, ist abenteuerlich, und das aus vielen Gründen. Zum einen bedarf es dazu eines Mandats des UN-Sicherheitsrats. Ob Russland dies, durch Enthaltung, toleriert, ist fraglich. Moskau hat dem Westen einmal, im März 2011, in einer ähnlichen Situation, freie Hand gegeben. Damals ging es um die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen, um Attacken von Gaddafis Luftwaffe gegen die eigenen Bürger zu unterbinden. Am Ende wurde ein „Regime change“ daraus, ein Sturz Gaddafis. Genau dazu aber wollte Russland nicht „Ja“ gesagt haben.
Für einen Einsatz an Libyens Küste aber gäbe es kein Mandat
Die EU, oder die Nato, bräuchte zudem die Zustimmung der international anerkannten, wenn auch weitgehend machtlosen, offiziellen Regierung Libyens zu einem militärischen Vorgehen innerhalb libyscher Hoheitsgewässer. Kaum vorstellbar, dass ein solcher Freibrief für den Westen die Regierung in Tobruk nicht in der arabischen Welt weiter schwächen würde. Es bleibt dabei: Wer die Fluchtbewegung aus Afrika oder Syrien und dem Irak stoppen will, muss auf eine Änderung der Zustände dort hinwirken. In Afrika kann das durch entschlossene, friedliche Wirtschafts- und Entwicklungshilfe hin zu Rechtsstaatlichkeit geschehen. Vor allem in Syrien, aber auch im Irak muss sich der Westen entscheiden, wen er unterstützt und wen er fallen lässt. Ohne die westliche Ambivalenz wäre Assad in Damaskus nicht mehr an der Macht.