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Steuern in Deutschland: Die unsoziale Steuerpolitik der großen Koalition

Die Steuerschätzung zeigt: Der Staat nimmt mehr ein. Aber die Einkommen stagnieren: Die Ungerechtigkeiten im Steuersystem gehen über das Problem der kalten Progression hinaus. Im Verhältnis zum Kapital wird Arbeit viel zu hoch besteuert.

Bevor Wolfgang Schäuble in die Politik ging, war er Beamter in der Steuerverwaltung in Freiburg. Wenn man es böse mit ihm meinte, könnte man sagen: Dieser Rolle ist er auch in der Politik nie so richtig losgeworden. Ambitionierte Rechenmanöver jedenfalls wird man von ihm nicht erwarten können. Eher hat man den Eindruck, dass Schäuble in seinem Büro sitzt und mit ruhiger Hand darauf wartet, wie ihn die zuverlässig steigenden Einnahmen zum ersten Bundesfinanzminister seit 1969 machen werden, der sich wie eine schwäbische Hausfrau fühlen darf. Weil keine neuen Schulden mehr angehäuft werden.

Schäuble nutzt seine Gestaltungsspielräume nicht

Aus Sicht der Politik ist Schäuble eine gute Besetzung. Er ist ein Meister darin, Ansprüche abzuwehren – was zuletzt die FDP erfahren musste. Eine gute Finanzpolitik aber besteht nicht nur darin, das Geld zusammenzuhalten. Ein Finanzminister hat auch enorme Gestaltungsmöglichkeiten – indem er zum Beispiel dafür sorgt, dass wirtschaftliche Kräfte freigesetzt oder Ungerechtigkeiten gemildert werden. Man muss sich nicht gleich den übereifrigen Physiker Oskar Lafontaine zurückwünschen, um zu sehen, dass der Jurist Schäuble in dieser Hinsicht für Normalverdiener wenig tut.

Dabei gerät die Regierung zunehmend in Erklärungsnot. Selbst für die in Steuerfragen langmütigen Deutschen ist es immer weniger plausibel, dass der Staat von einem Einnahmerekord zum anderen eilt, während das eigene Arbeitseinkommen bestenfalls stagniert. Die jetzt diskutierte „kalte Progression“, die umschreibt, dass der Staat bei steigenden Löhnen überproportional viel abzieht, ist nur ein Teil des Problems. Noch größer sind die Unwuchten, die an anderer Stelle im Steuersystem entstanden sind.

Verantwortlich dafür sind vor allem Schäubles Vorgänger Hans Eichel und Peer Steinbrück. Paradoxerweise waren es zwei Finanzminister von der SPD, die die größten Steuersenkungen für Spitzenverdiener in Deutschland durchsetzten. Unter ihrer Führung wurde die Mehrwertsteuer erhöht, die die unsozialste aller Steuern ist, weil sie Arbeitslose, Rentner und Millionäre mit dem gleichen Satz belastet. Eine Folge der Eichel-/Steinbrück- Politik ist es auch, dass die Körperschaftsteuer, die Unternehmen bezahlen, nur noch drei Prozent zum Steueraufkommen beiträgt. Aus Angst vor einer Abwanderung von Betrieben ins Ausland war ihr Satz einst radikal gesenkt worden.

Die Unwuchten sind auch Folgen einer SPD-Finanzpolitik

Ein SPD-Chef wie Sigmar Gabriel müsste alle diese Gerechtigkeitsprobleme auf dem Zettel haben. Aus dem vermurksten Wahlkampf hat er aber offenbar den Schluss gezogen, dass Steuererhöhungen per se Teufelszeug sind. Das stimmt genauso wenig wie die Aussage, dass Steuersenkungen zwingend falsch sind, weil sie einmal von einem FDP- Chef gefordert wurden. Entscheidend ist vielmehr, wie die Last verteilt wird. Zum Beispiel könnte man den Steuertarif so verändern, dass der Spitzensteuersatz wieder etwas angehoben wird, dafür aber erst bei höheren Einkommen greift. Oder man könnte bei der Erbschaftssteuer ansetzen, deren Aufkommen in Deutschland so niedrig ist wie in kaum einem anderen Industrieland.

Gabriel und Schäuble verschließen die Augen vor dem Problem, dass auch in Deutschland der Abstand zwischen denen, die Gewinne aus Kapital verbuchen, und jenen, die nur Erträge aus ihrer Arbeit erzielen, größer wird. Am Ende ist das nicht nur eine Gerechtigkeitsfrage. Es geht auch um den wirtschaftlichen Anreiz in einem Land, das auf den Wert von Arbeit große Stücke hält.

Fabian Leber

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