Tourismus in Zeiten des Terrors: Die Strände werden kürzer
Der Urlaub verliert seine Unschuld: Nach der Ausweitung der Bikinizone geht es in die umgekehrte Richtung. Die Welt wird wieder kleiner. Ein Kommentar
Unter einem windgezausten Sonnenschirm liegt ein Buch aufgeschlagen neben Strandlatschen. Es ist blutfleckig. Und die bunten Handtücher auf den weißen Strandliegen dienen diesmal nicht dem angenehmeren Sonnenbaden. Sie bedecken die toten Körper von Urlaubern, die mitten am Strand von einem Terroristen erschossen wurden, beim Herumliegen, einer der harmlosesten Tätigkeiten, denen Menschen nachgehen können.
Das waren die Bilder aus dem tunesischen Ort Sousse, in dem am 26. Juni ein Attentäter fast 80 Menschen aus dem Leben gerissen oder verletzt hat und damit Schmerz, Kummer und Verzweiflung in viele Familien brachte. Es sind Bilder, die sich nicht so schnell aus dem Gedächtnis löschen lassen.
Strandliege, Sonnenschirm, das hellblaue Meer dahinter. Das sind bisher die gängigen Symbolbilder für Urlaub: für die schönste Zeit des Jahres, für Abschalten vom Alltag, für zwei sorgenfreie Wochen irgendwo gern weit weg von zu Hause. Dass das Abschalten meistens eine Illusion blieb, weiß wohl jeder, der je in einem Urlaub war. Aber dass die Sehnsucht danach in einem Kugelhagel enden könnte?
Das Mittelmeer hat seinen Synonymgehalt „Urlaub“ verloren
Der Kugelhagel hat nicht nur aus Versehen die Touristen in Badehose erwischt. Sie sind nicht zufälliger Zaungast einer Angelegenheit gewesen, von der sie hätten behaupten können, die gehe sie nichts an. Sie waren diesmal explizit das Ziel. Damit gehören seit dem 26. Juni Strandliegen, Sonnenschirme und das hellblaue Meer mit zu den Symbolbildern für den weltweiten islamistischen Terrorismus. Was bedeutet das für die althergebrachten Urlaubsvorstellungen? Vor allem vielleicht dies: In ein fernes Land fahren, vor allem des schönen Wetters wegen und den Rest ausblenden, wird immer unmöglicher. Wie jetzt der Strand mit seinen Liegen und Schirmen hat schon in den Monaten zuvor das Mittelmeer als Ganzes seinen Synonymgehalt „Urlaub“ verloren.
Die Top-Destination der europäischen Reisebranche war über Wochen und Monate ausschließlich als todbringender Unglücksort im Gespräch, als Armutsgrenze, der tiefe Graben zwischen Süd und Nord, bei dessen Überquerung Tausende ertrunken sind. Das „Mittelmeer als Massengrab“ ist seither eine häufig gebrauchte Formulierung. Bundeswehrschiffe sind schließlich dorthin entsandt worden, um das Sterben zu beschränken. Und dennoch jetzt in den Ferien an dessen Strand ein Handtuch ausbreiten, den Lichtschutzfaktor auftragen, die Augen schließen und „ah, herrlich“ denken? Geht das überhaupt noch?
Wer Touristikern zuhört, weiß, dass die Antwort „ja“ lautet. Der Urlauber blendet das aus. Aber die Schrecksekunden, die er aushalten muss, werden mehr. Ein T-Shirt, das zwischen Plastikmüll an Land gespült wird – trug das etwa einer der Menschen, die jetzt auf dem Meeresgrund liegen? Diejenigen, die im Italienurlaub kurz mal rüber nach Frankreich fahren wollten, die auf dem Weg über die Küstenstraße viele Prachtvillen und ungeheuren Reichtum sahen, aber an der Grenze auch die illegalen Campinglager der Flüchtlinge, deren wildes Begehr und deren Not, denen wollten die Calamari am Abend nicht mehr so richtig schmecken. Und diejenigen, die es erlebten, dass sie auf den Kanarischen Inseln am selben Strand lagen, an den sich Flüchtlinge retteten, die von Mauretanien aus die Überfahrt gewagt hatten? Was bleibt von so einem Urlaub?
Die Welt wird wieder kleiner
Vielleicht ist es mit der ganzen Idee von der sorgenfreien Auszeit im Ausland vorbei. Alain de Botton, Autor von „Kunst des Reisens“, benutzte einmal den Begriff vom „vergnüglichen Reisen“: Menschen aus den „entwickelten Volkswirtschaften … reisen, um sich ein schöneres Leben zu machen, als sie es zu Hause hätten“, sagte er. Aber nun sieht es so aus, als gingen der Welt die Orte aus, an denen es schöner ist als hierzulande. Jahrelang ist die Welt für die Bürger aus dem Westen immer größer geworden, immer weniger Orte waren für sie nicht erreichbar. Man war meist gern gesehen, weil man Geld mitbrachte und sich ansonsten nicht einmischte, und so schien sich niemand an der Ausweitung der Bikinizone zu stören. Inzwischen geht es in die umgekehrte Richtung: Die Welt wird wieder kleiner.
Als Nächstes kippt womöglich Griechenland von der Karte der Sehnsuchtsorte. Schon wird berichtet über Nothilfegelder, die im Fall von Chaos und Elend nach einem Euro-Austritt dorthin geleitet werden könnten. Aber will man Chaos und Elend in einem europäischen Land miterleben – und das dann Urlaub nennen?