Anschläge in Tunesien und Frankreich: Terror ohne Grenzen
Am Strand von Sousse machen die Terroristen Jagd auf Touristen. Aber nicht nur in Tunesien werden an diesem Freitag viele Menschen getötet. Auch in Frankreich, Kuwait und Syrien verbreiten Attentäter im Namen des „Islamischen Staats“ Angst und Schrecken.
Ein Mann liegt am Strand - mit dem Kopf seitlich im Sand. Neben ihm Sonnenschirme aus Korb, umgestürzte Liegen, zurückgelassene Badehandtücher. Der Himmel blau, Blut läuft aus dem Kopf des Toten. Es ist ein Bild, das an diesem blutgetränkten Freitag hängen bleiben wird. Aber das ganze Bild dieses Tages ist noch viel schrecklicher.
In Tunesien kommen sie am Nachmittag von dort, wo niemand mit ihnen rechnet. Vom Strand. Oder vielleicht, man weiß das bis zum Abend noch nicht genau, sogar vom Meer. Und ihr Ziel war klar. Sie sollten töten, Angst und Schrecken verbreiten, der bis hin zu den Spitzenpolitikern dringen würde, die sich gerade versammelt hatten für den Brüsseler Gipfel zu Griechenland.
Jahrestag für den IS
Als die Terroristen schwer bewaffnet losstürmten, vor allem Touristen im Visier, hatte bereits die französische Stadt Lyon angstvolle Stunden hinter sich. Auch hier hatten Terroristen angegriffen, eine Fabrik für Industriegase. Und auch von hier ging ein Symbol durch die Nachrichten und die Sozialen Netzwerke: gefunden wurde ein Enthaupteter, eingewickelt in die Flagge der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Der IS feiert am kommenden Montag einen für den Rest der Welt fürchterlichen Tag. Dann wird es ein Jahr her sein, dass diese zum Massenmord bereite Kämpfer ihr Kalifat ausgerufen haben.
Anschlag auf Museum in Tunis im März
Das Schicksal spielt manchmal den Tätern in die Hände. Denn in den tunesischen Strandhotels „Imperial Marhaba“ und „El Mouradi Palm Marina" hat an diesem Freitag nach Berichten von Augenzeugen offensichtlich das Hotelpersonal die Urlauber panisch aufgefordert, sich in ihren Zimmern zu verbarrikadieren. Deshalb rannten einige in dem Chaos zurück an den Strand, um ihre Schlüssel zu holen. Es kostete sie das Leben.
Das Riu Imperial Marhaba, ein Hotel der gehobenen Klasse, liegt direkt am langen und weitläufigen Sandstrand der tunesischen Stadt Sousse, 150 Kilometer von Tunis entfernt. Aber wie alle Hotels in Tunesien ist es vom Touristenschwund bedroht – wegen der anhaltenden Terrorgefahr. Erst im März, hatten Islamisten mitten in Tunis das gut besuchte Bardo-Museum angegriffen und ihre blutige Botschaft gesendet. Damals hatte ein Attentäter versucht, sich mit möglichst vielen Menschen in die Luft zu sprengen. 22 starben.
Wohl auch deutsche Opfer in Tunesien
Am Freitag sind es nach ersten Angaben des Innenministeriums mindestens 37 Menschen. 36 Opfer liegen mit teilweise schweren Schussverletzungen in den Kliniken. Nach offiziellen Angaben aus Tunis stammen die meisten Todesopfer aus Deutschland, Großbritannien, Belgien und Tunesien. Das Außenministerium in Berlin, was einen Krisenstab einrichtete, konnte dies zunächst nicht bestätigen, befürchtet aber ebenfalls deutsche Todesopfer.
Bis in den Nachmittag hinein liefern sich die Terroristen an dem Strand und auf dem Hotelgelände dann Gefechte mit der Polizei. Den Sicherheitskräften gelingt es dabei, einen der Täter zu erschießen. Ein Foto zeigt, wie der junge Mann in schwarzer Kleidung außerhalb der Hotelanlage tot auf dem Asphalt liegt, neben ihm seine Kalaschnikow.
Es soll sich um einen Studenten aus der Gegend von Kairouan in Zentraltunesien handeln, der der Polizei bisher nicht als islamistischer Radikaler bekannt war. Nach Angaben eines Augenzeugen tarnten sich die Attentäter als Strandbesucher in Bademänteln, unter denen sie ihre Waffen verborgen hatten. Andere wollen gesehen haben, dass die Angreifer ihre Gewehre in zusammengefalteten Sonnenschirmen stecken hatten. Einige Urlauber dagegen gaben an, die Terroristen seien mit dem Boot von See her gekommen.
Bisher bekannte sich niemand zu dem Attentat in Sousse. Deutsche Reiseveranstalter boten ihren Kunden an, alle Buchungen für Tunesien kostenlos zu stornieren. In den nächsten Stunden sollen zusätzliche Charterflugzeuge eingesetzt werden, um Kunden, die ihren Urlaub abbrechen wollen, vorzeitig heimzufliegen. Eine Chartermaschine aus Belgien auf dem Weg nach Sousse kehrte auf halbem Weg nach Brüssel zurück.
Der Anschlag bei Lyon
Enthaupteter Mann an der Gasfabrik
In Lyon ist es gegen zehn Uhr morgens, als ein Lieferwagen mit hoher Geschwindigkeit dem Tor einer Gasfabrik im Gewerbegebiet von Saint-Quentin-Fallavier, nahe des Flughafens gelegen, nähert. Der Wagen durchbricht die Absperrung und rast auf gelagerte Gasflaschen zu. Ein Mann springt aus dem Fahrzeug, schwenkt eine schwarze Fahne mit islamistischen Schriftzeichen und stürmt über das Gelände. Es kommt zu einer Explosion. Zwei Menschen werden verletzt.
Schnell verteilen sich Polizisten über das Gelände. Am Zaun der Gasfabrik erwartet sie eins schrecklicher Anblick. Die Beamten finden den enthaupteten Körper eines Mannes – und am Zaun der Industrieanlage den abgetrennten Kopf des Opfers, eines Unternehmenschefs aus der Region. Ermittlern zufolge ist der Kopf mit arabischen Schriftzeichen bedeckt, am Zaun hängen auch islamistische Fahnen. Das Symbol ist eindeutig: Auch in Syrien und im Irak enthaupten Kämpfer der Dschihadistengruppe Islamischer Staat ihre Gegner.
Die Furcht vor Extremisten ist zurück
Knapp sechs Monate nach den Anschlägen auf das Satire-Magazin „Charlie Hebdo“ und den jüdischen Supermarkt „Super Cash“ in Paris, bei dem im Januar 17 Menschen starben, ist die Angst vor den radikalen Islamisten nach Frankreich zurückgekehrt. Die Erschütterung ist groß. Die Erinnerung an die Tage im Januar ist sofort wach.
„Die enthauptete Leiche, die gefundenen Inschriften lassen keinen Zweifel zu, dass es sich um einen terroristischen Angriff handelt“, sagt Präsident Francois Hollande. Wie bereits im Januar ruft der Präsident in einer ersten, sehr schnellen Erklärung zur Solidarität auf und mahnt die Franzosen, auf keinen Fall der Angst nachzugeben.
Der Islamische Staat ist handlungsfähig und weiterhin zu allem bereit – das sollen wohl die Signale sein an den Rest der Welt. Gerade erst hat der Sprecher des IS, Abu Mohammed al-Adnani, zu Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan alle Muslime aufgefordert, sich dem Dschihad anzuschließen und ihr Leben als Märtyrer zu opfern. Das Blutvergießen an so vielen Orten ist offensichtlich mal wieder mit kalter Berechnung geplant worden. Am Donnerstag begannen die Dschihadisten auch einen neuerlichen Großangriff auf die syrisch-türkische Grenzstadt Kobane. In Kuwait sprengte sich ein Attentäter während des Freitagsgebets in einer schiitischen Moschee in die Luft, riss mindestens 27 Betende mit in den Tod und verwundete mehr als 220. Zwei Stunden später bekannte sich die IS-Terrormiliz zu dieser Bluttat.
In Somalia tötete die islamistische Terrororganisation Al Schabaab am Freitag mindestens 50 burundische Soldaten der afrikanischen Friedenstruppe. Das sagte der Sprecher der burundischen Streitkräfte, Gaspard Baratuza, am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. „Mehrere Soldaten wurden verletzt, daher wird die Zahl der Opfer wohl noch weiter ansteigen“, sagte er. Der Angriff auf den Militärstützpunkt begann nach Angaben des somalischen Militärs mit einem Selbstmordanschlag. Danach eröffneten schwer bewaffnete Kämpfer der sunnitischen Fundamentalisten das Feuer. Al Schabaab bekannte sich zu dem Anschlag.
Schlimme Massaker des IS nahe Kobane
Mindestens 146 Zivilisten – darunter viele Frauen und Kinder – werden vom IS in und um Kobane herum getötet. In einem Dorf in der Nähe der Stadt richteten die IS-Mitglieder zudem ein unglaubliches Massaker an: „Sie schossen auf alles, was sich bewegte“, sagt Rami Abdel Rahman, Chef der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. IS-Scharfschützen nehmen die Menschen auf den Straßen Kobanes unter Feuer und schießen mit Raketen – auf Zivilisten.
Nachdem die kurdischen Milizen die meisten IS-Angreifer wieder aus Kobane vertrieben haben, bietet sich ein schlimmes Bild: Leichen der Opfer liegen auf den Straßen und in ihren Häusern, wo sie von den Dschihadisten abgeschlachtet worden sind. Auch am Freitag ist in Kobane der Terror nicht ausgestanden. Einzelne IS-Kämpfer haben sich an mindestens an drei Stellen im Stadtgebiet mit Geiseln verschanzt. Das Vorgehen gegen die noch verbliebenen IS-Kämpfer ist schwierig: Die Extremisten wissen, dass sie vermutlich nicht lebend aus der Stadt herauskommen werden. Die sichere Aussicht auf den Tod macht die ohnehin für ihre Brutalität bekannten IS-Mitglieder noch unberechenbarer.
Täter von Lyon den Behörden bekannt
In Frankreich wie auch in Tunesien sind die genaueren Umstände der Attentate bis zum Abend nicht zu klären. In Lyon gelingt es, einen der mutmaßlichen Täter zu fassen: Yassine Salhi ist der Polizei laut Innenminister Bernard Cazeneuve bekannt. Seit 2006 wird er vom Inlandsgeheimdienst überwacht. Wegen radikaler Bekenntnisse zu einem radikalen Islamismus sei er ins Visier der Dienste geraten, heißt es bei den Ermittlern.
Da er sich nach bisherigen Erkenntnissen keiner Straftaten schuldig gemacht hatte, gebe es keine Vorstrafen. Der Mann sei daher nicht ständig überwacht, sondern nur beobachtet worden. Erkenntnisse wurden in seiner Akte vermerkt, dem sogenannten fiche S. Das „S“ steht für „Sicherheit“. Etwa 5000 Namen soll dieses Verzeichnis enthalten. Salhi sei, ausweislich seines „fiche S“, vor einigen Monaten in die Türkei gereist, von dort aber schon Tage später zurückgekehrt. Eine Eintragung ins Polizeiregister hatte das aber nicht zur Folge.
An diesem schrecklichen Freitag, ungefähr zu dem Zeitpunkt, als der französische Ministerpräsident Francois Holland den Brüsseler Gipfel wegen der Terrors in seinem Land verlässt, formuliert der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU) einen Satz, den er genau in dieser Form schon sehr oft ausgesprochen hat, der aber an einem Tag, an dem wieder einmal der Terror eine Blutspur zieht, besonders bewusst macht, wie unsicher die Zeiten wirklich sind. Es gebe eine „ernst zu nehmende Bedrohungslage“, sagt er zum Abschluss der Innenministerkonferenz. Und seine Miene verrät, wie bitterernst er es meint.